Zweite Gattung. Die subjective Kunstform oder die Musik.
a. Das Wesen der Musik.
a. Ueberhaupt.
§. 746.
Der Schritt zur Auflösung der Objectivität, welcher in der Malerei sich ankündigt (vergl. §. 659), muß ausgeführt, der Gegenstand ganz in das Subject hereingezogen und in dessen innere Bewegtheit aufgehoben werden, damit erst die Subjectivität in ihr volles Recht eintrete. Nur dadurch wird es möglich, daß auf einer weiteren Stufe, welche allerdings durch den Begriff des Schönen und seine Begründung im Lebensgesetze selbst gefordert ist, das Object nunmehr als eine neue Schöpfung wieder aus dem Geist hervorgehe.
Der Eintritt der Musik ist in der Malerei so vorbereitet, daß man sagen kann, man höre überall ihren Schritt schon an der Pforte. Es ist in der Lehre dieser Kunst auf allen wesentlichen Puncten gezeigt, wie sie an der Grenze der bildenden Künste steht, wie zuerst überhaupt durch das Prinzip ihrer Darstellungsweise, wonach sie einen bloßen Schein der Dinge auf die Fläche wirft, sodann durch das Ueberwiegen des Ausdrucks, die vielgestaltige Handlung, die Aufnahme der elementarisch ergossenen Medien, namentlich aber durch die Magie der Farbe der Charakter der Objectivität so eben sich verflüchtigen zu wollen scheint, es ist diese Beleuchtung ins- besondere in dem angeführten §. durch die Worte zusammengefaßt, es sei die subjective Bewegtheit in dem Maaße eingedrungen, daß zum Durchbruch ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehle. Hegel's treffender Ausdruck ist, daß in der Magie des Colorits das Objective gleichsam schon zu ver-
Vischer's Aesthetik. 4. Band. 51
Zweite Gattung. Die ſubjective Kunſtform oder die Muſik.
a. Das Weſen der Muſik.
α. Ueberhaupt.
§. 746.
Der Schritt zur Auflöſung der Objectivität, welcher in der Malerei ſich ankündigt (vergl. §. 659), muß ausgeführt, der Gegenſtand ganz in das Subject hereingezogen und in deſſen innere Bewegtheit aufgehoben werden, damit erſt die Subjectivität in ihr volles Recht eintrete. Nur dadurch wird es möglich, daß auf einer weiteren Stufe, welche allerdings durch den Begriff des Schönen und ſeine Begründung im Lebensgeſetze ſelbſt gefordert iſt, das Object nunmehr als eine neue Schöpfung wieder aus dem Geiſt hervorgehe.
Der Eintritt der Muſik iſt in der Malerei ſo vorbereitet, daß man ſagen kann, man höre überall ihren Schritt ſchon an der Pforte. Es iſt in der Lehre dieſer Kunſt auf allen weſentlichen Puncten gezeigt, wie ſie an der Grenze der bildenden Künſte ſteht, wie zuerſt überhaupt durch das Prinzip ihrer Darſtellungsweiſe, wonach ſie einen bloßen Schein der Dinge auf die Fläche wirft, ſodann durch das Ueberwiegen des Ausdrucks, die vielgeſtaltige Handlung, die Aufnahme der elementariſch ergoſſenen Medien, namentlich aber durch die Magie der Farbe der Charakter der Objectivität ſo eben ſich verflüchtigen zu wollen ſcheint, es iſt dieſe Beleuchtung ins- beſondere in dem angeführten §. durch die Worte zuſammengefaßt, es ſei die ſubjective Bewegtheit in dem Maaße eingedrungen, daß zum Durchbruch ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehle. Hegel’s treffender Ausdruck iſt, daß in der Magie des Colorits das Objective gleichſam ſchon zu ver-
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 51
<TEI><text><body><pbfacs="#f0013"n="[775]"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Zweite Gattung</hi>.<lb/>
Die ſubjective Kunſtform oder die Muſik.</hi></head><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">a.</hi><lb/><hirendition="#g">Das Weſen der Muſik</hi>.</hi></head><lb/><divn="3"><head><hirendition="#i">α</hi>. Ueberhaupt.</head><lb/><divn="4"><head>§. 746.</head><lb/><p><hirendition="#fr"><hirendition="#in">D</hi>er Schritt zur Auflöſung der Objectivität, welcher in der Malerei ſich<lb/>
ankündigt (vergl. §. 659), muß ausgeführt, der Gegenſtand ganz in das Subject<lb/>
hereingezogen und in deſſen innere Bewegtheit aufgehoben werden, damit erſt<lb/>
die Subjectivität in ihr volles Recht eintrete. Nur dadurch wird es möglich,<lb/>
daß auf einer weiteren Stufe, welche allerdings durch den Begriff des Schönen<lb/>
und ſeine Begründung im Lebensgeſetze ſelbſt gefordert iſt, das Object nunmehr<lb/>
als eine neue Schöpfung wieder aus dem Geiſt hervorgehe.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Der Eintritt der Muſik iſt in der Malerei ſo vorbereitet, daß man<lb/>ſagen kann, man höre überall ihren Schritt ſchon an der Pforte. Es iſt<lb/>
in der Lehre dieſer Kunſt auf allen weſentlichen Puncten gezeigt, wie ſie<lb/>
an der Grenze der bildenden Künſte ſteht, wie zuerſt überhaupt durch das<lb/>
Prinzip ihrer Darſtellungsweiſe, wonach ſie einen bloßen Schein der Dinge<lb/>
auf die Fläche wirft, ſodann durch das Ueberwiegen des Ausdrucks, die<lb/>
vielgeſtaltige Handlung, die Aufnahme der elementariſch ergoſſenen Medien,<lb/>
namentlich aber durch die Magie der Farbe der Charakter der Objectivität<lb/>ſo eben ſich verflüchtigen zu wollen ſcheint, es iſt dieſe Beleuchtung ins-<lb/>
beſondere in dem angeführten §. durch die Worte zuſammengefaßt, es ſei<lb/>
die ſubjective Bewegtheit in dem Maaße eingedrungen, daß zum Durchbruch<lb/>
ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehle. Hegel’s treffender Ausdruck<lb/>
iſt, daß in der Magie des Colorits das Objective gleichſam ſchon zu ver-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 4. Band. 51</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[[775]/0013]
Zweite Gattung.
Die ſubjective Kunſtform oder die Muſik.
a.
Das Weſen der Muſik.
α. Ueberhaupt.
§. 746.
Der Schritt zur Auflöſung der Objectivität, welcher in der Malerei ſich
ankündigt (vergl. §. 659), muß ausgeführt, der Gegenſtand ganz in das Subject
hereingezogen und in deſſen innere Bewegtheit aufgehoben werden, damit erſt
die Subjectivität in ihr volles Recht eintrete. Nur dadurch wird es möglich,
daß auf einer weiteren Stufe, welche allerdings durch den Begriff des Schönen
und ſeine Begründung im Lebensgeſetze ſelbſt gefordert iſt, das Object nunmehr
als eine neue Schöpfung wieder aus dem Geiſt hervorgehe.
Der Eintritt der Muſik iſt in der Malerei ſo vorbereitet, daß man
ſagen kann, man höre überall ihren Schritt ſchon an der Pforte. Es iſt
in der Lehre dieſer Kunſt auf allen weſentlichen Puncten gezeigt, wie ſie
an der Grenze der bildenden Künſte ſteht, wie zuerſt überhaupt durch das
Prinzip ihrer Darſtellungsweiſe, wonach ſie einen bloßen Schein der Dinge
auf die Fläche wirft, ſodann durch das Ueberwiegen des Ausdrucks, die
vielgeſtaltige Handlung, die Aufnahme der elementariſch ergoſſenen Medien,
namentlich aber durch die Magie der Farbe der Charakter der Objectivität
ſo eben ſich verflüchtigen zu wollen ſcheint, es iſt dieſe Beleuchtung ins-
beſondere in dem angeführten §. durch die Worte zuſammengefaßt, es ſei
die ſubjective Bewegtheit in dem Maaße eingedrungen, daß zum Durchbruch
ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehle. Hegel’s treffender Ausdruck
iſt, daß in der Magie des Colorits das Objective gleichſam ſchon zu ver-
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 51
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. [775]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/13>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.