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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.


Ich habe seit acht oder sechs Tagen all unsre Umgegend
in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geschlos-
senen Wagen durchprobirt. Nur im Bouche'schen Garten ist
Mittags bei West- oder Südwind Weile. Ich war wieder
krank, beste Minna, und bin noch auf grausame Weise
leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und
rede laut zu ihm. Sie wissen es, in dieser Rubrik exagerire ich
nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergesse das Leid;
aber das geht über meine gewesenen Kräfte. Jetzt wie ich
hier sitze; habe ich mich nur zurecht gewaschen und frottirt;
und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber
ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten
Frühling: auf leidlichere Gesundheit; auf unser Beisammen-
sein! Sie kommen, so wie das Wetter sich nur ein wenig
gesetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt ist! Ich
weiß es nur einen Tag voraus; das ist genug. -- Wir leben
sehr schön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander!
-- So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer
haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver-
tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.

Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine
täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke,
der mich so finden soll!


An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.


Ich habe ſeit acht oder ſechs Tagen all unſre Umgegend
in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geſchloſ-
ſenen Wagen durchprobirt. Nur im Bouché’ſchen Garten iſt
Mittags bei Weſt- oder Südwind Weile. Ich war wieder
krank, beſte Minna, und bin noch auf grauſame Weiſe
leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und
rede laut zu ihm. Sie wiſſen es, in dieſer Rubrik exagerire ich
nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergeſſe das Leid;
aber das geht über meine geweſenen Kräfte. Jetzt wie ich
hier ſitze; habe ich mich nur zurecht gewaſchen und frottirt;
und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber
ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten
Frühling: auf leidlichere Geſundheit; auf unſer Beiſammen-
ſein! Sie kommen, ſo wie das Wetter ſich nur ein wenig
geſetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt iſt! Ich
weiß es nur einen Tag voraus; das iſt genug. — Wir leben
ſehr ſchön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander!
— So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer
haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver-
tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.

Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine
täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke,
der mich ſo finden ſoll!


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[380/0388] An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder. Montag, den 23. März 1829. 11 Uhr, helle Sonne, die durchgebrochen; eiskalter, luftleerer, dezidirte- ſter Nordoſt wind! der Thiergarten zum ernſte- ſten Vermeiden, kellernaß, und nicht völlig ſeines Eiſes entledigt. Ich habe ſeit acht oder ſechs Tagen all unſre Umgegend in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geſchloſ- ſenen Wagen durchprobirt. Nur im Bouché’ſchen Garten iſt Mittags bei Weſt- oder Südwind Weile. Ich war wieder krank, beſte Minna, und bin noch auf grauſame Weiſe leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und rede laut zu ihm. Sie wiſſen es, in dieſer Rubrik exagerire ich nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergeſſe das Leid; aber das geht über meine geweſenen Kräfte. Jetzt wie ich hier ſitze; habe ich mich nur zurecht gewaſchen und frottirt; und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten Frühling: auf leidlichere Geſundheit; auf unſer Beiſammen- ſein! Sie kommen, ſo wie das Wetter ſich nur ein wenig geſetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt iſt! Ich weiß es nur einen Tag voraus; das iſt genug. — Wir leben ſehr ſchön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander! — So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver- tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich. Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke, der mich ſo finden ſoll!

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/388>, abgerufen am 20.11.2024.