du seist da: hat sie sich ordentlich erschrocken. Ich leide den häßlichen Spaß nicht mehr. Adieu, mein lieber einziger Freund! Weißt du, ich komme mir ordentlich wichtig vor, seit du mich so lobst, so missest, mich deinem Glück so nöthig preisest. Ich will auch recht artig sein; und immer besser wer- den. Gestern Morgen war erst Heine, dann Gans bei mir. Ersterer, wie er war. G. komplet liebenswürdig. Bloß um mich Lügen zu strafen: nun wird er wieder unleidlich sein. Er grüßt schönstens. --
An Varnhagen, in Bonn.
Freitag, den 13. März 1829. halb 11.
Duschiges Wetter, trockne Straße.
-- X. ist in französischen Blättern wegen seines Gedichts gelobt, das übersetzt ist: da sagte Heine: "So lange er lebt, wird der unsterblich sein." Von der Bach'schen Musik, die er vorgestern auch hörte, sagte er -- sagte er, ist hier zu viel, -- er hätte acht Groschen Profit dabei; einen Gulden kostete sie, und für einen Thaler hätte er sich ennuyirt. Sehr gut: das Erste auch. Voila ce que vous me demandez; de ses bonmots! -- Auch ich hatte Langeweile in dieser Musik. Chöre gehn in Berlin -- wo sie so stolz drauf sind -- immer beleidigend schlecht; kompletes Blaffen: sie ist voller Chöre. Erstlich. Dann der bizarrste ergiebigste Text. Christus letzte Tage und Tod, rein aus der Bibel. Aber wie hätte der behandelt werden müssen! Da hätte der große Mann nicht längsterfundenes -- auch von ihm nicht -- Gesangswesen gebrauchen müssen, und
du ſeiſt da: hat ſie ſich ordentlich erſchrocken. Ich leide den häßlichen Spaß nicht mehr. Adieu, mein lieber einziger Freund! Weißt du, ich komme mir ordentlich wichtig vor, ſeit du mich ſo lobſt, ſo miſſeſt, mich deinem Glück ſo nöthig preiſeſt. Ich will auch recht artig ſein; und immer beſſer wer- den. Geſtern Morgen war erſt Heine, dann Gans bei mir. Erſterer, wie er war. G. komplet liebenswürdig. Bloß um mich Lügen zu ſtrafen: nun wird er wieder unleidlich ſein. Er grüßt ſchönſtens. —
An Varnhagen, in Bonn.
Freitag, den 13. März 1829. halb 11.
Duſchiges Wetter, trockne Straße.
— X. iſt in franzöſiſchen Blättern wegen ſeines Gedichts gelobt, das überſetzt iſt: da ſagte Heine: „So lange er lebt, wird der unſterblich ſein.“ Von der Bach’ſchen Muſik, die er vorgeſtern auch hörte, ſagte er — ſagte er, iſt hier zu viel, — er hätte acht Groſchen Profit dabei; einen Gulden koſtete ſie, und für einen Thaler hätte er ſich ennuyirt. Sehr gut: das Erſte auch. Voilà ce que vous me demandez; de ses bonmots! — Auch ich hatte Langeweile in dieſer Muſik. Chöre gehn in Berlin — wo ſie ſo ſtolz drauf ſind — immer beleidigend ſchlecht; kompletes Blaffen: ſie iſt voller Chöre. Erſtlich. Dann der bizarrſte ergiebigſte Text. Chriſtus letzte Tage und Tod, rein aus der Bibel. Aber wie hätte der behandelt werden müſſen! Da hätte der große Mann nicht längſterfundenes — auch von ihm nicht — Geſangsweſen gebrauchen müſſen, und
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Freund! Weißt du, ich komme mir ordentlich wichtig vor, ſeit
du mich ſo lobſt, ſo miſſeſt, mich deinem Glück ſo nöthig
preiſeſt. Ich will auch recht artig ſein; und immer beſſer wer-
den. Geſtern Morgen war erſt Heine, dann Gans bei mir.
Erſterer, wie er war. G. komplet liebenswürdig. Bloß um
mich Lügen zu ſtrafen: nun wird er wieder unleidlich ſein.
Er grüßt ſchönſtens. —
An Varnhagen, in Bonn.
Freitag, den 13. März 1829. halb 11.
Duſchiges Wetter, trockne Straße.
— X. iſt in franzöſiſchen Blättern wegen ſeines Gedichts
gelobt, das überſetzt iſt: da ſagte Heine: „So lange er lebt,
wird der unſterblich ſein.“ Von der Bach’ſchen Muſik, die
er vorgeſtern auch hörte, ſagte er — ſagte er, iſt hier zu viel, —
er hätte acht Groſchen Profit dabei; einen Gulden koſtete ſie,
und für einen Thaler hätte er ſich ennuyirt. Sehr gut: das
Erſte auch. Voilà ce que vous me demandez; de ses bonmots! —
Auch ich hatte Langeweile in dieſer Muſik. Chöre gehn in
Berlin — wo ſie ſo ſtolz drauf ſind — immer beleidigend
ſchlecht; kompletes Blaffen: ſie iſt voller Chöre. Erſtlich. Dann
der bizarrſte ergiebigſte Text. Chriſtus letzte Tage und Tod,
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müſſen! Da hätte der große Mann nicht längſterfundenes —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/381>, abgerufen am 20.11.2024.
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