Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gion, um unantastbar zu sein: das fand bessern Eingang, da
es praktischer zu verstehen war. Aber meine eigne Meinung
ward mich gelehrt: und wahrscheinlich überhört, daß ich sagte:
eine Religion könne nicht deduzirt werden; (sie muß offenbart
als Gebot werden: oder bewiesen durch Wunder, wozu sich
Christus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) sonst ist
sie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.

Das ist aber das Schöne unseres jetzigen Zustandes, daß
das Gute und Heilsame bewiesen werden kann, -- und also
bewiesen werden muß, -- und daß das für Recht Anerkannte
uns zum Höchsten in uns führt, und so von uns geehrt
wird, wie die unerwartetste Offenbarung, von Chören von
Engeln aus den Wolken gereicht! Diese unumstößliche Aner-
kennung des Rechten, diese heilig gewordene Verehrung da-
für, ist jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das ist jetzt
das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi-
denz, der nichts widerstehen kann, die alle Gesichte nach und
nach ausschließt. Jeder muß seine bildlichen Privatvorstellun-
gen seines Verhältnisses zum großen Gott aus den Mitteln
seiner eignen Phantasie nehmen.



An den Fürsten von Pückler-Muskau.

Küßt man doch eine gelungene Pflanze -- zartere in
Gedanken -- lobt, grüßt man sie! Wie selten ist mir in
der Welt ein Kern des Menschen, sein Herz, so gelungen

gion, um unantaſtbar zu ſein: das fand beſſern Eingang, da
es praktiſcher zu verſtehen war. Aber meine eigne Meinung
ward mich gelehrt: und wahrſcheinlich überhört, daß ich ſagte:
eine Religion könne nicht deduzirt werden; (ſie muß offenbart
als Gebot werden: oder bewieſen durch Wunder, wozu ſich
Chriſtus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) ſonſt iſt
ſie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.

Das iſt aber das Schöne unſeres jetzigen Zuſtandes, daß
das Gute und Heilſame bewieſen werden kann, — und alſo
bewieſen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte
uns zum Höchſten in uns führt, und ſo von uns geehrt
wird, wie die unerwartetſte Offenbarung, von Chören von
Engeln aus den Wolken gereicht! Dieſe unumſtößliche Aner-
kennung des Rechten, dieſe heilig gewordene Verehrung da-
für, iſt jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das iſt jetzt
das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi-
denz, der nichts widerſtehen kann, die alle Geſichte nach und
nach ausſchließt. Jeder muß ſeine bildlichen Privatvorſtellun-
gen ſeines Verhältniſſes zum großen Gott aus den Mitteln
ſeiner eignen Phantaſie nehmen.



An den Fürſten von Pückler-Muskau.

Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in
Gedanken — lobt, grüßt man ſie! Wie ſelten iſt mir in
der Welt ein Kern des Menſchen, ſein Herz, ſo gelungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0564" n="556"/>
gion, um unanta&#x017F;tbar zu &#x017F;ein: das fand be&#x017F;&#x017F;ern Eingang, da<lb/>
es prakti&#x017F;cher zu ver&#x017F;tehen war. Aber meine eigne Meinung<lb/>
ward mich gelehrt: und wahr&#x017F;cheinlich überhört, daß ich &#x017F;agte:<lb/>
eine Religion könne nicht deduzirt werden; (&#x017F;ie muß offenbart<lb/>
als Gebot werden: oder bewie&#x017F;en durch Wunder, wozu &#x017F;ich<lb/>
Chri&#x017F;tus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) &#x017F;on&#x017F;t i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.</p><lb/>
            <p>Das i&#x017F;t aber das Schöne un&#x017F;eres jetzigen Zu&#x017F;tandes, daß<lb/>
das Gute und Heil&#x017F;ame bewie&#x017F;en werden kann, &#x2014; und al&#x017F;o<lb/>
bewie&#x017F;en werden muß, &#x2014; und daß das für Recht Anerkannte<lb/>
uns <hi rendition="#g">zum Höch&#x017F;ten in uns führt</hi>, und &#x017F;o von uns geehrt<lb/>
wird, wie die unerwartet&#x017F;te Offenbarung, von Chören von<lb/>
Engeln aus den Wolken gereicht! Die&#x017F;e unum&#x017F;tößliche Aner-<lb/>
kennung des Rechten, die&#x017F;e heilig gewordene Verehrung da-<lb/>
für, i&#x017F;t jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das i&#x017F;t jetzt<lb/>
das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi-<lb/>
denz, der nichts wider&#x017F;tehen kann, die alle Ge&#x017F;ichte nach und<lb/>
nach aus&#x017F;chließt. Jeder muß &#x017F;eine bildlichen Privatvor&#x017F;tellun-<lb/>
gen &#x017F;eines Verhältni&#x017F;&#x017F;es zum großen Gott aus den Mitteln<lb/>
&#x017F;einer eignen Phanta&#x017F;ie nehmen.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An den Für&#x017F;ten von Pückler-Muskau.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 18. Februar 1832.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Küßt man doch eine gelungene Pflanze &#x2014; zartere in<lb/>
Gedanken &#x2014; lobt, grüßt man &#x017F;ie! <hi rendition="#g">Wie &#x017F;elten</hi> i&#x017F;t mir in<lb/>
der Welt ein Kern des Men&#x017F;chen, &#x017F;ein Herz, &#x017F;o gelungen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[556/0564] gion, um unantaſtbar zu ſein: das fand beſſern Eingang, da es praktiſcher zu verſtehen war. Aber meine eigne Meinung ward mich gelehrt: und wahrſcheinlich überhört, daß ich ſagte: eine Religion könne nicht deduzirt werden; (ſie muß offenbart als Gebot werden: oder bewieſen durch Wunder, wozu ſich Chriſtus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) ſonſt iſt ſie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht. Das iſt aber das Schöne unſeres jetzigen Zuſtandes, daß das Gute und Heilſame bewieſen werden kann, — und alſo bewieſen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte uns zum Höchſten in uns führt, und ſo von uns geehrt wird, wie die unerwartetſte Offenbarung, von Chören von Engeln aus den Wolken gereicht! Dieſe unumſtößliche Aner- kennung des Rechten, dieſe heilig gewordene Verehrung da- für, iſt jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das iſt jetzt das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi- denz, der nichts widerſtehen kann, die alle Geſichte nach und nach ausſchließt. Jeder muß ſeine bildlichen Privatvorſtellun- gen ſeines Verhältniſſes zum großen Gott aus den Mitteln ſeiner eignen Phantaſie nehmen. An den Fürſten von Pückler-Muskau. Sonnabend, den 18. Februar 1832. Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in Gedanken — lobt, grüßt man ſie! Wie ſelten iſt mir in der Welt ein Kern des Menſchen, ſein Herz, ſo gelungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/564
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/564>, abgerufen am 22.12.2024.