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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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schaffen dem Kunstwerke der Zukunft; in welchem die wahre
Musik wahrlich keine geringe Rolle zu übernehmen haben
wird, dem aber auf diesem Boden Luft und Athem
schlechterdings versagt sind. *)

Dichtkunst.

Gestattete es uns die Mode oder der Gebrauch, die
ächte und wahre Schreib- und Sprechart: tichten für

*) Soweit ich mich auch, im Verhältniß zu den andren
Kunstarten, über das Wesen der Musik hier verbreitet habe, (was
übrigens lediglich sowohl in der besonderen Eigenthümlichkeit, als
in dem, aus dieser Eigenthümlichkeit genährten, besonderen und
wirklich ergebnißreichen Entwickelungsgange der Musik seinen Grund
hatte) so bin ich mir dennoch der mannigfachen Lückenhaftigkeit
meiner Darstellung wohl bewußt; es bedürfte aber nicht eines
Buches, sondern vieler Bücher, um das Unsittliche, Weichliche und
Niederträchtige in den Bändern des Zusammenhanges unsrer
modernen Musik mit der Oeffentlichkeit erschöpfend darzulegen; um
die unselige, gefühlsüberflüssige Eigenschaft der Tonkunst zu er¬
gründen, die sie zum Gegenstand der Spekulation unserer erziehungs¬
süchtigen "Volksverbesserer" macht, welche den Honig der Musik
zwischen den essigsauren Schweiß des mißhandelten Fabrikarbeiters,
zur einzig möglichen Linderung seiner Leiden, tröpfeln wollen (etwa
so, wie unsre Staats- und Börsenklugen bemüht sind, die ge¬
schmeidigen Lappen der Religion zwischen die klaffenden Lücken der
polizeilichen Menschen-Fürsorge zu stopfen;) -- um endlich die
traurige psychologische Erscheinung zu erklären, daß ein Mensch
nicht nur feig und schlecht, sondern auch dumm sein kann, ohne
durch diese Eigenschaften verhindert zu werden, ein ganz respektabler
Musiker zu sein.

ſchaffen dem Kunſtwerke der Zukunft; in welchem die wahre
Muſik wahrlich keine geringe Rolle zu übernehmen haben
wird, dem aber auf dieſem Boden Luft und Athem
ſchlechterdings verſagt ſind. *)

Dichtkunſt.

Geſtattete es uns die Mode oder der Gebrauch, die
ächte und wahre Schreib- und Sprechart: tichten für

*) Soweit ich mich auch, im Verhältniß zu den andren
Kunſtarten, über das Weſen der Muſik hier verbreitet habe, (was
übrigens lediglich ſowohl in der beſonderen Eigenthümlichkeit, als
in dem, aus dieſer Eigenthümlichkeit genährten, beſonderen und
wirklich ergebnißreichen Entwickelungsgange der Muſik ſeinen Grund
hatte) ſo bin ich mir dennoch der mannigfachen Lückenhaftigkeit
meiner Darſtellung wohl bewußt; es bedürfte aber nicht eines
Buches, ſondern vieler Bücher, um das Unſittliche, Weichliche und
Niederträchtige in den Bändern des Zuſammenhanges unſrer
modernen Muſik mit der Oeffentlichkeit erſchöpfend darzulegen; um
die unſelige, gefühlsüberflüſſige Eigenſchaft der Tonkunſt zu er¬
gründen, die ſie zum Gegenſtand der Spekulation unſerer erziehungs¬
ſüchtigen „Volksverbeſſerer“ macht, welche den Honig der Muſik
zwiſchen den eſſigſauren Schweiß des mißhandelten Fabrikarbeiters,
zur einzig möglichen Linderung ſeiner Leiden, tröpfeln wollen (etwa
ſo, wie unſre Staats- und Börſenklugen bemüht ſind, die ge¬
ſchmeidigen Lappen der Religion zwiſchen die klaffenden Lücken der
polizeilichen Menſchen-Fürſorge zu ſtopfen;) — um endlich die
traurige pſychologiſche Erſcheinung zu erklären, daß ein Menſch
nicht nur feig und ſchlecht, ſondern auch dumm ſein kann, ohne
durch dieſe Eigenſchaften verhindert zu werden, ein ganz reſpektabler
Muſiker zu ſein.
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[103/0119] ſchaffen dem Kunſtwerke der Zukunft; in welchem die wahre Muſik wahrlich keine geringe Rolle zu übernehmen haben wird, dem aber auf dieſem Boden Luft und Athem ſchlechterdings verſagt ſind. *) Dichtkunſt. Geſtattete es uns die Mode oder der Gebrauch, die ächte und wahre Schreib- und Sprechart: tichten für *) Soweit ich mich auch, im Verhältniß zu den andren Kunſtarten, über das Weſen der Muſik hier verbreitet habe, (was übrigens lediglich ſowohl in der beſonderen Eigenthümlichkeit, als in dem, aus dieſer Eigenthümlichkeit genährten, beſonderen und wirklich ergebnißreichen Entwickelungsgange der Muſik ſeinen Grund hatte) ſo bin ich mir dennoch der mannigfachen Lückenhaftigkeit meiner Darſtellung wohl bewußt; es bedürfte aber nicht eines Buches, ſondern vieler Bücher, um das Unſittliche, Weichliche und Niederträchtige in den Bändern des Zuſammenhanges unſrer modernen Muſik mit der Oeffentlichkeit erſchöpfend darzulegen; um die unſelige, gefühlsüberflüſſige Eigenſchaft der Tonkunſt zu er¬ gründen, die ſie zum Gegenſtand der Spekulation unſerer erziehungs¬ ſüchtigen „Volksverbeſſerer“ macht, welche den Honig der Muſik zwiſchen den eſſigſauren Schweiß des mißhandelten Fabrikarbeiters, zur einzig möglichen Linderung ſeiner Leiden, tröpfeln wollen (etwa ſo, wie unſre Staats- und Börſenklugen bemüht ſind, die ge¬ ſchmeidigen Lappen der Religion zwiſchen die klaffenden Lücken der polizeilichen Menſchen-Fürſorge zu ſtopfen;) — um endlich die traurige pſychologiſche Erſcheinung zu erklären, daß ein Menſch nicht nur feig und ſchlecht, ſondern auch dumm ſein kann, ohne durch dieſe Eigenſchaften verhindert zu werden, ein ganz reſpektabler Muſiker zu ſein.

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/119>, abgerufen am 21.11.2024.