ihr das wißt, so geben sich die Regeln, wornach ihr sie behandeln müßt, wenn ihr euern Zwek erhalten wollt, von sich selbst; dann ist es Zeit moralische Projecte zu machen --- aber wenn, ihr grossen Lichter unsers aller- aufgeklärtesten Jahrhunderts, wenn glaubt ihr, daß diese Zeit für das Menschen-Geschlecht kommen werde?
Viertes Capitel. Philistus und Timocrates.
Während, daß die Philosophie und die Tugend durch die Beredsamkeit eines einzigen Mannes eine so ausser- ordentliche Veränderung der Scene an dem Hofe zu Syracus hervorbrachte, waren die ehmaligen Vertrau- ten des Dionysius sehr weit davon entfernt, die Vor- theile, welche sie von der vorigen Denkungs-Art dieses Prinzen gezogen hatten, so willig hinzugeben, als man es aus ihrem äusserlichen Bezeugen hätte schliessen sollen. Als schlaue Höflinge wußten sie zwar ihren Unmuth über die sonderbare Gunst, worinn Plato bey demsel- ben stund, sehr künstlich zu verbergen. Gewohnt sich nach dem Geschmake des Prinzen zu modeln, und alle Gestalten anzunehmen, unter welchen sie ihm gefallen oder zu ihren geheimen Absichten am besten gelangen konnten, hatten sie, so bald sie die neue Laune ihres Herrn gewahr worden waren, die ganze Aussenseite des philosophischen Enthusiasmus mit eben der Leichtig-
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Neuntes Buch, drittes Capitel.
ihr das wißt, ſo geben ſich die Regeln, wornach ihr ſie behandeln muͤßt, wenn ihr euern Zwek erhalten wollt, von ſich ſelbſt; dann iſt es Zeit moraliſche Projecte zu machen ‒‒‒ aber wenn, ihr groſſen Lichter unſers aller- aufgeklaͤrteſten Jahrhunderts, wenn glaubt ihr, daß dieſe Zeit fuͤr das Menſchen-Geſchlecht kommen werde?
Viertes Capitel. Philiſtus und Timocrates.
Waͤhrend, daß die Philoſophie und die Tugend durch die Beredſamkeit eines einzigen Mannes eine ſo auſſer- ordentliche Veraͤnderung der Scene an dem Hofe zu Syracus hervorbrachte, waren die ehmaligen Vertrau- ten des Dionyſius ſehr weit davon entfernt, die Vor- theile, welche ſie von der vorigen Denkungs-Art dieſes Prinzen gezogen hatten, ſo willig hinzugeben, als man es aus ihrem aͤuſſerlichen Bezeugen haͤtte ſchlieſſen ſollen. Als ſchlaue Hoͤflinge wußten ſie zwar ihren Unmuth uͤber die ſonderbare Gunſt, worinn Plato bey demſel- ben ſtund, ſehr kuͤnſtlich zu verbergen. Gewohnt ſich nach dem Geſchmake des Prinzen zu modeln, und alle Geſtalten anzunehmen, unter welchen ſie ihm gefallen oder zu ihren geheimen Abſichten am beſten gelangen konnten, hatten ſie, ſo bald ſie die neue Laune ihres Herrn gewahr worden waren, die ganze Auſſenſeite des philoſophiſchen Enthuſiaſmus mit eben der Leichtig-
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Neuntes Buch, drittes Capitel.
ihr das wißt, ſo geben ſich die Regeln, wornach ihr
ſie behandeln muͤßt, wenn ihr euern Zwek erhalten wollt,
von ſich ſelbſt; dann iſt es Zeit moraliſche Projecte zu
machen ‒‒‒ aber wenn, ihr groſſen Lichter unſers aller-
aufgeklaͤrteſten Jahrhunderts, wenn glaubt ihr, daß
dieſe Zeit fuͤr das Menſchen-Geſchlecht kommen werde?
Viertes Capitel.
Philiſtus und Timocrates.
Waͤhrend, daß die Philoſophie und die Tugend durch
die Beredſamkeit eines einzigen Mannes eine ſo auſſer-
ordentliche Veraͤnderung der Scene an dem Hofe zu
Syracus hervorbrachte, waren die ehmaligen Vertrau-
ten des Dionyſius ſehr weit davon entfernt, die Vor-
theile, welche ſie von der vorigen Denkungs-Art dieſes
Prinzen gezogen hatten, ſo willig hinzugeben, als man
es aus ihrem aͤuſſerlichen Bezeugen haͤtte ſchlieſſen ſollen.
Als ſchlaue Hoͤflinge wußten ſie zwar ihren Unmuth
uͤber die ſonderbare Gunſt, worinn Plato bey demſel-
ben ſtund, ſehr kuͤnſtlich zu verbergen. Gewohnt ſich
nach dem Geſchmake des Prinzen zu modeln, und alle
Geſtalten anzunehmen, unter welchen ſie ihm gefallen
oder zu ihren geheimen Abſichten am beſten gelangen
konnten, hatten ſie, ſo bald ſie die neue Laune ihres
Herrn gewahr worden waren, die ganze Auſſenſeite
des philoſophiſchen Enthuſiaſmus mit eben der Leichtig-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/119>, abgerufen am 24.02.2025.
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