Zweytes Capitel. Die Tarentiner. Character eines liebenswürdigen alten Mannes.
Archytas, durch dessen nachdrükliche Verwendung Agathon der Hände seiner Feinde zu Syracus entrissen worden, war ein vertrauter Freund seines Vaters Stratonicus gewesen; ihre beyden Familien waren durch die Bande des Gastrechts (welches bekannter massen den Griechen sehr heilig war) von uralten Zei- ten her verbunden; der ausgebreitete Ruhm, welchen sich der Philosoph von Tarent, als der Würdigste un- ter den Nachfolgern des Pythagoras, als ein tiefer Kenner der Geheimnisse der Natur und der mechani- schen Künste, als ein weiser Staatsmann, als ein ge- schikter und allezeit glüklicher Feldherr, und was allen diesen Vorzügen die Crone aufsezt, als ein rechtschaffener Mann, in der vollkommensten Bedeutung dieses Worts erworben, hatte den Namen des Archytas unserm Hel- den schon lange ehrwürdig gemacht; und hiezu kam noch, daß dessen jüngerer Sohn, Critolaus, in den Zeiten des höchsten Wolstandes Agathons zu Athen zwey Jahre in seinem Hause zugebracht, und mit allen ersinn- lichen Freundschafts-Erweisungen überhäuft, eine Zu- neigung von derjenigen Art für ihn gefaßt hatte, welche in schönen Seelen (denn damals gab es noch schöne Seelen) sich nur mit dem Leben endet. Diese Freund- schaft war zwar durch zufällige Ursachen, und den
Aufenthalt
Agathon.
Zweytes Capitel. Die Tarentiner. Character eines liebenswuͤrdigen alten Mannes.
Archytas, durch deſſen nachdruͤkliche Verwendung Agathon der Haͤnde ſeiner Feinde zu Syracus entriſſen worden, war ein vertrauter Freund ſeines Vaters Stratonicus geweſen; ihre beyden Familien waren durch die Bande des Gaſtrechts (welches bekannter maſſen den Griechen ſehr heilig war) von uralten Zei- ten her verbunden; der ausgebreitete Ruhm, welchen ſich der Philoſoph von Tarent, als der Wuͤrdigſte un- ter den Nachfolgern des Pythagoras, als ein tiefer Kenner der Geheimniſſe der Natur und der mechani- ſchen Kuͤnſte, als ein weiſer Staatsmann, als ein ge- ſchikter und allezeit gluͤklicher Feldherr, und was allen dieſen Vorzuͤgen die Crone aufſezt, als ein rechtſchaffener Mann, in der vollkommenſten Bedeutung dieſes Worts erworben, hatte den Namen des Archytas unſerm Hel- den ſchon lange ehrwuͤrdig gemacht; und hiezu kam noch, daß deſſen juͤngerer Sohn, Critolaus, in den Zeiten des hoͤchſten Wolſtandes Agathons zu Athen zwey Jahre in ſeinem Hauſe zugebracht, und mit allen erſinn- lichen Freundſchafts-Erweiſungen uͤberhaͤuft, eine Zu- neigung von derjenigen Art fuͤr ihn gefaßt hatte, welche in ſchoͤnen Seelen (denn damals gab es noch ſchoͤne Seelen) ſich nur mit dem Leben endet. Dieſe Freund- ſchaft war zwar durch zufaͤllige Urſachen, und den
Aufenthalt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0302"n="300"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Zweytes Capitel.</hi><lb/>
Die Tarentiner. Character eines liebenswuͤrdigen<lb/>
alten Mannes.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>rchytas, durch deſſen nachdruͤkliche Verwendung<lb/>
Agathon der Haͤnde ſeiner Feinde zu Syracus entriſſen<lb/>
worden, war ein vertrauter Freund ſeines Vaters<lb/>
Stratonicus geweſen; ihre beyden Familien waren<lb/>
durch die Bande des Gaſtrechts (welches bekannter<lb/>
maſſen den Griechen ſehr heilig war) von uralten Zei-<lb/>
ten her verbunden; der ausgebreitete Ruhm, welchen<lb/>ſich der Philoſoph von Tarent, als der Wuͤrdigſte un-<lb/>
ter den Nachfolgern des Pythagoras, als ein tiefer<lb/>
Kenner der Geheimniſſe der Natur und der mechani-<lb/>ſchen Kuͤnſte, als ein weiſer Staatsmann, als ein ge-<lb/>ſchikter und allezeit gluͤklicher Feldherr, und was allen<lb/>
dieſen Vorzuͤgen die Crone aufſezt, als ein rechtſchaffener<lb/>
Mann, in der vollkommenſten Bedeutung dieſes Worts<lb/>
erworben, hatte den Namen des Archytas unſerm Hel-<lb/>
den ſchon lange ehrwuͤrdig gemacht; und hiezu kam<lb/>
noch, daß deſſen juͤngerer Sohn, Critolaus, in den<lb/>
Zeiten des hoͤchſten Wolſtandes Agathons zu Athen zwey<lb/>
Jahre in ſeinem Hauſe zugebracht, und mit allen erſinn-<lb/>
lichen Freundſchafts-Erweiſungen uͤberhaͤuft, eine Zu-<lb/>
neigung von derjenigen Art fuͤr ihn gefaßt hatte, welche<lb/>
in ſchoͤnen Seelen (denn damals gab es noch ſchoͤne<lb/>
Seelen) ſich nur mit dem Leben endet. Dieſe Freund-<lb/>ſchaft war zwar durch zufaͤllige Urſachen, und den<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Aufenthalt</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[300/0302]
Agathon.
Zweytes Capitel.
Die Tarentiner. Character eines liebenswuͤrdigen
alten Mannes.
Archytas, durch deſſen nachdruͤkliche Verwendung
Agathon der Haͤnde ſeiner Feinde zu Syracus entriſſen
worden, war ein vertrauter Freund ſeines Vaters
Stratonicus geweſen; ihre beyden Familien waren
durch die Bande des Gaſtrechts (welches bekannter
maſſen den Griechen ſehr heilig war) von uralten Zei-
ten her verbunden; der ausgebreitete Ruhm, welchen
ſich der Philoſoph von Tarent, als der Wuͤrdigſte un-
ter den Nachfolgern des Pythagoras, als ein tiefer
Kenner der Geheimniſſe der Natur und der mechani-
ſchen Kuͤnſte, als ein weiſer Staatsmann, als ein ge-
ſchikter und allezeit gluͤklicher Feldherr, und was allen
dieſen Vorzuͤgen die Crone aufſezt, als ein rechtſchaffener
Mann, in der vollkommenſten Bedeutung dieſes Worts
erworben, hatte den Namen des Archytas unſerm Hel-
den ſchon lange ehrwuͤrdig gemacht; und hiezu kam
noch, daß deſſen juͤngerer Sohn, Critolaus, in den
Zeiten des hoͤchſten Wolſtandes Agathons zu Athen zwey
Jahre in ſeinem Hauſe zugebracht, und mit allen erſinn-
lichen Freundſchafts-Erweiſungen uͤberhaͤuft, eine Zu-
neigung von derjenigen Art fuͤr ihn gefaßt hatte, welche
in ſchoͤnen Seelen (denn damals gab es noch ſchoͤne
Seelen) ſich nur mit dem Leben endet. Dieſe Freund-
ſchaft war zwar durch zufaͤllige Urſachen, und den
Aufenthalt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/302>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.