Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
theils daß sie nur symbolische Handlung war. Mit diesem letzten Be- Um dieses Zurücksinkens in das Symbol willen kann man nun aller- §. 428. Neben der Göttersymbolik ergreift die orientalische Phantasie allerdings1
theils daß ſie nur ſymboliſche Handlung war. Mit dieſem letzten Be- Um dieſes Zurückſinkens in das Symbol willen kann man nun aller- §. 428. Neben der Götterſymbolik ergreift die orientaliſche Phantaſie allerdings1 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0137" n="423"/> theils daß ſie nur ſymboliſche Handlung war. Mit dieſem letzten Be-<lb/> griffe weichen wir, ſo ſcheint es, von dem richtigen Sinne des Symbols<lb/> als eines räumlichen, ruhenden Körpers, der eine ihm fremde Idee be-<lb/> deutet, ja von unſerem eigenen Satze, der den Mythus in das ſucceſſiv<lb/> Bewegte des Thuns ſetzt, völlig ab; allein wir verſtehen die ſymboliſche<lb/> Handlung ſo: dem Gotte ſoll es mit ſeinem Thun ein Ernſt ſein, der<lb/> Zweck ſein Gemüth bewegen; Handlungen aber wie die Verſtümmlung<lb/> des Oſiris durch Typhon, das Durchbohren des Stiers durch Mithras<lb/> geſchehen nicht oder nicht im Ernſte mit Gemüthsbewegung, da iſt das<lb/> Einzelne, das verſtümmelte Glied, der Dolch, die Wunde, das Blut<lb/> u. ſ. w. das Weſentliche, es iſt nur eine, durch kein innerlich lebendi-<lb/> ges Thun in beſeelten Fluß gebrachte Reihe von Symbolen, und ſo ver-<lb/> hält es ſich auch mit den religiöſen Ceremonien, die der Prieſter verrichtet<lb/> und die wir ohne Widerſpruch mit dem wahren Sinne des Symbols ſym-<lb/> boliſche Handlungen nennen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Um dieſes Zurückſinkens in das Symbol willen kann man nun aller-<lb/> dings die Göttergeſtalten der orientaliſchen (nicht der griechiſchen) Reli-<lb/> gion noch ſymboliſch nennen, wenn man nur hinzuſetzt, daß ſie dieß<lb/> durch einen Widerſpruch ſind. Oſiris <hi rendition="#g">bedeutet</hi> die Sonne, den Nil<lb/> (den Ackerbau, die Staatengründung eigentlich nicht, darin iſt er wieder<lb/> mythiſch, denn das iſt ſittlicher Zweck), Ormuzd das Urlicht, die Sonne<lb/> u. ſ. w. Und ſo haben wir ſchon hier die Ineinanderſchachtelung von<lb/> Symbolen: der Gott bedeutet eine Naturerſcheinung, dieſe eine Naturkraft<lb/> und die Naturkraft überhaupt. Allein dieß Ineinanderſchieben verviel-<lb/> fältigt ſich auch abgeſehen davon durch die Vielfältigkeit der rein ſymbo-<lb/> liſchen Bilder, die, um verſchiedener Vergleichungspunkte willen, daſſelbe<lb/> Naturobject bedeuten, während dieſes wieder die Naturkraft und die Na-<lb/> tur überhaupt bedeutet.</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 428.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Neben der Götterſymbolik ergreift die orientaliſche Phantaſie allerdings<note place="right">1</note><lb/> zunächſt unbefangen auch die urſprüngliche Stoffwelt und hier erweitert ſie ſich<lb/> in mehr zuſammenhängender Weiſe zu der Richtung auf die menſchliche Schön-<lb/> heit, insbeſondere in der <hi rendition="#g">Sage</hi>, welche die gegebenen Anfänge der Geſchichte<lb/> idealiſirt, während der Mythus eine beſtehende Ordnung dadurch zu erklären<lb/> ſucht, daß er die Idee derſelben als Geſchichte in die Urzeit wirſt. Allein<note place="right">2</note><lb/> jeder Zuſammenhang dieſer Richtung der Phantaſie wird dadurch wieder zerbro-<lb/> chen, daß theils die Einmiſchung des ſymboliſchen Halbmythus die Naturgeſetze<lb/> jener urſprünglichen Stoffwelt durcheinanderwirft, theils die Sage für ſich ſchon<lb/> durch unvermittelten Ruck ihres Stoffs in die Idee daſſelbe thut.</hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [423/0137]
theils daß ſie nur ſymboliſche Handlung war. Mit dieſem letzten Be-
griffe weichen wir, ſo ſcheint es, von dem richtigen Sinne des Symbols
als eines räumlichen, ruhenden Körpers, der eine ihm fremde Idee be-
deutet, ja von unſerem eigenen Satze, der den Mythus in das ſucceſſiv
Bewegte des Thuns ſetzt, völlig ab; allein wir verſtehen die ſymboliſche
Handlung ſo: dem Gotte ſoll es mit ſeinem Thun ein Ernſt ſein, der
Zweck ſein Gemüth bewegen; Handlungen aber wie die Verſtümmlung
des Oſiris durch Typhon, das Durchbohren des Stiers durch Mithras
geſchehen nicht oder nicht im Ernſte mit Gemüthsbewegung, da iſt das
Einzelne, das verſtümmelte Glied, der Dolch, die Wunde, das Blut
u. ſ. w. das Weſentliche, es iſt nur eine, durch kein innerlich lebendi-
ges Thun in beſeelten Fluß gebrachte Reihe von Symbolen, und ſo ver-
hält es ſich auch mit den religiöſen Ceremonien, die der Prieſter verrichtet
und die wir ohne Widerſpruch mit dem wahren Sinne des Symbols ſym-
boliſche Handlungen nennen.
Um dieſes Zurückſinkens in das Symbol willen kann man nun aller-
dings die Göttergeſtalten der orientaliſchen (nicht der griechiſchen) Reli-
gion noch ſymboliſch nennen, wenn man nur hinzuſetzt, daß ſie dieß
durch einen Widerſpruch ſind. Oſiris bedeutet die Sonne, den Nil
(den Ackerbau, die Staatengründung eigentlich nicht, darin iſt er wieder
mythiſch, denn das iſt ſittlicher Zweck), Ormuzd das Urlicht, die Sonne
u. ſ. w. Und ſo haben wir ſchon hier die Ineinanderſchachtelung von
Symbolen: der Gott bedeutet eine Naturerſcheinung, dieſe eine Naturkraft
und die Naturkraft überhaupt. Allein dieß Ineinanderſchieben verviel-
fältigt ſich auch abgeſehen davon durch die Vielfältigkeit der rein ſymbo-
liſchen Bilder, die, um verſchiedener Vergleichungspunkte willen, daſſelbe
Naturobject bedeuten, während dieſes wieder die Naturkraft und die Na-
tur überhaupt bedeutet.
§. 428.
Neben der Götterſymbolik ergreift die orientaliſche Phantaſie allerdings
zunächſt unbefangen auch die urſprüngliche Stoffwelt und hier erweitert ſie ſich
in mehr zuſammenhängender Weiſe zu der Richtung auf die menſchliche Schön-
heit, insbeſondere in der Sage, welche die gegebenen Anfänge der Geſchichte
idealiſirt, während der Mythus eine beſtehende Ordnung dadurch zu erklären
ſucht, daß er die Idee derſelben als Geſchichte in die Urzeit wirſt. Allein
jeder Zuſammenhang dieſer Richtung der Phantaſie wird dadurch wieder zerbro-
chen, daß theils die Einmiſchung des ſymboliſchen Halbmythus die Naturgeſetze
jener urſprünglichen Stoffwelt durcheinanderwirft, theils die Sage für ſich ſchon
durch unvermittelten Ruck ihres Stoffs in die Idee daſſelbe thut.
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