"Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen?" kann ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht schreiben kann, und Sie mich dasselbe fragen könnten; auch bin ich Ihnen meines Wissens keine Antwort schuldig; und doch schon lange schuldig Ihnen zu schreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich noch in Mannheim war, wo wir sechs Wochen beim General Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt schicke. -- -- Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe- stimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbestimmte nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; so [än]gstigend und tödtend auch wieder ein festes Bleiben, wenn es die N[o]th- wendigkeit vorschreibt, sein kann, und mir schon zu oft war, Nun hoff' ich nichts mehr! und veranstalte gar nichts mehr. In der Seele wär' ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine arme Person keinen Sitz mehr; und am allerwenigsten einen, der mir behagen könnte. "Schweigen (mit Hamlet) ist der Rest!" Wie ist Ihnen, Auguste? können Sie reden; so sprechen sie! können Sie nicht, so werd' ich's auch wissen. Seit ein paar Tagen leb' ich etwas erheitert durch die Schle- gel: sie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und sehe einige Leute, wechsle einige Worte. Gestern lernte ich Rückert dort kennen, und freute mich sehr: und den Minister Wangenheim, der mir sehr gefiel: ein kluger, milder, lebseliger, das Wohl wol-
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Frankfurt a. M. Sonnabend, den 18. Mai 1816.
„Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen?“ kann ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht ſchreiben kann, und Sie mich daſſelbe fragen könnten; auch bin ich Ihnen meines Wiſſens keine Antwort ſchuldig; und doch ſchon lange ſchuldig Ihnen zu ſchreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich noch in Mannheim war, wo wir ſechs Wochen beim General Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt ſchicke. — — Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe- ſtimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbeſtimmte nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; ſo [än]gſtigend und tödtend auch wieder ein feſtes Bleiben, wenn es die N[o]th- wendigkeit vorſchreibt, ſein kann, und mir ſchon zu oft war, Nun hoff’ ich nichts mehr! und veranſtalte gar nichts mehr. In der Seele wär’ ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine arme Perſon keinen Sitz mehr; und am allerwenigſten einen, der mir behagen könnte. „Schweigen (mit Hamlet) iſt der Reſt!“ Wie iſt Ihnen, Auguſte? können Sie reden; ſo ſprechen ſie! können Sie nicht, ſo werd’ ich’s auch wiſſen. Seit ein paar Tagen leb’ ich etwas erheitert durch die Schle- gel: ſie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und ſehe einige Leute, wechsle einige Worte. Geſtern lernte ich Rückert dort kennen, und freute mich ſehr: und den Miniſter Wangenheim, der mir ſehr gefiel: ein kluger, milder, lebſeliger, das Wohl wol-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0404"n="396"/><divn="2"><head>An Auguſte Brede, in Stuttgart.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Frankfurt a. M. Sonnabend, den 18. Mai 1816.</hi></dateline><lb/><p>„Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen?“ kann<lb/>
ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht ſchreiben<lb/>
kann, und Sie mich daſſelbe fragen könnten; auch bin ich<lb/>
Ihnen meines Wiſſens keine Antwort ſchuldig; und doch ſchon<lb/>
lange ſchuldig Ihnen zu ſchreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich<lb/>
noch in Mannheim war, wo wir ſechs Wochen beim General<lb/>
Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt<lb/>ſchicke. —— Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe-<lb/>ſtimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbeſtimmte<lb/>
nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; ſo <supplied>än</supplied>gſtigend<lb/>
und tödtend auch wieder ein feſtes Bleiben, wenn es die N<supplied>o</supplied>th-<lb/>
wendigkeit vorſchreibt, ſein kann, und mir ſchon zu oft war,<lb/>
Nun hoff’ ich <hirendition="#g">nichts</hi> mehr! und veranſtalte gar nichts mehr.<lb/>
In der Seele wär’ ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine<lb/>
arme Perſon keinen Sitz mehr; und am allerwenigſten einen,<lb/>
der mir behagen könnte. „Schweigen (mit Hamlet) iſt der<lb/>
Reſt!“ Wie iſt <hirendition="#g">Ihnen</hi>, Auguſte? <hirendition="#g">können</hi> Sie reden; ſo<lb/>ſprechen ſie! können Sie nicht, ſo werd’ ich’s auch wiſſen.<lb/>
Seit ein paar Tagen leb’ ich etwas erheitert durch die Schle-<lb/>
gel: ſie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann<lb/>
ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und ſehe einige Leute,<lb/>
wechsle einige Worte. Geſtern lernte ich Rückert dort kennen,<lb/>
und freute mich ſehr: und den Miniſter Wangenheim, der<lb/>
mir ſehr gefiel: ein kluger, milder, lebſeliger, das Wohl wol-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[396/0404]
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Frankfurt a. M. Sonnabend, den 18. Mai 1816.
„Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen?“ kann
ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht ſchreiben
kann, und Sie mich daſſelbe fragen könnten; auch bin ich
Ihnen meines Wiſſens keine Antwort ſchuldig; und doch ſchon
lange ſchuldig Ihnen zu ſchreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich
noch in Mannheim war, wo wir ſechs Wochen beim General
Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt
ſchicke. — — Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe-
ſtimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbeſtimmte
nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; ſo ängſtigend
und tödtend auch wieder ein feſtes Bleiben, wenn es die Noth-
wendigkeit vorſchreibt, ſein kann, und mir ſchon zu oft war,
Nun hoff’ ich nichts mehr! und veranſtalte gar nichts mehr.
In der Seele wär’ ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine
arme Perſon keinen Sitz mehr; und am allerwenigſten einen,
der mir behagen könnte. „Schweigen (mit Hamlet) iſt der
Reſt!“ Wie iſt Ihnen, Auguſte? können Sie reden; ſo
ſprechen ſie! können Sie nicht, ſo werd’ ich’s auch wiſſen.
Seit ein paar Tagen leb’ ich etwas erheitert durch die Schle-
gel: ſie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann
ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und ſehe einige Leute,
wechsle einige Worte. Geſtern lernte ich Rückert dort kennen,
und freute mich ſehr: und den Miniſter Wangenheim, der
mir ſehr gefiel: ein kluger, milder, lebſeliger, das Wohl wol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/404>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.