Windiges warmes Sonnenwetter nach einem Gewitter, von welchem ich gestern die Zeit unmittelbar nachher benutzte, und um halb 7 nach Schöneberg fuhr.
Sehr schöne Fahrt; die Kinder waren nicht mit; sie fuh- ren mit den Eltern -- so hieß es -- oder auch nicht; denn, andre Leute fahren nicht im Regen ab, wie ich: obgleich ich den unendlichsten Spazirgängern und Fahrern begegnete: und eine Unzahl wunderschöner Mädchen rückwärts. Mit uns war Hr. Poley. Wir tranken den schönsten mitgenommenen Kaffee mit Pretzel im letzten Wirthshaus in Schöneberg; und fuhren, nach einer Fußpromenade gegen Steglitz, -- göttlich! -- zu Henriette Solmar. -- Auf dem Steglitzer Weg fuhr auch Mad. Spontini mit dem großen Meister ohne Bedienten klug spaziren: sie ließen halten; ich trat an den Wagen: sie be- dauerten unendlich, daß sie mir zu des Königs Geburtstag keinen Platz mehr in ihrer Loge zu geben hatten; sie hatte mir geschrieben, daß sie dem Grafen schriebe: aber es war vergeblich: nie -- so hörte ich schon, soll es so voll gewesen sein. Ich aber hatte das Glück, Spontini's Festmarsch und Chöre im Blumengarten den Tag nachher vollkommenst zu hören, so -- daß applaudirt und bravo von achthundert Menschen geschrieen wurde, Viertelstunden applaudirt: bravo Spontini. Das erzähle ich ihm: zum Lohn, daß er mir von Roberts Rede erzählte, -- was ich schon wußte, -- daß sie mittendrin -- nie geschehn -- applaudirt ward, und einen
An Ludwig Robert, in Baden.
Montag, den 8. Auguſt 1831. 12 Uhr Mittags.
Windiges warmes Sonnenwetter nach einem Gewitter, von welchem ich geſtern die Zeit unmittelbar nachher benutzte, und um halb 7 nach Schöneberg fuhr.
Sehr ſchöne Fahrt; die Kinder waren nicht mit; ſie fuh- ren mit den Eltern — ſo hieß es — oder auch nicht; denn, andre Leute fahren nicht im Regen ab, wie ich: obgleich ich den unendlichſten Spazirgängern und Fahrern begegnete: und eine Unzahl wunderſchöner Mädchen rückwärts. Mit uns war Hr. Poley. Wir tranken den ſchönſten mitgenommenen Kaffee mit Pretzel im letzten Wirthshaus in Schöneberg; und fuhren, nach einer Fußpromenade gegen Steglitz, — göttlich! — zu Henriette Solmar. — Auf dem Steglitzer Weg fuhr auch Mad. Spontini mit dem großen Meiſter ohne Bedienten klug ſpaziren: ſie ließen halten; ich trat an den Wagen: ſie be- dauerten unendlich, daß ſie mir zu des Königs Geburtstag keinen Platz mehr in ihrer Loge zu geben hatten; ſie hatte mir geſchrieben, daß ſie dem Grafen ſchriebe: aber es war vergeblich: nie — ſo hörte ich ſchon, ſoll es ſo voll geweſen ſein. Ich aber hatte das Glück, Spontini’s Feſtmarſch und Chöre im Blumengarten den Tag nachher vollkommenſt zu hören, ſo — daß applaudirt und bravo von achthundert Menſchen geſchrieen wurde, Viertelſtunden applaudirt: bravo Spontini. Das erzähle ich ihm: zum Lohn, daß er mir von Roberts Rede erzählte, — was ich ſchon wußte, — daß ſie mittendrin — nie geſchehn — applaudirt ward, und einen
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An Ludwig Robert, in Baden.
Montag, den 8. Auguſt 1831. 12 Uhr Mittags.
Windiges warmes Sonnenwetter nach einem Gewitter,
von welchem ich geſtern die Zeit unmittelbar nachher
benutzte, und um halb 7 nach Schöneberg fuhr.
Sehr ſchöne Fahrt; die Kinder waren nicht mit; ſie fuh-
ren mit den Eltern — ſo hieß es — oder auch nicht; denn,
andre Leute fahren nicht im Regen ab, wie ich: obgleich ich
den unendlichſten Spazirgängern und Fahrern begegnete: und
eine Unzahl wunderſchöner Mädchen rückwärts. Mit uns war
Hr. Poley. Wir tranken den ſchönſten mitgenommenen Kaffee
mit Pretzel im letzten Wirthshaus in Schöneberg; und fuhren,
nach einer Fußpromenade gegen Steglitz, — göttlich! —
zu Henriette Solmar. — Auf dem Steglitzer Weg fuhr auch
Mad. Spontini mit dem großen Meiſter ohne Bedienten klug
ſpaziren: ſie ließen halten; ich trat an den Wagen: ſie be-
dauerten unendlich, daß ſie mir zu des Königs Geburtstag
keinen Platz mehr in ihrer Loge zu geben hatten; ſie hatte
mir geſchrieben, daß ſie dem Grafen ſchriebe: aber es war
vergeblich: nie — ſo hörte ich ſchon, ſoll es ſo voll geweſen
ſein. Ich aber hatte das Glück, Spontini’s Feſtmarſch und
Chöre im Blumengarten den Tag nachher vollkommenſt zu
hören, ſo — daß applaudirt und bravo von achthundert
Menſchen geſchrieen wurde, Viertelſtunden applaudirt: bravo
Spontini. Das erzähle ich ihm: zum Lohn, daß er mir von
Roberts Rede erzählte, — was ich ſchon wußte, — daß ſie
mittendrin — nie geſchehn — applaudirt ward, und einen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/518>, abgerufen am 20.11.2024.
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