Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
unsere Zeit in diesem Punkte geworden ist. Man denke z. B. nur an das
unſere Zeit in dieſem Punkte geworden iſt. Man denke z. B. nur an das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0202" n="190"/> unſere Zeit in dieſem Punkte geworden iſt. Man denke z. B. nur an das<lb/> luſtige Altengland! Es war hier auch der Gottesdienſt zu erwähnen. Das<lb/> innere Leben der Religion und ſeine Bedeutung für die Phantaſie gehört<lb/> allerdings nicht hieher, ſondern in den folgenden Abſchnitt, wohl aber,<lb/> was der Cultus dem Auge und Ohr an Schönheit darbietet, nicht die<lb/> Kunſtwerke nämlich, die ihn erhöhen, ſondern „das lebendige Kunſtwerk“,<lb/> der ſchöne Menſch, der in Aufzügen, Ceremonien, im Ausdruck der innerſten<lb/> Andacht ſelbſt zeigt, daß ſich ſein Gott nicht an ihm zu ſchämen hat.<lb/> Es wird durch die Erwähnung auch dieſer Formen, welche ſich nicht nur<lb/> der ſittliche, ſondern der abſolute Geiſt als religiöſes Bewußtſein gibt,<lb/> dem Satze §. 24 und 25, daß die Religion dem Schönen keinen neuen<lb/> Inhalt gebe, ſondern ihren Inhalt mit dem Schönen gemein habe und<lb/> ihn in einer gewiſſen, dem Schönen verwandten Weiſe geformt dieſem<lb/> entgegenbringe, nicht widerſprochen, denn nicht von den Vorſtellungen iſt<lb/> hier die Rede, ſondern nur davon, welche Erſcheinung ſie ſich im Gottes-<lb/> dienſte als einem Schauſpiel (für den Künſtler) geben. Es iſt daſſelbe<lb/> ſittliche Leben, das ſich im Staate Wirklichkeit gibt, das ſich die Völker in<lb/> der Religion als Gott vorſtellen und verehren. Die Formen dieſer Ver-<lb/> ehrung entſprechen daher in ihrem Charakter genau den Formen, wodurch<lb/> der Staat ſich äſthetiſch repräſentirt. Athene iſt das attiſche Volk und die<lb/> Griechen feiern ſie durch jenen herrlichen Aufzug der Panathenäen, worin<lb/> ſie im Grunde ſich, ihrem reinen Genius, die Herrlichkeit aller Künſte,<lb/> Thätigkeiten, Producte des Staates zur Schau ſtellen. Die chriſtliche<lb/> Religion hat nicht den Volksgenius, ſondern allgemeiner den Genius der<lb/> Menſchheit zum Inhalt, aber auch dieſer iſt nichts anders, als die nach der<lb/> Stufe der Völkerbildung vorgeſtellte, durch die beſondere Art der einzelnen<lb/> chriſtlichen Völker überdieß auch hier ſehr beſtimmt gefärbte Vorſtellung<lb/> von allen natürlichen und ſittlichen Mächten in einer perſönlichen Einheit;<lb/> es wird die neu aufgegangene Gemüthstiefe verehrt und der Cultus hat<lb/> daſſelbe Gepräge, wie das ritterliche Leben, hart und glänzend zugleich.<lb/> Wo aber der Staat proſaiſch abſtract wird, ebenda wird der Cultus<lb/> abſtract innerlich und gibt der Schönheit keinen Stoff mehr. Aller Cultus<lb/> theilt ſich in das Moment der Entſagung, der Einkehr in das Innere,<lb/> und der Heiterkeit im Bewußtſein der gewonnenen Verſöhnung. Das erſte<lb/> Moment wird im abſtracten Cultus zum Ganzen; daß in der Verſöhnung<lb/> auch die Sinnlichkeit verklärt und geweiht iſt, daher ihre Feſtesfreude<lb/> haben ſoll in Spiel und jedem freien, geſunden Genuſſe, wird verkannt.<lb/> Ungebrochnere Völker aber knüpfen eben an das zweite Moment ihre<lb/> heiterſten weltlichen oder vielmehr dem falſchen Gegenſatze des Weltlichen<lb/> und Geiſtlichen fremden Volksfeſte.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0202]
unſere Zeit in dieſem Punkte geworden iſt. Man denke z. B. nur an das
luſtige Altengland! Es war hier auch der Gottesdienſt zu erwähnen. Das
innere Leben der Religion und ſeine Bedeutung für die Phantaſie gehört
allerdings nicht hieher, ſondern in den folgenden Abſchnitt, wohl aber,
was der Cultus dem Auge und Ohr an Schönheit darbietet, nicht die
Kunſtwerke nämlich, die ihn erhöhen, ſondern „das lebendige Kunſtwerk“,
der ſchöne Menſch, der in Aufzügen, Ceremonien, im Ausdruck der innerſten
Andacht ſelbſt zeigt, daß ſich ſein Gott nicht an ihm zu ſchämen hat.
Es wird durch die Erwähnung auch dieſer Formen, welche ſich nicht nur
der ſittliche, ſondern der abſolute Geiſt als religiöſes Bewußtſein gibt,
dem Satze §. 24 und 25, daß die Religion dem Schönen keinen neuen
Inhalt gebe, ſondern ihren Inhalt mit dem Schönen gemein habe und
ihn in einer gewiſſen, dem Schönen verwandten Weiſe geformt dieſem
entgegenbringe, nicht widerſprochen, denn nicht von den Vorſtellungen iſt
hier die Rede, ſondern nur davon, welche Erſcheinung ſie ſich im Gottes-
dienſte als einem Schauſpiel (für den Künſtler) geben. Es iſt daſſelbe
ſittliche Leben, das ſich im Staate Wirklichkeit gibt, das ſich die Völker in
der Religion als Gott vorſtellen und verehren. Die Formen dieſer Ver-
ehrung entſprechen daher in ihrem Charakter genau den Formen, wodurch
der Staat ſich äſthetiſch repräſentirt. Athene iſt das attiſche Volk und die
Griechen feiern ſie durch jenen herrlichen Aufzug der Panathenäen, worin
ſie im Grunde ſich, ihrem reinen Genius, die Herrlichkeit aller Künſte,
Thätigkeiten, Producte des Staates zur Schau ſtellen. Die chriſtliche
Religion hat nicht den Volksgenius, ſondern allgemeiner den Genius der
Menſchheit zum Inhalt, aber auch dieſer iſt nichts anders, als die nach der
Stufe der Völkerbildung vorgeſtellte, durch die beſondere Art der einzelnen
chriſtlichen Völker überdieß auch hier ſehr beſtimmt gefärbte Vorſtellung
von allen natürlichen und ſittlichen Mächten in einer perſönlichen Einheit;
es wird die neu aufgegangene Gemüthstiefe verehrt und der Cultus hat
daſſelbe Gepräge, wie das ritterliche Leben, hart und glänzend zugleich.
Wo aber der Staat proſaiſch abſtract wird, ebenda wird der Cultus
abſtract innerlich und gibt der Schönheit keinen Stoff mehr. Aller Cultus
theilt ſich in das Moment der Entſagung, der Einkehr in das Innere,
und der Heiterkeit im Bewußtſein der gewonnenen Verſöhnung. Das erſte
Moment wird im abſtracten Cultus zum Ganzen; daß in der Verſöhnung
auch die Sinnlichkeit verklärt und geweiht iſt, daher ihre Feſtesfreude
haben ſoll in Spiel und jedem freien, geſunden Genuſſe, wird verkannt.
Ungebrochnere Völker aber knüpfen eben an das zweite Moment ihre
heiterſten weltlichen oder vielmehr dem falſchen Gegenſatze des Weltlichen
und Geiſtlichen fremden Volksfeſte.
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