Montag, den 23. März 1829. 11 Uhr, helle Sonne, die durchgebrochen; eiskalter, luftleerer, dezidirte- ster Nordost wind! der Thiergarten zum ernste- sten Vermeiden, kellernaß, und nicht völlig seines Eises entledigt.
Ich habe seit acht oder sechs Tagen all unsre Umgegend in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geschlos- senen Wagen durchprobirt. Nur im Bouche'schen Garten ist Mittags bei West- oder Südwind Weile. Ich war wieder krank, beste Minna, und bin noch auf grausame Weise leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und rede laut zu ihm. Sie wissen es, in dieser Rubrik exagerire ich nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergesse das Leid; aber das geht über meine gewesenen Kräfte. Jetzt wie ich hier sitze; habe ich mich nur zurecht gewaschen und frottirt; und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten Frühling: auf leidlichere Gesundheit; auf unser Beisammen- sein! Sie kommen, so wie das Wetter sich nur ein wenig gesetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt ist! Ich weiß es nur einen Tag voraus; das ist genug. -- Wir leben sehr schön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander! -- So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver- tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.
Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke, der mich so finden soll!
An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.
Montag, den 23. März 1829. 11 Uhr, helle Sonne, die durchgebrochen; eiskalter, luftleerer, dezidirte- ſter Nordoſt wind! der Thiergarten zum ernſte- ſten Vermeiden, kellernaß, und nicht völlig ſeines Eiſes entledigt.
Ich habe ſeit acht oder ſechs Tagen all unſre Umgegend in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geſchloſ- ſenen Wagen durchprobirt. Nur im Bouché’ſchen Garten iſt Mittags bei Weſt- oder Südwind Weile. Ich war wieder krank, beſte Minna, und bin noch auf grauſame Weiſe leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und rede laut zu ihm. Sie wiſſen es, in dieſer Rubrik exagerire ich nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergeſſe das Leid; aber das geht über meine geweſenen Kräfte. Jetzt wie ich hier ſitze; habe ich mich nur zurecht gewaſchen und frottirt; und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten Frühling: auf leidlichere Geſundheit; auf unſer Beiſammen- ſein! Sie kommen, ſo wie das Wetter ſich nur ein wenig geſetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt iſt! Ich weiß es nur einen Tag voraus; das iſt genug. — Wir leben ſehr ſchön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander! — So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver- tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.
Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke, der mich ſo finden ſoll!
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0388"n="380"/><divn="2"><head>An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Montag, den 23. März 1829. 11 Uhr, helle Sonne,<lb/>
die durchgebrochen; eiskalter, luftleerer, dezidirte-<lb/>ſter <hirendition="#g">Nordoſt</hi> wind! der Thiergarten zum ernſte-<lb/>ſten Vermeiden, kellernaß, und nicht völlig ſeines<lb/>
Eiſes entledigt.</hi></dateline><lb/><p>Ich habe ſeit acht oder ſechs Tagen all unſre Umgegend<lb/><hirendition="#g">in</hi> und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geſchloſ-<lb/>ſenen Wagen durchprobirt. Nur im Bouch<hirendition="#aq">é</hi>’ſchen Garten iſt<lb/><hirendition="#g">Mittags</hi> bei Weſt- oder Südwind Weile. Ich war wieder<lb/><hirendition="#g">krank</hi>, beſte Minna, und bin noch auf <hirendition="#g">grauſame</hi> Weiſe<lb/>
leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und<lb/>
rede laut zu ihm. Sie wiſſen es, in dieſer Rubrik exagerire ich<lb/>
nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergeſſe das Leid;<lb/>
aber <hirendition="#g">das</hi> geht über meine geweſenen Kräfte. Jetzt wie ich<lb/>
hier ſitze; habe ich mich nur zurecht gewaſchen und frottirt;<lb/>
und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber<lb/>
ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten<lb/>
Frühling: auf leidlichere Geſundheit; auf unſer Beiſammen-<lb/>ſein! Sie kommen, ſo <hirendition="#g">wie</hi> das Wetter ſich nur ein wenig<lb/>
geſetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt iſt! Ich<lb/>
weiß es nur einen Tag voraus; das iſt genug. — Wir leben<lb/><hirendition="#g">ſehr</hi>ſchön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander!<lb/>— So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer<lb/>
haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver-<lb/>
tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.</p><lb/><p>Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine<lb/><hirendition="#g">täglich bitterlich</hi>, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke,<lb/>
der mich <hirendition="#g">ſo</hi> finden ſoll!</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[380/0388]
An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.
Montag, den 23. März 1829. 11 Uhr, helle Sonne,
die durchgebrochen; eiskalter, luftleerer, dezidirte-
ſter Nordoſt wind! der Thiergarten zum ernſte-
ſten Vermeiden, kellernaß, und nicht völlig ſeines
Eiſes entledigt.
Ich habe ſeit acht oder ſechs Tagen all unſre Umgegend
in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geſchloſ-
ſenen Wagen durchprobirt. Nur im Bouché’ſchen Garten iſt
Mittags bei Weſt- oder Südwind Weile. Ich war wieder
krank, beſte Minna, und bin noch auf grauſame Weiſe
leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und
rede laut zu ihm. Sie wiſſen es, in dieſer Rubrik exagerire ich
nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergeſſe das Leid;
aber das geht über meine geweſenen Kräfte. Jetzt wie ich
hier ſitze; habe ich mich nur zurecht gewaſchen und frottirt;
und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber
ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten
Frühling: auf leidlichere Geſundheit; auf unſer Beiſammen-
ſein! Sie kommen, ſo wie das Wetter ſich nur ein wenig
geſetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt iſt! Ich
weiß es nur einen Tag voraus; das iſt genug. — Wir leben
ſehr ſchön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander!
— So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer
haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver-
tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.
Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine
täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke,
der mich ſo finden ſoll!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/388>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.