sale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich sage, je mehr sehe ich ein, daß ich das nicht sage, was ich eigentlich mittheilen möchte. Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.
Berlin, den 9. Februar 1824.
Was uns unsere Irrthümer bringen -- was wir in ihnen befangen wählen und thun, was sich daraus entwickelt -- schickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verstand wäh- len, schaffen und behalten, schickt er uns durch uns. Beides muß der Mensch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigste Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.
Ancillon sagt (Vom Glauben und Wissen in der Philo- sophie S. 82.): "Wenn man sagt, daß die Seele für uns ein bloßes Phänomen ist" u. s. w. Das könnte sehr gut sein, daß sie ein Auftrag für einen Geist wäre! Geben wir unserm Geist hier keine Aufträge? Wir wissen darum nur nicht, wer wir sind, weil wir ein parzielles Geschäft haben, und von der Sendung nichts mehr wissen: ich glaube, das ganze Geschäft ist nur unter dieser Bedingung des Vergessens möglich; und also die große Frage über die Person aufgelöst: wir sollen uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht, ist darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per- sönlichkeit nur ein Phänomen für den Geist ist. Durch den Geist theilen wir uns unsre gegenseitigen Persönlichkeiten ein- ander mit, und uns unsre eigne. Ich bin überzeugt, wir sol- len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einsicht; die der Per- sönlichkeit wird wohl schwer sein. Der Geist mag sie sich selbst,
ſale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich ſage, je mehr ſehe ich ein, daß ich das nicht ſage, was ich eigentlich mittheilen möchte. Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.
Berlin, den 9. Februar 1824.
Was uns unſere Irrthümer bringen — was wir in ihnen befangen wählen und thun, was ſich daraus entwickelt — ſchickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verſtand wäh- len, ſchaffen und behalten, ſchickt er uns durch uns. Beides muß der Menſch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigſte Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.
Ancillon ſagt (Vom Glauben und Wiſſen in der Philo- ſophie S. 82.): „Wenn man ſagt, daß die Seele für uns ein bloßes Phänomen iſt“ u. ſ. w. Das könnte ſehr gut ſein, daß ſie ein Auftrag für einen Geiſt wäre! Geben wir unſerm Geiſt hier keine Aufträge? Wir wiſſen darum nur nicht, wer wir ſind, weil wir ein parzielles Geſchäft haben, und von der Sendung nichts mehr wiſſen: ich glaube, das ganze Geſchäft iſt nur unter dieſer Bedingung des Vergeſſens möglich; und alſo die große Frage über die Perſon aufgelöſt: wir ſollen uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht, iſt darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per- ſönlichkeit nur ein Phänomen für den Geiſt iſt. Durch den Geiſt theilen wir uns unſre gegenſeitigen Perſönlichkeiten ein- ander mit, und uns unſre eigne. Ich bin überzeugt, wir ſol- len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einſicht; die der Per- ſönlichkeit wird wohl ſchwer ſein. Der Geiſt mag ſie ſich ſelbſt,
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ſale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn
auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich ſage, je mehr ſehe ich
ein, daß ich das nicht ſage, was ich eigentlich mittheilen möchte.
Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.
Berlin, den 9. Februar 1824.
Was uns unſere Irrthümer bringen — was wir in ihnen
befangen wählen und thun, was ſich daraus entwickelt —
ſchickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verſtand wäh-
len, ſchaffen und behalten, ſchickt er uns durch uns. Beides
muß der Menſch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigſte
Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.
Ancillon ſagt (Vom Glauben und Wiſſen in der Philo-
ſophie S. 82.): „Wenn man ſagt, daß die Seele für uns ein
bloßes Phänomen iſt“ u. ſ. w. Das könnte ſehr gut ſein,
daß ſie ein Auftrag für einen Geiſt wäre! Geben wir unſerm
Geiſt hier keine Aufträge? Wir wiſſen darum nur nicht, wer
wir ſind, weil wir ein parzielles Geſchäft haben, und von der
Sendung nichts mehr wiſſen: ich glaube, das ganze Geſchäft
iſt nur unter dieſer Bedingung des Vergeſſens möglich; und
alſo die große Frage über die Perſon aufgelöſt: wir ſollen
uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht,
iſt darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per-
ſönlichkeit nur ein Phänomen für den Geiſt iſt. Durch den
Geiſt theilen wir uns unſre gegenſeitigen Perſönlichkeiten ein-
ander mit, und uns unſre eigne. Ich bin überzeugt, wir ſol-
len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einſicht; die der Per-
ſönlichkeit wird wohl ſchwer ſein. Der Geiſt mag ſie ſich ſelbſt,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/144>, abgerufen am 22.12.2024.
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