Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wollen sie die andern nicht, sie nicht produziren, oder verder-
ben lassen. Immer aber werden sich diese ökonomischen Klem-
mungen bis zur fremden Gränze des Landes und zu des Nach-
barlandes Einrichtungen und Zuständen hinführen lassen. Es
wird ein ewiges Laviren bleiben, und nichts Bestimmtes im
Wirthschaften festgesetzt werden können. Will man aber etwas
fest bestimmen, so wird man zu Fichte's verschrienem "ge-
schlossenen Handelsstaat" anlangen. Da solcher Staat nun
meines Bedünkens nur der Erdball ist; und dieser nur, weil
keine Schiffe und keine Straße zu andern Erdbällen führen;
so wird man nur nach den Bewegungen und Maßreglen der
andern Staaten wirthschaften können, ohne nach den festzu-
setzenden Grundsätzen handlen zu können. Diese Grundsätze
aber, die auf Beschaffenheiten beruhen, wie der Briefsteller
bemerkt, werden sich trotz alles nicht gründlichen Verfahrens
Platz machen: und Friede wird, und muß eines ihrer Ergeb-
nisse sein, wie Vervollkommnung des Lebens, und größere
Klarheit der Sittlichkeit. Hierin bin ich ganz eins mit dem
Briefsteller. --




Es ist dumm und ehrwürdig von mir, daß ich mit allen
Menschen gründlich spreche. Ich sehe es ein.



Die arbeitende Klasse ist größer, als man denkt. Pflicht-
mäßig wollen sie handeln (aber es muß ihnen sehr sauer wer-
den: und eine Art Feiertags-Akt sein -- das kann man nicht
täglich! --), pflichtmäßig, aber nicht schön.




III. 9

wollen ſie die andern nicht, ſie nicht produziren, oder verder-
ben laſſen. Immer aber werden ſich dieſe ökonomiſchen Klem-
mungen bis zur fremden Gränze des Landes und zu des Nach-
barlandes Einrichtungen und Zuſtänden hinführen laſſen. Es
wird ein ewiges Laviren bleiben, und nichts Beſtimmtes im
Wirthſchaften feſtgeſetzt werden können. Will man aber etwas
feſt beſtimmen, ſo wird man zu Fichte’s verſchrienem „ge-
ſchloſſenen Handelsſtaat“ anlangen. Da ſolcher Staat nun
meines Bedünkens nur der Erdball iſt; und dieſer nur, weil
keine Schiffe und keine Straße zu andern Erdbällen führen;
ſo wird man nur nach den Bewegungen und Maßreglen der
andern Staaten wirthſchaften können, ohne nach den feſtzu-
ſetzenden Grundſätzen handlen zu können. Dieſe Grundſätze
aber, die auf Beſchaffenheiten beruhen, wie der Briefſteller
bemerkt, werden ſich trotz alles nicht gründlichen Verfahrens
Platz machen: und Friede wird, und muß eines ihrer Ergeb-
niſſe ſein, wie Vervollkommnung des Lebens, und größere
Klarheit der Sittlichkeit. Hierin bin ich ganz eins mit dem
Briefſteller. —




Es iſt dumm und ehrwürdig von mir, daß ich mit allen
Menſchen gründlich ſpreche. Ich ſehe es ein.



Die arbeitende Klaſſe iſt größer, als man denkt. Pflicht-
mäßig wollen ſie handeln (aber es muß ihnen ſehr ſauer wer-
den: und eine Art Feiertags-Akt ſein — das kann man nicht
täglich! —), pflichtmäßig, aber nicht ſchön.




III. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0137" n="129"/>
wollen &#x017F;ie die andern nicht, &#x017F;ie nicht produziren, oder verder-<lb/>
ben la&#x017F;&#x017F;en. Immer aber werden &#x017F;ich die&#x017F;e ökonomi&#x017F;chen Klem-<lb/>
mungen bis zur fremden Gränze des Landes und zu des Nach-<lb/>
barlandes Einrichtungen und Zu&#x017F;tänden hinführen la&#x017F;&#x017F;en. Es<lb/>
wird ein ewiges Laviren bleiben, und nichts Be&#x017F;timmtes im<lb/>
Wirth&#x017F;chaften fe&#x017F;tge&#x017F;etzt werden können. Will man aber etwas<lb/>
fe&#x017F;t be&#x017F;timmen, &#x017F;o wird man zu Fichte&#x2019;s ver&#x017F;chrienem &#x201E;ge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Handels&#x017F;taat&#x201C; anlangen. Da &#x017F;olcher Staat nun<lb/>
meines Bedünkens nur der Erdball i&#x017F;t; und die&#x017F;er <hi rendition="#g">nur</hi>, weil<lb/>
keine Schiffe und keine Straße zu andern Erdbällen führen;<lb/>
&#x017F;o wird man nur nach den Bewegungen und Maßreglen der<lb/>
andern Staaten wirth&#x017F;chaften können, ohne nach den fe&#x017F;tzu-<lb/>
&#x017F;etzenden Grund&#x017F;ätzen handlen zu können. Die&#x017F;e Grund&#x017F;ätze<lb/>
aber, die auf Be&#x017F;chaffenheiten beruhen, wie der Brief&#x017F;teller<lb/>
bemerkt, werden &#x017F;ich trotz alles nicht gründlichen Verfahrens<lb/>
Platz machen: und Friede wird, und muß eines ihrer Ergeb-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ein, wie Vervollkommnung des Lebens, und größere<lb/>
Klarheit der Sittlichkeit. Hierin bin ich ganz eins mit dem<lb/>
Brief&#x017F;teller. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, 1823.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t dumm und ehrwürdig von mir, daß ich mit allen<lb/>
Men&#x017F;chen gründlich &#x017F;preche. Ich &#x017F;ehe es ein.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Die arbeitende Kla&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t größer, als man denkt. Pflicht-<lb/>
mäßig wollen &#x017F;ie handeln (aber es muß ihnen &#x017F;ehr &#x017F;auer wer-<lb/>
den: und eine Art Feiertags-Akt &#x017F;ein &#x2014; das kann man nicht<lb/>
täglich! &#x2014;), pflichtmäßig, aber nicht &#x017F;chön.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III.</hi> 9</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0137] wollen ſie die andern nicht, ſie nicht produziren, oder verder- ben laſſen. Immer aber werden ſich dieſe ökonomiſchen Klem- mungen bis zur fremden Gränze des Landes und zu des Nach- barlandes Einrichtungen und Zuſtänden hinführen laſſen. Es wird ein ewiges Laviren bleiben, und nichts Beſtimmtes im Wirthſchaften feſtgeſetzt werden können. Will man aber etwas feſt beſtimmen, ſo wird man zu Fichte’s verſchrienem „ge- ſchloſſenen Handelsſtaat“ anlangen. Da ſolcher Staat nun meines Bedünkens nur der Erdball iſt; und dieſer nur, weil keine Schiffe und keine Straße zu andern Erdbällen führen; ſo wird man nur nach den Bewegungen und Maßreglen der andern Staaten wirthſchaften können, ohne nach den feſtzu- ſetzenden Grundſätzen handlen zu können. Dieſe Grundſätze aber, die auf Beſchaffenheiten beruhen, wie der Briefſteller bemerkt, werden ſich trotz alles nicht gründlichen Verfahrens Platz machen: und Friede wird, und muß eines ihrer Ergeb- niſſe ſein, wie Vervollkommnung des Lebens, und größere Klarheit der Sittlichkeit. Hierin bin ich ganz eins mit dem Briefſteller. — Berlin, 1823. Es iſt dumm und ehrwürdig von mir, daß ich mit allen Menſchen gründlich ſpreche. Ich ſehe es ein. Die arbeitende Klaſſe iſt größer, als man denkt. Pflicht- mäßig wollen ſie handeln (aber es muß ihnen ſehr ſauer wer- den: und eine Art Feiertags-Akt ſein — das kann man nicht täglich! —), pflichtmäßig, aber nicht ſchön. III. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/137
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/137>, abgerufen am 20.11.2024.