Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.b. Mitte. Das classische Ideal der griechischen Phantasie. §. 434. 1 Die Phantasie der Griechen als eines sinnlich sittlichen Volkes (§. 348. 1. Dieß also ist der zweite der von der ägyptischen Religion weiter β. Mitte. Das claſſiſche Ideal der griechiſchen Phantaſie. §. 434. 1 Die Phantaſie der Griechen als eines ſinnlich ſittlichen Volkes (§. 348. 1. Dieß alſo iſt der zweite der von der ägyptiſchen Religion weiter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0160" n="446"/> <div n="5"> <head><hi rendition="#i">β</hi>.<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Mitte</hi>.</hi><lb/> Das claſſiſche Ideal der griechiſchen Phantaſie.</head><lb/> <div n="6"> <head>§. 434.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Die Phantaſie der Griechen als eines ſinnlich ſittlichen Volkes (§. 348.<lb/> 349) erhebt ohne Bruch in ſtetigem Fortſchritte die Naturreligion in die ethiſche,<lb/> das Symbol in den Mythus. Sie bleibt alſo Polytheiſmus, aber auf die<lb/> Naturgrundlagen, woraus Vielheit der Götter entſteht, trägt ſie nicht bloß ober-<lb/> flächlich ſittliche Bedeutung ein, ſondern kehrt im Fortgang den Ausgang um,<lb/> ſo daß die ſittliche Bedeutung, ſchon an ſich über mehrere Sphären ſich erſtreckend,<lb/> zum lebendigen Pathos einer mit dem ganzen Umkreis menſchlicher Empfindun-<lb/> gen und Intereſſen erfüllten Perſönlichkeit wird, deren leibliche Erſcheinung<lb/><note place="left">2</note>ſich ſelbſt deutet. Die halb mythiſchen, halb blos ſymboliſchen Naturgötter<lb/> werden als durch die neue Götterordnung beſiegt dargeſtellt, das Symboliſche<lb/> der Naturgrundlage der letzteren iſt vergeſſen; was davon übrig bleibt, iſt theils<lb/> zu einem leichten Nachklange in der Geſtalt herabgeſetzt, theils als ſinnliches<lb/> Intereſſe in eine Handlung aufgegangen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Dieß alſo iſt der zweite der von der ägyptiſchen Religion weiter<lb/> führenden Wege (vergl. §. 433 Anm. <hi rendition="#sub">1</hi>), es iſt der humane Fortſchritt<lb/> im Uebergange der Religion nach Europa, während die ſcharfe monotheiſti-<lb/> ſche Scheidung in der jüdiſchen Religion noch aſiatiſche Starrheit iſt. Die<lb/> griechiſchen Götter ſind urſprünglich aſiatiſche, (indiſche, ſemitiſche, ägyptiſche)<lb/> Naturgötter, erſcheinen in Griechenland vorerſt als Localgötter und ihre<lb/> Vereinigung zu einem Olymp iſt vorerſt Zuſammenfluß örtlicher Culte,<lb/> dann geiſtige, der Meinung nach univerſelle Erhebung in ſittlich politiſche<lb/> Bedeutung. Dieſe tritt nun in Vordergrund, wird zum Erſten, und was<lb/> vorher das Erſte war, tritt zurück in die Perſpective. Die ſittliche Be-<lb/> deutung aber kann, weil es hier Ernſt mit ihr iſt, als Seele und Willen<lb/> einer Perſon angeſchaut werden, zu deren weiteren, ſinnlicheren Gemüths-<lb/> bewegungen ſo wie zu ihrer Geſtalt die urſprüngliche Naturbedeutung den<lb/> Grund gelegt hat, ſo daß z. B. Göttern der Fruchtbarkeit, des Naturſegens<lb/> der weichere und üppigere Körperbau, das liebesluſtige Gemüth, Göttern<lb/> des ſcharf beſcheinenden Lichtes, der feineren, aus Waſſer und Feuer ſich<lb/> entwindenden Materie der ſchlankere, ſtraffere Leib, das ernſtere, kältere<lb/> Gemüth geliehen wird. Das ſymboliſche Verhältniß iſt zu Ende; Poſei-<lb/> don bedeutet nicht das Meer, ſondern das Meer iſt ein Geiſt und dieſer<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [446/0160]
β.
Mitte.
Das claſſiſche Ideal der griechiſchen Phantaſie.
§. 434.
Die Phantaſie der Griechen als eines ſinnlich ſittlichen Volkes (§. 348.
349) erhebt ohne Bruch in ſtetigem Fortſchritte die Naturreligion in die ethiſche,
das Symbol in den Mythus. Sie bleibt alſo Polytheiſmus, aber auf die
Naturgrundlagen, woraus Vielheit der Götter entſteht, trägt ſie nicht bloß ober-
flächlich ſittliche Bedeutung ein, ſondern kehrt im Fortgang den Ausgang um,
ſo daß die ſittliche Bedeutung, ſchon an ſich über mehrere Sphären ſich erſtreckend,
zum lebendigen Pathos einer mit dem ganzen Umkreis menſchlicher Empfindun-
gen und Intereſſen erfüllten Perſönlichkeit wird, deren leibliche Erſcheinung
ſich ſelbſt deutet. Die halb mythiſchen, halb blos ſymboliſchen Naturgötter
werden als durch die neue Götterordnung beſiegt dargeſtellt, das Symboliſche
der Naturgrundlage der letzteren iſt vergeſſen; was davon übrig bleibt, iſt theils
zu einem leichten Nachklange in der Geſtalt herabgeſetzt, theils als ſinnliches
Intereſſe in eine Handlung aufgegangen.
1. Dieß alſo iſt der zweite der von der ägyptiſchen Religion weiter
führenden Wege (vergl. §. 433 Anm. 1), es iſt der humane Fortſchritt
im Uebergange der Religion nach Europa, während die ſcharfe monotheiſti-
ſche Scheidung in der jüdiſchen Religion noch aſiatiſche Starrheit iſt. Die
griechiſchen Götter ſind urſprünglich aſiatiſche, (indiſche, ſemitiſche, ägyptiſche)
Naturgötter, erſcheinen in Griechenland vorerſt als Localgötter und ihre
Vereinigung zu einem Olymp iſt vorerſt Zuſammenfluß örtlicher Culte,
dann geiſtige, der Meinung nach univerſelle Erhebung in ſittlich politiſche
Bedeutung. Dieſe tritt nun in Vordergrund, wird zum Erſten, und was
vorher das Erſte war, tritt zurück in die Perſpective. Die ſittliche Be-
deutung aber kann, weil es hier Ernſt mit ihr iſt, als Seele und Willen
einer Perſon angeſchaut werden, zu deren weiteren, ſinnlicheren Gemüths-
bewegungen ſo wie zu ihrer Geſtalt die urſprüngliche Naturbedeutung den
Grund gelegt hat, ſo daß z. B. Göttern der Fruchtbarkeit, des Naturſegens
der weichere und üppigere Körperbau, das liebesluſtige Gemüth, Göttern
des ſcharf beſcheinenden Lichtes, der feineren, aus Waſſer und Feuer ſich
entwindenden Materie der ſchlankere, ſtraffere Leib, das ernſtere, kältere
Gemüth geliehen wird. Das ſymboliſche Verhältniß iſt zu Ende; Poſei-
don bedeutet nicht das Meer, ſondern das Meer iſt ein Geiſt und dieſer
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