Siebentes Capitel. Worinn Agathon für einen Schwärmer ziemlich gut räsonnirt.
Wir zweifeln nicht, daß verschiedene Leser dieser Ge- schichte in der Vermuthung stehen werden, Agathon müsse über diese nachdruksvolle Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen, oder doch wenigstens in einige Unruhe gesezt worden seyn. Das Alter des Hippias, der Ruf der Weisheit, worinn er stand, der zuversichtliche Ton, womit er sprach, der Schein von Wahrheit der über seine Rede ausgebreitet war; und was nicht das wenigste scheint, das Ansehen, welches ihm seine Reichthümer gaben; alle diese Umstände hät- ten nicht fehlen sollen, einen Menschen aus der Fassung zu sezen, der ihm so viele Vorzüge eingestehen muste, und überdas noch sein Sclave war. Allein man kann sich irren. Agathon hatte diese ganze emphatische Re- de mit einem Lächeln angehört, welches fähig gewesen wäre, alle Sophisten der Welt irre zu machen, wenn die Dunkelheit und das Vorurtheil des Redners für sich selbst es hätten bemerken lassen; und kaum befand er sich allein, so war die erste Würkung derselben, daß dieses Lächeln sich in ein Lachen verwandelte, welches er zum Nachtheil seines Zwerchfells länger zurükzuhal- ten unnöthig hielt, und welches immer wieder anfieng, so oft er sich die Mine, den Ton und die Gebehrden vorstellte, womit der weise Hippias die nachdrüklichsten
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Zweytes Buch, ſiebentes Capitel.
Siebentes Capitel. Worinn Agathon fuͤr einen Schwaͤrmer ziemlich gut raͤſonnirt.
Wir zweifeln nicht, daß verſchiedene Leſer dieſer Ge- ſchichte in der Vermuthung ſtehen werden, Agathon muͤſſe uͤber dieſe nachdruksvolle Apoſtrophe des weiſen Hippias nicht wenig betroffen, oder doch wenigſtens in einige Unruhe geſezt worden ſeyn. Das Alter des Hippias, der Ruf der Weisheit, worinn er ſtand, der zuverſichtliche Ton, womit er ſprach, der Schein von Wahrheit der uͤber ſeine Rede ausgebreitet war; und was nicht das wenigſte ſcheint, das Anſehen, welches ihm ſeine Reichthuͤmer gaben; alle dieſe Umſtaͤnde haͤt- ten nicht fehlen ſollen, einen Menſchen aus der Faſſung zu ſezen, der ihm ſo viele Vorzuͤge eingeſtehen muſte, und uͤberdas noch ſein Sclave war. Allein man kann ſich irren. Agathon hatte dieſe ganze emphatiſche Re- de mit einem Laͤcheln angehoͤrt, welches faͤhig geweſen waͤre, alle Sophiſten der Welt irre zu machen, wenn die Dunkelheit und das Vorurtheil des Redners fuͤr ſich ſelbſt es haͤtten bemerken laſſen; und kaum befand er ſich allein, ſo war die erſte Wuͤrkung derſelben, daß dieſes Laͤcheln ſich in ein Lachen verwandelte, welches er zum Nachtheil ſeines Zwerchfells laͤnger zuruͤkzuhal- ten unnoͤthig hielt, und welches immer wieder anfieng, ſo oft er ſich die Mine, den Ton und die Gebehrden vorſtellte, womit der weiſe Hippias die nachdruͤklichſten
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Zweytes Buch, ſiebentes Capitel.
Siebentes Capitel.
Worinn Agathon fuͤr einen Schwaͤrmer
ziemlich gut raͤſonnirt.
Wir zweifeln nicht, daß verſchiedene Leſer dieſer Ge-
ſchichte in der Vermuthung ſtehen werden, Agathon
muͤſſe uͤber dieſe nachdruksvolle Apoſtrophe des weiſen
Hippias nicht wenig betroffen, oder doch wenigſtens
in einige Unruhe geſezt worden ſeyn. Das Alter des
Hippias, der Ruf der Weisheit, worinn er ſtand, der
zuverſichtliche Ton, womit er ſprach, der Schein von
Wahrheit der uͤber ſeine Rede ausgebreitet war; und
was nicht das wenigſte ſcheint, das Anſehen, welches
ihm ſeine Reichthuͤmer gaben; alle dieſe Umſtaͤnde haͤt-
ten nicht fehlen ſollen, einen Menſchen aus der Faſſung
zu ſezen, der ihm ſo viele Vorzuͤge eingeſtehen muſte,
und uͤberdas noch ſein Sclave war. Allein man kann
ſich irren. Agathon hatte dieſe ganze emphatiſche Re-
de mit einem Laͤcheln angehoͤrt, welches faͤhig geweſen
waͤre, alle Sophiſten der Welt irre zu machen, wenn
die Dunkelheit und das Vorurtheil des Redners fuͤr
ſich ſelbſt es haͤtten bemerken laſſen; und kaum befand
er ſich allein, ſo war die erſte Wuͤrkung derſelben, daß
dieſes Laͤcheln ſich in ein Lachen verwandelte, welches
er zum Nachtheil ſeines Zwerchfells laͤnger zuruͤkzuhal-
ten unnoͤthig hielt, und welches immer wieder anfieng,
ſo oft er ſich die Mine, den Ton und die Gebehrden
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/91>, abgerufen am 25.12.2024.
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