Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.§. 330. Das Allgemeine vollzieht sich durch die besonderen Massen der Stände, 1. Die Stände, die unmittelbar mit der Natur beschäftigt sind, §. 330. Das Allgemeine vollzieht ſich durch die beſonderen Maſſen der Stände, 1. Die Stände, die unmittelbar mit der Natur beſchäftigt ſind, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0203" n="191"/> <div n="6"> <head>§. 330.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Das Allgemeine vollzieht ſich durch die beſonderen Maſſen der <hi rendition="#g">Stände</hi>,<lb/> und je mehr der Bau des Ganzen ſich gliedert und dadurch die Arbeit ſich<lb/> theilt, deſto beſtimmter und einſeitiger wird der Typus, den jedem Stande ſeine<lb/> Beſchäftigung aufdrückt. Wenn nun diejenigen Stände, welche ſich frei in der<note place="right">1</note><lb/> Natur bewegen, zunächſt im äſthetiſchen Vortheil zu ſein ſcheinen, aber durch<lb/> Entfremdung gegen geiſtiges Leben leicht in Nachtheil kommen, wenn diejenigen,<lb/> welche entweder in einem kleinlichen körperlichem Geſchäfte verſitzen oder<lb/> durch geiſtige Arbeit von der Natur abgezogen werden, leicht in’s Komiſche<lb/> fallen, ſo fordert das Geſetz des Schönen eine flüſſige Vielſeitigkeit, worin kein<note place="right">2</note><lb/> Stand den Geſchäften des andern ſich völlig entfremdet und ſo keiner naturlos<lb/> und keiner roh wird, ſondern jeder nach Kräften ſich im Elemente der ganzen<lb/> Menſchlichkeit bewegt. Eine der weſentlichſten Bedingungen hievon iſt all-<lb/> gemeine Wehrhaftigkeit.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die Stände, die unmittelbar mit der Natur beſchäftigt ſind,<lb/> erhalten ſich auch Naturfriſche, ſie unterliegen nicht jenem Gepräge,<lb/> das man „Geſchmäckchen“ nennt. Hieher gehört zunächſt der Fiſcher, der<lb/> Jäger, der Bauer. (Die Beſchäftigungen, die in §. 327 als allgemeine<lb/> Völkerverrichtungen erwähnt ſind, treten jetzt, im Staate, an Stände<lb/> vertheilt wieder auf). Den ſanfteren Gärtner müſſen wir noch neben den<lb/> derberen Bauern ſtellen und den myſtiſchen Bergmann erwähnen. Die<lb/> Stände des Gewerbes dagegen haben das Geſchmäckchen, denn ſie<lb/> arbeiten aus zweiter Hand, meiſt in geſchloſſenen Räumen, der Körper<lb/> verhockt, verkrümmt ſich irgendwie, der Geiſt wird in der Verſtändigkeit,<lb/> welche er ſeinen Stoff verarbeitend üben muß, wohlweis. Am meiſten<lb/> ſind ausgenommen Müller, denn die Mühlen liegen häufig in lieblichen<lb/> Thälern, wo ſie das nöthige Waſſer finden, dieſes flüſſige Element belebt,<lb/> die einfache Maſchine ſelbſt ſcheint lebendig, und Feuer-Arbeiter, wenigſtens<lb/> Schmiede, vorzüglich Waffenſchmiede. Am meiſten komiſchen Stoff bieten<lb/> Schneider und Schuſter, kein Handwerk verſitzt ſo ſehr und determinirt<lb/> den Körper ſo beſtimmt, daß der <hi rendition="#aq">habitus</hi> ſich, wie bei dieſen, ſelbſt auf<lb/> die Familie fortpflanzt. Ueber die Merkmale des Stempels, der ſich<lb/> dem Körper aufdrückt, hat bekanntlich <hi rendition="#g">Tieck</hi> in den Cevennen feine<lb/> Bemerkungen, die ſich leicht vermehren ließen. Den Uebergang zu den<lb/> geiſtigen Ständen macht der Handelsmann, deſſen Geſchäft zwar proſaiſch<lb/> iſt, dem aber vielfacher Verkehr, Reiſen, Unternehmungsgeiſt, weiter<lb/> Blick noch einen Ton von Leichtigkeit geben, die ihn ſehr von der<lb/> folgenden Gruppe unterſcheidet. Dieſe enthält die geiſtigen Stände:<lb/> Gelehrte, wozu Aerzte und Schulbeamte ſich ſtellen, und Staatsbeamte<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0203]
§. 330.
Das Allgemeine vollzieht ſich durch die beſonderen Maſſen der Stände,
und je mehr der Bau des Ganzen ſich gliedert und dadurch die Arbeit ſich
theilt, deſto beſtimmter und einſeitiger wird der Typus, den jedem Stande ſeine
Beſchäftigung aufdrückt. Wenn nun diejenigen Stände, welche ſich frei in der
Natur bewegen, zunächſt im äſthetiſchen Vortheil zu ſein ſcheinen, aber durch
Entfremdung gegen geiſtiges Leben leicht in Nachtheil kommen, wenn diejenigen,
welche entweder in einem kleinlichen körperlichem Geſchäfte verſitzen oder
durch geiſtige Arbeit von der Natur abgezogen werden, leicht in’s Komiſche
fallen, ſo fordert das Geſetz des Schönen eine flüſſige Vielſeitigkeit, worin kein
Stand den Geſchäften des andern ſich völlig entfremdet und ſo keiner naturlos
und keiner roh wird, ſondern jeder nach Kräften ſich im Elemente der ganzen
Menſchlichkeit bewegt. Eine der weſentlichſten Bedingungen hievon iſt all-
gemeine Wehrhaftigkeit.
1. Die Stände, die unmittelbar mit der Natur beſchäftigt ſind,
erhalten ſich auch Naturfriſche, ſie unterliegen nicht jenem Gepräge,
das man „Geſchmäckchen“ nennt. Hieher gehört zunächſt der Fiſcher, der
Jäger, der Bauer. (Die Beſchäftigungen, die in §. 327 als allgemeine
Völkerverrichtungen erwähnt ſind, treten jetzt, im Staate, an Stände
vertheilt wieder auf). Den ſanfteren Gärtner müſſen wir noch neben den
derberen Bauern ſtellen und den myſtiſchen Bergmann erwähnen. Die
Stände des Gewerbes dagegen haben das Geſchmäckchen, denn ſie
arbeiten aus zweiter Hand, meiſt in geſchloſſenen Räumen, der Körper
verhockt, verkrümmt ſich irgendwie, der Geiſt wird in der Verſtändigkeit,
welche er ſeinen Stoff verarbeitend üben muß, wohlweis. Am meiſten
ſind ausgenommen Müller, denn die Mühlen liegen häufig in lieblichen
Thälern, wo ſie das nöthige Waſſer finden, dieſes flüſſige Element belebt,
die einfache Maſchine ſelbſt ſcheint lebendig, und Feuer-Arbeiter, wenigſtens
Schmiede, vorzüglich Waffenſchmiede. Am meiſten komiſchen Stoff bieten
Schneider und Schuſter, kein Handwerk verſitzt ſo ſehr und determinirt
den Körper ſo beſtimmt, daß der habitus ſich, wie bei dieſen, ſelbſt auf
die Familie fortpflanzt. Ueber die Merkmale des Stempels, der ſich
dem Körper aufdrückt, hat bekanntlich Tieck in den Cevennen feine
Bemerkungen, die ſich leicht vermehren ließen. Den Uebergang zu den
geiſtigen Ständen macht der Handelsmann, deſſen Geſchäft zwar proſaiſch
iſt, dem aber vielfacher Verkehr, Reiſen, Unternehmungsgeiſt, weiter
Blick noch einen Ton von Leichtigkeit geben, die ihn ſehr von der
folgenden Gruppe unterſcheidet. Dieſe enthält die geiſtigen Stände:
Gelehrte, wozu Aerzte und Schulbeamte ſich ſtellen, und Staatsbeamte
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