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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Mit Wohlbedacht gebrauchte ich dieses Wort, welches du noch
etwas hättest erklären, aber nicht vergessen sollen. Wie es
nun dasteht, weiß man nicht, warum man nicht eben so gut
die herrliche Phädra nannte. Darum hast du wohl mein Epi-
thet "Friedensfürst" beibehalten: aber die vorhergehende Stei-
gerung weggelassen, die allein diesen Gipfel nothwendig, also
nur vollkommen vollständig macht. Du warst zu keusch, woll-
test zu sobre sein, und wärst es nur erst geworden, hättest du
den Muth gehabt weniger dezent zu sein. Jemehr überhaupt
man sich über Dinge, über die Sache einläßt und ereifert, je
weniger greift man seinen Gegner persönlich an: was man,
von dem zu Sagenden über den Fehl in der Sache irgend
wegläßt, klettet sich an die Personen. Jemehr Inhalt, und
mehr Grund zur Diskussion, je besser. Daß es Personen sind,
die doch einmal diskutiren müssen, tritt immer mehr hervor;
die Personen immer mehr zurück: und alsdann wird per-
sönlichen Anreden z. B. ihr herbster Stachel genommen; näm-
lich alles Stumpfe; und er wird immer feiner, immer spitzer,
und schmerzloser. Dies überhaupt und vorläufig. --




Viele Menschen, wenn sie ein für sie entsetzlich unglück-
bringendes Ereigniß erfahren, sind nach dem ersten Schreck,
und den ersten Schmerzäußerungen, ganz gesaßt und zusam-
mengenommen: und andere sind sehr verwundert, wenn sie
dieselben Personen später in Leidwesen, Traurigkeit, und Nach-
spürung ihres Elends finden. Aber es kann gar nicht anders
hergehn. Der Schreck und erste Schmerz ist nur Folge des

Mit Wohlbedacht gebrauchte ich dieſes Wort, welches du noch
etwas hätteſt erklären, aber nicht vergeſſen ſollen. Wie es
nun daſteht, weiß man nicht, warum man nicht eben ſo gut
die herrliche Phädra nannte. Darum haſt du wohl mein Epi-
thet „Friedensfürſt“ beibehalten: aber die vorhergehende Stei-
gerung weggelaſſen, die allein dieſen Gipfel nothwendig, alſo
nur vollkommen vollſtändig macht. Du warſt zu keuſch, woll-
teſt zu sobre ſein, und wärſt es nur erſt geworden, hätteſt du
den Muth gehabt weniger dezent zu ſein. Jemehr überhaupt
man ſich über Dinge, über die Sache einläßt und ereifert, je
weniger greift man ſeinen Gegner perſönlich an: was man,
von dem zu Sagenden über den Fehl in der Sache irgend
wegläßt, klettet ſich an die Perſonen. Jemehr Inhalt, und
mehr Grund zur Diskuſſion, je beſſer. Daß es Perſonen ſind,
die doch einmal diskutiren müſſen, tritt immer mehr hervor;
die Perſonen immer mehr zurück: und alsdann wird per-
ſönlichen Anreden z. B. ihr herbſter Stachel genommen; näm-
lich alles Stumpfe; und er wird immer feiner, immer ſpitzer,
und ſchmerzloſer. Dies überhaupt und vorläufig. —




Viele Menſchen, wenn ſie ein für ſie entſetzlich unglück-
bringendes Ereigniß erfahren, ſind nach dem erſten Schreck,
und den erſten Schmerzäußerungen, ganz geſaßt und zuſam-
mengenommen: und andere ſind ſehr verwundert, wenn ſie
dieſelben Perſonen ſpäter in Leidweſen, Traurigkeit, und Nach-
ſpürung ihres Elends finden. Aber es kann gar nicht anders
hergehn. Der Schreck und erſte Schmerz iſt nur Folge des

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[266/0274] Mit Wohlbedacht gebrauchte ich dieſes Wort, welches du noch etwas hätteſt erklären, aber nicht vergeſſen ſollen. Wie es nun daſteht, weiß man nicht, warum man nicht eben ſo gut die herrliche Phädra nannte. Darum haſt du wohl mein Epi- thet „Friedensfürſt“ beibehalten: aber die vorhergehende Stei- gerung weggelaſſen, die allein dieſen Gipfel nothwendig, alſo nur vollkommen vollſtändig macht. Du warſt zu keuſch, woll- teſt zu sobre ſein, und wärſt es nur erſt geworden, hätteſt du den Muth gehabt weniger dezent zu ſein. Jemehr überhaupt man ſich über Dinge, über die Sache einläßt und ereifert, je weniger greift man ſeinen Gegner perſönlich an: was man, von dem zu Sagenden über den Fehl in der Sache irgend wegläßt, klettet ſich an die Perſonen. Jemehr Inhalt, und mehr Grund zur Diskuſſion, je beſſer. Daß es Perſonen ſind, die doch einmal diskutiren müſſen, tritt immer mehr hervor; die Perſonen immer mehr zurück: und alsdann wird per- ſönlichen Anreden z. B. ihr herbſter Stachel genommen; näm- lich alles Stumpfe; und er wird immer feiner, immer ſpitzer, und ſchmerzloſer. Dies überhaupt und vorläufig. — Montag, den 26. Februar 1827. Viele Menſchen, wenn ſie ein für ſie entſetzlich unglück- bringendes Ereigniß erfahren, ſind nach dem erſten Schreck, und den erſten Schmerzäußerungen, ganz geſaßt und zuſam- mengenommen: und andere ſind ſehr verwundert, wenn ſie dieſelben Perſonen ſpäter in Leidweſen, Traurigkeit, und Nach- ſpürung ihres Elends finden. Aber es kann gar nicht anders hergehn. Der Schreck und erſte Schmerz iſt nur Folge des

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/274>, abgerufen am 22.12.2024.