wann. Sein Sie ja vergnügt, und heilen Sie Ihr Auge.
Adieu. Fr. V.
-- Noch hat mir keiner die Ähnlichkeit des Bildes abge- stritten; ich erwarte aber auch solche Geschöpfe, denn was ist leider evident, als Idealismus! Mit dieser Melancholie will ich enden, die für Plebejer nur ein Scherz ist, wovon alle My- stiker aber entstehen. Sur ca Dieu vous benisse! --
An Gentz, in Wien.
Mittwoch, den 23. November 1831.
Dunstiges, trübes, feuchtes, nebliges November- wetter; hinter welchem, wirklich wie hinter einem weiten Schleier, die Sonne kiekelt.
Und so ist es mit allen uns bewußten Dingen: das Schöne will hervor, das Gute, das Reine, das Freie, Glück (unver- letztes), Heiligkeit! Alles ist gestört: Chaos lebt noch. So sehe ich endlich im Alter unsern Zustand, in intellektueller, naturhistorischer, ethischer, politischer Hinsicht an. Das Wort steht da: Alter. Aber nicht unglücklicher bin ich, als in der Jugend. Keinen heftigeren Herzenszustand giebt es in dieser Welt, als den, glücklich sein zu wollen; dies zu erhoffen; noch zu glauben, daß solche Zustände für irgend jemand exi- stiren: der ganz feinsinnig, tief, und blühend intelligent ist, und ein starkes, und zartes Herz hat; -- darunter verstehe ich das ganze Faser- und Nervensystem, mit allen seinen Depen- denzen: findet kein Ganzes in irgend einer Kombination von Umständen, zu Einem Zustand gestaltet, der seinen gerechten
wann. Sein Sie ja vergnügt, und heilen Sie Ihr Auge.
Adieu. Fr. V.
— Noch hat mir keiner die Ähnlichkeit des Bildes abge- ſtritten; ich erwarte aber auch ſolche Geſchöpfe, denn was iſt leider evident, als Idealismus! Mit dieſer Melancholie will ich enden, die für Plebejer nur ein Scherz iſt, wovon alle My- ſtiker aber entſtehen. Sur ça Dieu vous bénisse! —
An Gentz, in Wien.
Mittwoch, den 23. November 1831.
Dunſtiges, trübes, feuchtes, nebliges November- wetter; hinter welchem, wirklich wie hinter einem weiten Schleier, die Sonne kiekelt.
Und ſo iſt es mit allen uns bewußten Dingen: das Schöne will hervor, das Gute, das Reine, das Freie, Glück (unver- letztes), Heiligkeit! Alles iſt geſtört: Chaos lebt noch. So ſehe ich endlich im Alter unſern Zuſtand, in intellektueller, naturhiſtoriſcher, ethiſcher, politiſcher Hinſicht an. Das Wort ſteht da: Alter. Aber nicht unglücklicher bin ich, als in der Jugend. Keinen heftigeren Herzenszuſtand giebt es in dieſer Welt, als den, glücklich ſein zu wollen; dies zu erhoffen; noch zu glauben, daß ſolche Zuſtände für irgend jemand exi- ſtiren: der ganz feinſinnig, tief, und blühend intelligent iſt, und ein ſtarkes, und zartes Herz hat; — darunter verſtehe ich das ganze Faſer- und Nervenſyſtem, mit allen ſeinen Depen- denzen: findet kein Ganzes in irgend einer Kombination von Umſtänden, zu Einem Zuſtand geſtaltet, der ſeinen gerechten
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wann. Sein Sie ja vergnügt, und heilen Sie Ihr Auge.
Adieu. Fr. V.
— Noch hat mir keiner die Ähnlichkeit des Bildes abge-
ſtritten; ich erwarte aber auch ſolche Geſchöpfe, denn was iſt
leider evident, als Idealismus! Mit dieſer Melancholie will
ich enden, die für Plebejer nur ein Scherz iſt, wovon alle My-
ſtiker aber entſtehen. Sur ça Dieu vous bénisse! —
An Gentz, in Wien.
Mittwoch, den 23. November 1831.
Dunſtiges, trübes, feuchtes, nebliges November-
wetter; hinter welchem, wirklich wie hinter
einem weiten Schleier, die Sonne kiekelt.
Und ſo iſt es mit allen uns bewußten Dingen: das Schöne
will hervor, das Gute, das Reine, das Freie, Glück (unver-
letztes), Heiligkeit! Alles iſt geſtört: Chaos lebt noch. So
ſehe ich endlich im Alter unſern Zuſtand, in intellektueller,
naturhiſtoriſcher, ethiſcher, politiſcher Hinſicht an. Das Wort
ſteht da: Alter. Aber nicht unglücklicher bin ich, als in der
Jugend. Keinen heftigeren Herzenszuſtand giebt es in dieſer
Welt, als den, glücklich ſein zu wollen; dies zu erhoffen;
noch zu glauben, daß ſolche Zuſtände für irgend jemand exi-
ſtiren: der ganz feinſinnig, tief, und blühend intelligent iſt,
und ein ſtarkes, und zartes Herz hat; — darunter verſtehe ich
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denzen: findet kein Ganzes in irgend einer Kombination von
Umſtänden, zu Einem Zuſtand geſtaltet, der ſeinen gerechten
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/547>, abgerufen am 22.12.2024.
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