"Zu einer Zeit, da ich im Begriff stehe, mir und Andern von meinem Leben und meinen Werken Rechenschaft zu geben, konnte mir wohl nichts erwünschter sein als zu vernehmen, wie so bedeutende Personen, als jene Korrespondenten sind, aus deren Briefen Sie mir gefällig Auszüge mit- theilen, über mich und meine Produktionen denken. Diese beiden Wohl- wollenden machen ein recht interessantes Paar, indem sie theils überein- stimmen, theils differiren. G. ist eine merkwürdige, auffassende, ver- einende, nachhelfende, supplirende Natur, wogegen E. zu den sondernden, suchenden, trennenden und urtheilenden gehört. Jene urtheilt eigentlich nicht, sie hat den Gegenstand, und insofern sie ihn nicht besitzt, geht er sie nichts an. Dieser aber möchte durch Betrachten, Scheiden, Ordnen, der Sache und ihrem Werth erst beikommen, und sich von allem Rechen- schaft geben. Merkwürdig ist es mir, daß zuletzt E. mehr an G. heran- gezogen wird, eine Wirkung, welche diese letztere Natur nothwendig gegen denjenigen ausüben muß, der sie liebt und schätzt.
Doch was sage ich das Ihnen, der Sie die Personen, ihre Verhält- nisse und den ganzen Briefwechsel kennen, dagegen ich mir hievon nur ein unvollkommenes Bild aus den Bruchstücken zusammenbauen muß.
So sehr ich übrigens von dem Wohlwollen dieser Personen und von der Theilnahme an mir gerührt bin; so wünschte ich doch, wo nicht die ganze Korrespondenz, doch größere Auszüge daraus zu sehen, theils um mir ein deutlicheres Bild von den Individualitäten zu machen, und das allzu Schroffe dieser Fragmente hie und da mehr ans Leben geknüpft zu sehen, theils auch über Mitlebende und kürzlich Abgeschiedene ihre Ge- sinnungen zu vernehmen, wie mir die Stellen über Jean Paul, Heinse, Johannes Müller, sehr merkwürdig gewesen sind. Vielleicht können Sie in der Folge mir noch eins und das andere mittheilen.
Was den Druck betrifft, so lassen Sie mich darüber noch denken. Es sind so wenige Bogen, daß sie auf eine eigene Art gedruckt werden müß- ten, wenn sie ein Heftchen machen sollten. Irgendwo in einer Samm- lung ständen sie wohl am schicklichsten, aber freilich, in welcher? Doch das eben wäre zu bedenken. Ich verwahre das Manuskript sorgfältig, und wenn es nicht gedruckt würde, erhalten Sie es wieder. Vielleicht habe ich das Vergnügen Ihnen bei meinem nächstkommenden Aufenthalt in Karlsbad zu begegnen, und für das mir geschenkte Vertrauen aufrich- tig zu danken.
Mich Ihrem gewogenen Andenken bestens empfehlend Goethe."
Weimar, den 10. December 1811.
„Zu einer Zeit, da ich im Begriff ſtehe, mir und Andern von meinem Leben und meinen Werken Rechenſchaft zu geben, konnte mir wohl nichts erwünſchter ſein als zu vernehmen, wie ſo bedeutende Perſonen, als jene Korreſpondenten ſind, aus deren Briefen Sie mir gefällig Auszüge mit- theilen, über mich und meine Produktionen denken. Dieſe beiden Wohl- wollenden machen ein recht intereſſantes Paar, indem ſie theils überein- ſtimmen, theils differiren. G. iſt eine merkwürdige, auffaſſende, ver- einende, nachhelfende, ſupplirende Natur, wogegen E. zu den ſondernden, ſuchenden, trennenden und urtheilenden gehört. Jene urtheilt eigentlich nicht, ſie hat den Gegenſtand, und inſofern ſie ihn nicht beſitzt, geht er ſie nichts an. Dieſer aber möchte durch Betrachten, Scheiden, Ordnen, der Sache und ihrem Werth erſt beikommen, und ſich von allem Rechen- ſchaft geben. Merkwürdig iſt es mir, daß zuletzt E. mehr an G. heran- gezogen wird, eine Wirkung, welche dieſe letztere Natur nothwendig gegen denjenigen ausüben muß, der ſie liebt und ſchätzt.
Doch was ſage ich das Ihnen, der Sie die Perſonen, ihre Verhält- niſſe und den ganzen Briefwechſel kennen, dagegen ich mir hievon nur ein unvollkommenes Bild aus den Bruchſtücken zuſammenbauen muß.
So ſehr ich übrigens von dem Wohlwollen dieſer Perſonen und von der Theilnahme an mir gerührt bin; ſo wünſchte ich doch, wo nicht die ganze Korreſpondenz, doch größere Auszüge daraus zu ſehen, theils um mir ein deutlicheres Bild von den Individualitäten zu machen, und das allzu Schroffe dieſer Fragmente hie und da mehr ans Leben geknüpft zu ſehen, theils auch über Mitlebende und kürzlich Abgeſchiedene ihre Ge- ſinnungen zu vernehmen, wie mir die Stellen über Jean Paul, Heinſe, Johannes Müller, ſehr merkwürdig geweſen ſind. Vielleicht können Sie in der Folge mir noch eins und das andere mittheilen.
Was den Druck betrifft, ſo laſſen Sie mich darüber noch denken. Es ſind ſo wenige Bogen, daß ſie auf eine eigene Art gedruckt werden müß- ten, wenn ſie ein Heftchen machen ſollten. Irgendwo in einer Samm- lung ſtänden ſie wohl am ſchicklichſten, aber freilich, in welcher? Doch das eben wäre zu bedenken. Ich verwahre das Manuſkript ſorgfältig, und wenn es nicht gedruckt würde, erhalten Sie es wieder. Vielleicht habe ich das Vergnügen Ihnen bei meinem nächſtkommenden Aufenthalt in Karlsbad zu begegnen, und für das mir geſchenkte Vertrauen aufrich- tig zu danken.
Mich Ihrem gewogenen Andenken beſtens empfehlend Goethe.“
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Weimar, den 10. December 1811.
„Zu einer Zeit, da ich im Begriff ſtehe, mir und Andern von meinem
Leben und meinen Werken Rechenſchaft zu geben, konnte mir wohl nichts
erwünſchter ſein als zu vernehmen, wie ſo bedeutende Perſonen, als jene
Korreſpondenten ſind, aus deren Briefen Sie mir gefällig Auszüge mit-
theilen, über mich und meine Produktionen denken. Dieſe beiden Wohl-
wollenden machen ein recht intereſſantes Paar, indem ſie theils überein-
ſtimmen, theils differiren. G. iſt eine merkwürdige, auffaſſende, ver-
einende, nachhelfende, ſupplirende Natur, wogegen E. zu den ſondernden,
ſuchenden, trennenden und urtheilenden gehört. Jene urtheilt eigentlich
nicht, ſie hat den Gegenſtand, und inſofern ſie ihn nicht beſitzt, geht er
ſie nichts an. Dieſer aber möchte durch Betrachten, Scheiden, Ordnen,
der Sache und ihrem Werth erſt beikommen, und ſich von allem Rechen-
ſchaft geben. Merkwürdig iſt es mir, daß zuletzt E. mehr an G. heran-
gezogen wird, eine Wirkung, welche dieſe letztere Natur nothwendig gegen
denjenigen ausüben muß, der ſie liebt und ſchätzt.
Doch was ſage ich das Ihnen, der Sie die Perſonen, ihre Verhält-
niſſe und den ganzen Briefwechſel kennen, dagegen ich mir hievon nur
ein unvollkommenes Bild aus den Bruchſtücken zuſammenbauen muß.
So ſehr ich übrigens von dem Wohlwollen dieſer Perſonen und von
der Theilnahme an mir gerührt bin; ſo wünſchte ich doch, wo nicht die
ganze Korreſpondenz, doch größere Auszüge daraus zu ſehen, theils um
mir ein deutlicheres Bild von den Individualitäten zu machen, und das
allzu Schroffe dieſer Fragmente hie und da mehr ans Leben geknüpft zu
ſehen, theils auch über Mitlebende und kürzlich Abgeſchiedene ihre Ge-
ſinnungen zu vernehmen, wie mir die Stellen über Jean Paul, Heinſe,
Johannes Müller, ſehr merkwürdig geweſen ſind. Vielleicht können Sie
in der Folge mir noch eins und das andere mittheilen.
Was den Druck betrifft, ſo laſſen Sie mich darüber noch denken. Es
ſind ſo wenige Bogen, daß ſie auf eine eigene Art gedruckt werden müß-
ten, wenn ſie ein Heftchen machen ſollten. Irgendwo in einer Samm-
lung ſtänden ſie wohl am ſchicklichſten, aber freilich, in welcher? Doch
das eben wäre zu bedenken. Ich verwahre das Manuſkript ſorgfältig,
und wenn es nicht gedruckt würde, erhalten Sie es wieder. Vielleicht
habe ich das Vergnügen Ihnen bei meinem nächſtkommenden Aufenthalt
in Karlsbad zu begegnen, und für das mir geſchenkte Vertrauen aufrich-
tig zu danken.
Mich Ihrem gewogenen Andenken beſtens empfehlend
Goethe.“
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/595>, abgerufen am 21.12.2024.
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