zufrieden, daß er erführe, wie geliebt, wie geehrt er ist; und nun findet er es gar thunlich, ich glaubt' es nicht. Nun wird es aber gewiß ganz schicklich. Von "Wohlwollenden" spricht er! In seinem Leben schon entzückte mich das bescheidene tiefe Wort bis zu Thränen; Marwitz mußte es gleich auch finden. Freilich Wohlwollende! Und nun schreibt er dir gar Wohl- wollende. Ich halt' es nicht aus! Gerne gebe ich ihm, was er nur von dem Buchstaben G zu sehen wünscht; wühlte ihm das tiefste Herz auf, spannte alle Ressorts des Gedächtnisses. Aber wie soll ich unter den Briefen wählen? Sie noch lesen ist gräßlich. Wenn du sie hättest, könntest du ihm alles zei- gen, und was er nur wissen möchte. Leg mich ihm huldigend wie dem größten Fürsten zu Füßen.
Nach diesem herzberührenden Glück mußt' ich gleich den Tod des Kindes lesen. Sag Josephinen, ich möchte sie in meine Arme schließen. Ich habe hier mit ihr geweint, bin hier mit ihr erstarrt. -- Lieber Varnhagen, tröste sie ja! stehe ihr recht bei. Eigentlich meine beste Freundin, meine verehr- teste. Liebe beste Josephine, ich weine, und umarme dich. Liebe, Arme! Wie hart! --
Heute muß ich aufhören. Es ist 12. Leb wohl, und wisse mich ewig deine Freundin, weil ich wahr mit dir sein kann. Adieu, Guter, Ehrlicher, gegen mich! --
Anmerk. Cotta hatte gewünscht, daß einige vorzüglich Goethe'n betreffende Briefstellen, bevor sie gedruckt würden, zu Goethe's Kenntniß gelangen möchten. Sie waren ihm demnach von mir zugesandt worden. Rahels Name war durch G. bezeichnet. Er hatte Folgendes geant- wortet:
zufrieden, daß er erführe, wie geliebt, wie geehrt er iſt; und nun findet er es gar thunlich, ich glaubt’ es nicht. Nun wird es aber gewiß ganz ſchicklich. Von „Wohlwollenden“ ſpricht er! In ſeinem Leben ſchon entzückte mich das beſcheidene tiefe Wort bis zu Thränen; Marwitz mußte es gleich auch finden. Freilich Wohlwollende! Und nun ſchreibt er dir gar Wohl- wollende. Ich halt’ es nicht aus! Gerne gebe ich ihm, was er nur von dem Buchſtaben G zu ſehen wünſcht; wühlte ihm das tiefſte Herz auf, ſpannte alle Reſſorts des Gedächtniſſes. Aber wie ſoll ich unter den Briefen wählen? Sie noch leſen iſt gräßlich. Wenn du ſie hätteſt, könnteſt du ihm alles zei- gen, und was er nur wiſſen möchte. Leg mich ihm huldigend wie dem größten Fürſten zu Füßen.
Nach dieſem herzberührenden Glück mußt’ ich gleich den Tod des Kindes leſen. Sag Joſephinen, ich möchte ſie in meine Arme ſchließen. Ich habe hier mit ihr geweint, bin hier mit ihr erſtarrt. — Lieber Varnhagen, tröſte ſie ja! ſtehe ihr recht bei. Eigentlich meine beſte Freundin, meine verehr- teſte. Liebe beſte Joſephine, ich weine, und umarme dich. Liebe, Arme! Wie hart! —
Heute muß ich aufhören. Es iſt 12. Leb wohl, und wiſſe mich ewig deine Freundin, weil ich wahr mit dir ſein kann. Adieu, Guter, Ehrlicher, gegen mich! —
Anmerk. Cotta hatte gewünſcht, daß einige vorzüglich Goethe’n betreffende Briefſtellen, bevor ſie gedruckt würden, zu Goethe’s Kenntniß gelangen möchten. Sie waren ihm demnach von mir zugeſandt worden. Rahels Name war durch G. bezeichnet. Er hatte Folgendes geant- wortet:
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zufrieden, daß er erführe, wie geliebt, wie geehrt er iſt; und
nun findet er es gar thunlich, ich glaubt’ es nicht. Nun wird
es aber gewiß ganz ſchicklich. Von „Wohlwollenden“ ſpricht
er! In ſeinem Leben ſchon entzückte mich das beſcheidene tiefe
Wort bis zu Thränen; Marwitz mußte es gleich auch finden.
Freilich Wohlwollende! Und nun ſchreibt er dir gar Wohl-
wollende. Ich halt’ es nicht aus! Gerne gebe ich ihm, was
er nur von dem Buchſtaben G zu ſehen wünſcht; wühlte ihm
das tiefſte Herz auf, ſpannte alle Reſſorts des Gedächtniſſes.
Aber wie ſoll ich unter den Briefen wählen? Sie noch leſen
iſt gräßlich. Wenn du ſie hätteſt, könnteſt du ihm alles zei-
gen, und was er nur wiſſen möchte. Leg mich ihm huldigend
wie dem größten Fürſten zu Füßen.
Nach dieſem herzberührenden Glück mußt’ ich gleich den
Tod des Kindes leſen. Sag Joſephinen, ich möchte ſie in
meine Arme ſchließen. Ich habe hier mit ihr geweint, bin
hier mit ihr erſtarrt. — Lieber Varnhagen, tröſte ſie ja! ſtehe
ihr recht bei. Eigentlich meine beſte Freundin, meine verehr-
teſte. Liebe beſte Joſephine, ich weine, und umarme dich.
Liebe, Arme! Wie hart! —
Heute muß ich aufhören. Es iſt 12. Leb wohl, und wiſſe
mich ewig deine Freundin, weil ich wahr mit dir ſein kann.
Adieu, Guter, Ehrlicher, gegen mich! —
Anmerk. Cotta hatte gewünſcht, daß einige vorzüglich Goethe’n
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/594>, abgerufen am 22.11.2024.
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