Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
Einzeltheile des Kunstwerks bezogen (und so ist es gemeint), kein Ideal Das Wort Kunst fassen wir vorerst unbefangen in der ästhetischen §. 492. Die Phantasie sieht sich so in einer völlig neuen Stellung drei verschie- Hier also tritt heraus, was die Anm. zum vorh. §. schon vorbereitet
Einzeltheile des Kunſtwerks bezogen (und ſo iſt es gemeint), kein Ideal Das Wort Kunſt faſſen wir vorerſt unbefangen in der äſthetiſchen §. 492. Die Phantaſie ſieht ſich ſo in einer völlig neuen Stellung drei verſchie- Hier alſo tritt heraus, was die Anm. zum vorh. §. ſchon vorbereitet <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0026" n="14"/> Einzeltheile des Kunſtwerks bezogen (und ſo iſt es gemeint), kein Ideal<lb/> der Vollkommenheit, ſondern eine Unmöglichkeit. Die Kunſt iſt kein<lb/> mechaniſches Abſchreiben einer innerlich fertigen Reinſchrift. Hätte aber<lb/> je irgend ein Künſtler einmal ſein Bild im Innern ſo vollendet, daß<lb/> die Ausführung nur ein Abklatſch deſſelben wäre, ſo hätte er die Mög-<lb/> lichkeit dieſer innern Vollendung dadurch erreicht, daß er ſein inneres<lb/> Bilden durch lange Uebung des wirklichen äußern bis zu dieſer Sicherheit<lb/> geſteigert hätte, und ſo tritt das behauptete Verhältniß, nur in eine<lb/> frühere Zeit zurückgeſchoben, wieder ein. Die Art, wie Schleiermacher<lb/> das ſittlichpraktiſche vom äſthetiſchen Gebiet unterſcheidet, iſt daher nicht<lb/> die richtige; wie er in der Kunſt das Werk zu niedrig ſchätzt, ſo in jenem<lb/> Gebiete die Geſinnung und Abſicht. Der Unterſchied liegt anderswo,<lb/> wir haben ihn auseinandergeſetzt in der Lehre vom Verhältniß des<lb/> Schönen zum Guten. §. 22—24 und §. 56—60.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Das Wort Kunſt faſſen wir vorerſt unbefangen in der äſthetiſchen<lb/> Bedeutung. Daß es jedes Vermögen, ſchwere Stoffe zu beſiegen, und<lb/> deſſen Uebung bezeichnet, dieß wird uns erſt intereſſiren, wenn wir die<lb/> techniſche Frage beſtimmter in unſere Unterſuchung hereinziehen, als dieß<lb/> hier bei ihrer erſten Einführung der Fall iſt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 492.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Phantaſie ſieht ſich ſo in einer völlig neuen Stellung drei verſchie-<lb/> denen Anforderungen gegenüber: der Anforderung des Zuſchauers, des auf’s<lb/> Neue hervortretenden Naturſchönen und des Materials, das bearbeitet werden<lb/> ſoll. In dieſer Stellung iſt ſie genöthigt, auf ihr inneres Bild in dem Momente,<lb/> da es zur Darſtellung kommen ſoll, mit einer neuen Beſinnung (vergl. §. 397)<lb/> zurückzuſehen, und ſie erkennt es, gemeſſen an der neuen Aufgabe, als ungenügend,<lb/> unreif. Die ganze Bewegung der ausführenden Thätigkeit geht von dieſem<lb/> Punct aus an der Linie jener drei Bedingungen fort.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Hier alſo tritt heraus, was die Anm. zum vorh. §. ſchon vorbereitet<lb/> hat: die Kunſt iſt ſo wenig im Innern beſchloßen, daß vielmehr gerade<lb/> der Ruck, der Stoß, den im Augenblicke des Uebergangs zur Thätigkeit<lb/> die Hinderniße dem Künſtler verſetzen, ſelbſt erſt das innere Bild zur<lb/> Reife bringt. Es iſt eine Erſchütterung, ein Schütteln, das ihn ſtutzig<lb/> macht und ihn zur Prüfung ſeines innern Erzeugnißes nöthigt; es iſt<lb/> ein Examen, das ihm aufdeckt, was ihm noch fehlt. Das innere<lb/> Bild iſt unter dem Begriff des Ideals in §. 398. 399. ſchon als voll-<lb/> kommen Schönes beſtimmt; allein in den Worten: „zunächſt innern<lb/> Bildes“ (§. 398) iſt angedeutet, vorerſt, daß dieß blos innerliche Leben<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0026]
Einzeltheile des Kunſtwerks bezogen (und ſo iſt es gemeint), kein Ideal
der Vollkommenheit, ſondern eine Unmöglichkeit. Die Kunſt iſt kein
mechaniſches Abſchreiben einer innerlich fertigen Reinſchrift. Hätte aber
je irgend ein Künſtler einmal ſein Bild im Innern ſo vollendet, daß
die Ausführung nur ein Abklatſch deſſelben wäre, ſo hätte er die Mög-
lichkeit dieſer innern Vollendung dadurch erreicht, daß er ſein inneres
Bilden durch lange Uebung des wirklichen äußern bis zu dieſer Sicherheit
geſteigert hätte, und ſo tritt das behauptete Verhältniß, nur in eine
frühere Zeit zurückgeſchoben, wieder ein. Die Art, wie Schleiermacher
das ſittlichpraktiſche vom äſthetiſchen Gebiet unterſcheidet, iſt daher nicht
die richtige; wie er in der Kunſt das Werk zu niedrig ſchätzt, ſo in jenem
Gebiete die Geſinnung und Abſicht. Der Unterſchied liegt anderswo,
wir haben ihn auseinandergeſetzt in der Lehre vom Verhältniß des
Schönen zum Guten. §. 22—24 und §. 56—60.
Das Wort Kunſt faſſen wir vorerſt unbefangen in der äſthetiſchen
Bedeutung. Daß es jedes Vermögen, ſchwere Stoffe zu beſiegen, und
deſſen Uebung bezeichnet, dieß wird uns erſt intereſſiren, wenn wir die
techniſche Frage beſtimmter in unſere Unterſuchung hereinziehen, als dieß
hier bei ihrer erſten Einführung der Fall iſt.
§. 492.
Die Phantaſie ſieht ſich ſo in einer völlig neuen Stellung drei verſchie-
denen Anforderungen gegenüber: der Anforderung des Zuſchauers, des auf’s
Neue hervortretenden Naturſchönen und des Materials, das bearbeitet werden
ſoll. In dieſer Stellung iſt ſie genöthigt, auf ihr inneres Bild in dem Momente,
da es zur Darſtellung kommen ſoll, mit einer neuen Beſinnung (vergl. §. 397)
zurückzuſehen, und ſie erkennt es, gemeſſen an der neuen Aufgabe, als ungenügend,
unreif. Die ganze Bewegung der ausführenden Thätigkeit geht von dieſem
Punct aus an der Linie jener drei Bedingungen fort.
Hier alſo tritt heraus, was die Anm. zum vorh. §. ſchon vorbereitet
hat: die Kunſt iſt ſo wenig im Innern beſchloßen, daß vielmehr gerade
der Ruck, der Stoß, den im Augenblicke des Uebergangs zur Thätigkeit
die Hinderniße dem Künſtler verſetzen, ſelbſt erſt das innere Bild zur
Reife bringt. Es iſt eine Erſchütterung, ein Schütteln, das ihn ſtutzig
macht und ihn zur Prüfung ſeines innern Erzeugnißes nöthigt; es iſt
ein Examen, das ihm aufdeckt, was ihm noch fehlt. Das innere
Bild iſt unter dem Begriff des Ideals in §. 398. 399. ſchon als voll-
kommen Schönes beſtimmt; allein in den Worten: „zunächſt innern
Bildes“ (§. 398) iſt angedeutet, vorerſt, daß dieß blos innerliche Leben
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |