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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Denken, zum Selbstdenken berufen und wenn man
die Menge so gedankenlos in den Tag leben sieht,
so schreibe man dies eben ihrer Erziehung und
dem bleiernen Druck der Verhältnisse zu, der auf
ihr lastet; wird dieser Druck aufgehoben, so fan¬
gen auch die Federn ihres Verstandes an zu spie¬
len und die Geburtstunde der, freilich immer rela¬
tiven, Selbstständigkeit hat für sie geschlagen. Al¬
lein auch der gebildetste Mensch, geschweige denn
die Masse, ist nicht immer für jene Art der Be¬
arbeitung seiner Begriffe geschaffen, welche im
heutigen Sinn und unter uns Deutschen vorzugs¬
weise die philosophische heißt und die in ihrer letz¬
ten scharfen Bestimmung auch nur als Laie zu
ahnen, man einigermaßen von Natur begünstigt
sein muß, die also mit einem gelegentlichen Wort
nicht abgethan werden kann. Das Philosophiren
in diesem strengen Sinn, mag es nun für den
Philosophirenden ein Glück, oder Unglück sein,
mag es ein Zustand der Gesundheit oder Krank¬
heit des Geistes genannt werden müssen -- und
darüber lauten bedeutende Stimmen sehr verschie¬
den -- kann und darf nur als eine freie Kunst
getrieben werden, zu der Niemand gezwungen ist,
ja, zu der Niemand aufgefordert werden soll,
noch weniger, von dessen Resultaten er zu Glück
stadt oder Schleswig endliche Rechenschaft zu lie¬

Denken, zum Selbſtdenken berufen und wenn man
die Menge ſo gedankenlos in den Tag leben ſieht,
ſo ſchreibe man dies eben ihrer Erziehung und
dem bleiernen Druck der Verhaͤltniſſe zu, der auf
ihr laſtet; wird dieſer Druck aufgehoben, ſo fan¬
gen auch die Federn ihres Verſtandes an zu ſpie¬
len und die Geburtſtunde der, freilich immer rela¬
tiven, Selbſtſtaͤndigkeit hat fuͤr ſie geſchlagen. Al¬
lein auch der gebildetſte Menſch, geſchweige denn
die Maſſe, iſt nicht immer fuͤr jene Art der Be¬
arbeitung ſeiner Begriffe geſchaffen, welche im
heutigen Sinn und unter uns Deutſchen vorzugs¬
weiſe die philoſophiſche heißt und die in ihrer letz¬
ten ſcharfen Beſtimmung auch nur als Laie zu
ahnen, man einigermaßen von Natur beguͤnſtigt
ſein muß, die alſo mit einem gelegentlichen Wort
nicht abgethan werden kann. Das Philoſophiren
in dieſem ſtrengen Sinn, mag es nun fuͤr den
Philoſophirenden ein Gluͤck, oder Ungluͤck ſein,
mag es ein Zuſtand der Geſundheit oder Krank¬
heit des Geiſtes genannt werden muͤſſen — und
daruͤber lauten bedeutende Stimmen ſehr verſchie¬
den — kann und darf nur als eine freie Kunſt
getrieben werden, zu der Niemand gezwungen iſt,
ja, zu der Niemand aufgefordert werden ſoll,
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[58/0072] Denken, zum Selbſtdenken berufen und wenn man die Menge ſo gedankenlos in den Tag leben ſieht, ſo ſchreibe man dies eben ihrer Erziehung und dem bleiernen Druck der Verhaͤltniſſe zu, der auf ihr laſtet; wird dieſer Druck aufgehoben, ſo fan¬ gen auch die Federn ihres Verſtandes an zu ſpie¬ len und die Geburtſtunde der, freilich immer rela¬ tiven, Selbſtſtaͤndigkeit hat fuͤr ſie geſchlagen. Al¬ lein auch der gebildetſte Menſch, geſchweige denn die Maſſe, iſt nicht immer fuͤr jene Art der Be¬ arbeitung ſeiner Begriffe geſchaffen, welche im heutigen Sinn und unter uns Deutſchen vorzugs¬ weiſe die philoſophiſche heißt und die in ihrer letz¬ ten ſcharfen Beſtimmung auch nur als Laie zu ahnen, man einigermaßen von Natur beguͤnſtigt ſein muß, die alſo mit einem gelegentlichen Wort nicht abgethan werden kann. Das Philoſophiren in dieſem ſtrengen Sinn, mag es nun fuͤr den Philoſophirenden ein Gluͤck, oder Ungluͤck ſein, mag es ein Zuſtand der Geſundheit oder Krank¬ heit des Geiſtes genannt werden muͤſſen — und daruͤber lauten bedeutende Stimmen ſehr verſchie¬ den — kann und darf nur als eine freie Kunſt getrieben werden, zu der Niemand gezwungen iſt, ja, zu der Niemand aufgefordert werden ſoll, noch weniger, von deſſen Reſultaten er zu Gluͤck ſtadt oder Schleswig endliche Rechenſchaft zu lie¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/72>, abgerufen am 26.04.2024.