Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn
auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich sage, je mehr sehe ich
ein, daß ich das nicht sage, was ich eigentlich mittheilen möchte.
Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.




Was uns unsere Irrthümer bringen -- was wir in ihnen
befangen wählen und thun, was sich daraus entwickelt --
schickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verstand wäh-
len, schaffen und behalten, schickt er uns durch uns. Beides
muß der Mensch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigste
Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.

Ancillon sagt (Vom Glauben und Wissen in der Philo-
sophie S. 82.): "Wenn man sagt, daß die Seele für uns ein
bloßes Phänomen ist" u. s. w. Das könnte sehr gut sein,
daß sie ein Auftrag für einen Geist wäre! Geben wir unserm
Geist hier keine Aufträge? Wir wissen darum nur nicht, wer
wir sind, weil wir ein parzielles Geschäft haben, und von der
Sendung nichts mehr wissen: ich glaube, das ganze Geschäft
ist nur unter dieser Bedingung des Vergessens möglich; und
also die große Frage über die Person aufgelöst: wir sollen
uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht,
ist darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per-
sönlichkeit nur ein Phänomen für den Geist ist. Durch den
Geist theilen wir uns unsre gegenseitigen Persönlichkeiten ein-
ander mit, und uns unsre eigne. Ich bin überzeugt, wir sol-
len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einsicht; die der Per-
sönlichkeit wird wohl schwer sein. Der Geist mag sie sich selbst,

ſale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn
auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich ſage, je mehr ſehe ich
ein, daß ich das nicht ſage, was ich eigentlich mittheilen möchte.
Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.




Was uns unſere Irrthümer bringen — was wir in ihnen
befangen wählen und thun, was ſich daraus entwickelt —
ſchickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verſtand wäh-
len, ſchaffen und behalten, ſchickt er uns durch uns. Beides
muß der Menſch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigſte
Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.

Ancillon ſagt (Vom Glauben und Wiſſen in der Philo-
ſophie S. 82.): „Wenn man ſagt, daß die Seele für uns ein
bloßes Phänomen iſt“ u. ſ. w. Das könnte ſehr gut ſein,
daß ſie ein Auftrag für einen Geiſt wäre! Geben wir unſerm
Geiſt hier keine Aufträge? Wir wiſſen darum nur nicht, wer
wir ſind, weil wir ein parzielles Geſchäft haben, und von der
Sendung nichts mehr wiſſen: ich glaube, das ganze Geſchäft
iſt nur unter dieſer Bedingung des Vergeſſens möglich; und
alſo die große Frage über die Perſon aufgelöſt: wir ſollen
uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht,
iſt darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per-
ſönlichkeit nur ein Phänomen für den Geiſt iſt. Durch den
Geiſt theilen wir uns unſre gegenſeitigen Perſönlichkeiten ein-
ander mit, und uns unſre eigne. Ich bin überzeugt, wir ſol-
len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einſicht; die der Per-
ſönlichkeit wird wohl ſchwer ſein. Der Geiſt mag ſie ſich ſelbſt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0144" n="136"/>
&#x017F;ale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn<lb/>
auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich &#x017F;age, je mehr &#x017F;ehe ich<lb/>
ein, daß ich das nicht &#x017F;age, was ich eigentlich mittheilen möchte.<lb/>
Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 9. Februar 1824.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Was uns un&#x017F;ere Irrthümer bringen &#x2014; was wir in ihnen<lb/>
befangen wählen und thun, was &#x017F;ich daraus entwickelt &#x2014;<lb/>
&#x017F;chickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Ver&#x017F;tand wäh-<lb/>
len, &#x017F;chaffen und behalten, &#x017F;chickt er uns durch uns. Beides<lb/>
muß der Men&#x017F;ch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhig&#x017F;te<lb/>
Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.</p><lb/>
            <p>Ancillon &#x017F;agt (Vom Glauben und Wi&#x017F;&#x017F;en in der Philo-<lb/>
&#x017F;ophie S. 82.): &#x201E;Wenn man &#x017F;agt, daß die Seele für uns ein<lb/>
bloßes Phänomen i&#x017F;t&#x201C; u. &#x017F;. w. Das könnte &#x017F;ehr gut &#x017F;ein,<lb/>
daß &#x017F;ie ein Auftrag für einen Gei&#x017F;t wäre! Geben wir un&#x017F;erm<lb/>
Gei&#x017F;t hier keine Aufträge? Wir wi&#x017F;&#x017F;en darum nur nicht, wer<lb/>
wir &#x017F;ind, weil wir ein parzielles Ge&#x017F;chäft haben, und von der<lb/>
Sendung nichts mehr wi&#x017F;&#x017F;en: ich glaube, das ganze Ge&#x017F;chäft<lb/>
i&#x017F;t nur unter die&#x017F;er Bedingung des Verge&#x017F;&#x017F;ens möglich; und<lb/>
al&#x017F;o die große Frage über die Per&#x017F;on aufgelö&#x017F;t: wir <hi rendition="#g">&#x017F;ollen</hi><lb/>
uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht,<lb/>
i&#x017F;t darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per-<lb/>
&#x017F;önlichkeit nur ein Phänomen für den Gei&#x017F;t i&#x017F;t. Durch den<lb/>
Gei&#x017F;t theilen wir uns un&#x017F;re gegen&#x017F;eitigen Per&#x017F;önlichkeiten ein-<lb/>
ander mit, und uns un&#x017F;re eigne. Ich bin überzeugt, wir &#x017F;ol-<lb/>
len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Ein&#x017F;icht; die der Per-<lb/>
&#x017F;önlichkeit wird wohl &#x017F;chwer &#x017F;ein. Der Gei&#x017F;t mag &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0144] ſale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich ſage, je mehr ſehe ich ein, daß ich das nicht ſage, was ich eigentlich mittheilen möchte. Vielleicht ein andermal! In zwei Worten. Berlin, den 9. Februar 1824. Was uns unſere Irrthümer bringen — was wir in ihnen befangen wählen und thun, was ſich daraus entwickelt — ſchickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verſtand wäh- len, ſchaffen und behalten, ſchickt er uns durch uns. Beides muß der Menſch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigſte Ergebung, und Heiterkeit im Sehen. Ancillon ſagt (Vom Glauben und Wiſſen in der Philo- ſophie S. 82.): „Wenn man ſagt, daß die Seele für uns ein bloßes Phänomen iſt“ u. ſ. w. Das könnte ſehr gut ſein, daß ſie ein Auftrag für einen Geiſt wäre! Geben wir unſerm Geiſt hier keine Aufträge? Wir wiſſen darum nur nicht, wer wir ſind, weil wir ein parzielles Geſchäft haben, und von der Sendung nichts mehr wiſſen: ich glaube, das ganze Geſchäft iſt nur unter dieſer Bedingung des Vergeſſens möglich; und alſo die große Frage über die Perſon aufgelöſt: wir ſollen uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht, iſt darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per- ſönlichkeit nur ein Phänomen für den Geiſt iſt. Durch den Geiſt theilen wir uns unſre gegenſeitigen Perſönlichkeiten ein- ander mit, und uns unſre eigne. Ich bin überzeugt, wir ſol- len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einſicht; die der Per- ſönlichkeit wird wohl ſchwer ſein. Der Geiſt mag ſie ſich ſelbſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/144
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/144>, abgerufen am 22.12.2024.