Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz bis in Unsinn hinein. -- Nachmittag ein starkes Gewit-
ter. Ich lese St. Real's Fragmente aus der römischen Ge-
schichte. Sehr schlecht gesehen, und nicht gut geschrieben. Was
nöthig ist, und alles, und was Andre wissen, erfährt man
draus. Es ist alles, Sitten und Staaten, noch komplett
römisch. Nur verwischter; und beinah wie, links besser, und
rechts schlechter: wie es fällt.



An Varnhagen, in Wagram.


Vielleicht, mein Freund, hast du einen sehr guten Brief
nöthig in dem Augenblick, in welchem du diesen erhältst, und
das wird kein guter werden. Schlecht ist nun einmal alles,
muß alles werden, weil wir uns getrennt haben! -- Du mußt
nun bleiben. Sei tapfer und brav! Denk' an mich, wenn du
in einem Gefecht bist: du weißt, ich bin furchtsam: aber den
unbekannten Tod würd' ich wählen, wär' ich durch eigene
Wahl darin; und wiche nicht. -- Du weißt, wie ich über
Krieg, über diesen denke. Krieg ist für keinen gebildeten
Menschen. Die nicht wissen, daß der Körper die Person ist,
können ihn sich zerschießen lassen: sonst nur in dem Augen-
blick, wo man angegriffen wird, muß man sich wehren, und
wenn Zorn und Rache fort reißt! Du selbst fühltest es tief
bei des jungen Marwitz Schenkelwunde. Der Unselige! Doch
konntest du ohne Muth- und Thatbeweis nicht leben -- so
führ das herzhaft aus! -- Auch ich ginge in Schwerter, um
den Preiß; das Schicksal selbst forderte ich. Lache bin ich

I. 28

ganz bis in Unſinn hinein. — Nachmittag ein ſtarkes Gewit-
ter. Ich leſe St. Real’s Fragmente aus der römiſchen Ge-
ſchichte. Sehr ſchlecht geſehen, und nicht gut geſchrieben. Was
nöthig iſt, und alles, und was Andre wiſſen, erfährt man
draus. Es iſt alles, Sitten und Staaten, noch komplett
römiſch. Nur verwiſchter; und beinah wie, links beſſer, und
rechts ſchlechter: wie es fällt.



An Varnhagen, in Wagram.


Vielleicht, mein Freund, haſt du einen ſehr guten Brief
nöthig in dem Augenblick, in welchem du dieſen erhältſt, und
das wird kein guter werden. Schlecht iſt nun einmal alles,
muß alles werden, weil wir uns getrennt haben! — Du mußt
nun bleiben. Sei tapfer und brav! Denk’ an mich, wenn du
in einem Gefecht biſt: du weißt, ich bin furchtſam: aber den
unbekannten Tod würd’ ich wählen, wär’ ich durch eigene
Wahl darin; und wiche nicht. — Du weißt, wie ich über
Krieg, über dieſen denke. Krieg iſt für keinen gebildeten
Menſchen. Die nicht wiſſen, daß der Körper die Perſon iſt,
können ihn ſich zerſchießen laſſen: ſonſt nur in dem Augen-
blick, wo man angegriffen wird, muß man ſich wehren, und
wenn Zorn und Rache fort reißt! Du ſelbſt fühlteſt es tief
bei des jungen Marwitz Schenkelwunde. Der Unſelige! Doch
konnteſt du ohne Muth- und Thatbeweis nicht leben — ſo
führ das herzhaft aus! — Auch ich ginge in Schwerter, um
den Preiß; das Schickſal ſelbſt forderte ich. Lâche bin ich

I. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0447" n="433"/>
ganz bis in Un&#x017F;inn hinein. &#x2014; Nachmittag ein &#x017F;tarkes Gewit-<lb/>
ter. Ich le&#x017F;e St. Real&#x2019;s Fragmente aus der römi&#x017F;chen Ge-<lb/>
&#x017F;chichte. Sehr &#x017F;chlecht ge&#x017F;ehen, und nicht gut ge&#x017F;chrieben. Was<lb/>
nöthig i&#x017F;t, und alles, und was Andre wi&#x017F;&#x017F;en, erfährt man<lb/>
draus. Es i&#x017F;t <hi rendition="#g">alles</hi>, Sitten und Staaten, <hi rendition="#g">noch</hi> komplett<lb/>
römi&#x017F;ch. Nur verwi&#x017F;chter; und beinah wie, links be&#x017F;&#x017F;er, und<lb/>
rechts &#x017F;chlechter: wie es fällt.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Wagram.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 8. Juli 1809.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Vielleicht, mein Freund, ha&#x017F;t du einen &#x017F;ehr guten Brief<lb/>
nöthig in dem Augenblick, in welchem du die&#x017F;en erhält&#x017F;t, und<lb/>
das wird kein guter werden. Schlecht i&#x017F;t nun einmal alles,<lb/>
muß alles werden, weil wir uns getrennt haben! &#x2014; Du mußt<lb/>
nun bleiben. Sei tapfer und brav! Denk&#x2019; an mich, wenn du<lb/>
in einem Gefecht bi&#x017F;t: du weißt, ich bin furcht&#x017F;am: aber den<lb/>
unbekannten Tod würd&#x2019; ich wählen, wär&#x2019; ich durch eigene<lb/>
Wahl darin; und wiche nicht. &#x2014; Du weißt, wie ich über<lb/>
Krieg, über die&#x017F;en denke. Krieg i&#x017F;t für keinen gebildeten<lb/>
Men&#x017F;chen. Die nicht wi&#x017F;&#x017F;en, daß der Körper die Per&#x017F;on i&#x017F;t,<lb/>
können ihn &#x017F;ich zer&#x017F;chießen la&#x017F;&#x017F;en: &#x017F;on&#x017F;t nur in dem Augen-<lb/>
blick, wo man angegriffen wird, muß man &#x017F;ich wehren, und<lb/>
wenn Zorn und Rache fort <hi rendition="#g">reißt</hi>! Du &#x017F;elb&#x017F;t fühlte&#x017F;t es tief<lb/>
bei des jungen Marwitz Schenkelwunde. Der Un&#x017F;elige! Doch<lb/>
konnte&#x017F;t du ohne Muth- und Thatbeweis nicht leben &#x2014; &#x017F;o<lb/>
führ das herzhaft aus! &#x2014; Auch ich ginge in Schwerter, um<lb/><hi rendition="#g">den</hi> Preiß; das Schick&#x017F;al &#x017F;elb&#x017F;t forderte ich. <hi rendition="#aq">Lâche</hi> bin ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 28</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0447] ganz bis in Unſinn hinein. — Nachmittag ein ſtarkes Gewit- ter. Ich leſe St. Real’s Fragmente aus der römiſchen Ge- ſchichte. Sehr ſchlecht geſehen, und nicht gut geſchrieben. Was nöthig iſt, und alles, und was Andre wiſſen, erfährt man draus. Es iſt alles, Sitten und Staaten, noch komplett römiſch. Nur verwiſchter; und beinah wie, links beſſer, und rechts ſchlechter: wie es fällt. An Varnhagen, in Wagram. Sonnabend, den 8. Juli 1809. Vielleicht, mein Freund, haſt du einen ſehr guten Brief nöthig in dem Augenblick, in welchem du dieſen erhältſt, und das wird kein guter werden. Schlecht iſt nun einmal alles, muß alles werden, weil wir uns getrennt haben! — Du mußt nun bleiben. Sei tapfer und brav! Denk’ an mich, wenn du in einem Gefecht biſt: du weißt, ich bin furchtſam: aber den unbekannten Tod würd’ ich wählen, wär’ ich durch eigene Wahl darin; und wiche nicht. — Du weißt, wie ich über Krieg, über dieſen denke. Krieg iſt für keinen gebildeten Menſchen. Die nicht wiſſen, daß der Körper die Perſon iſt, können ihn ſich zerſchießen laſſen: ſonſt nur in dem Augen- blick, wo man angegriffen wird, muß man ſich wehren, und wenn Zorn und Rache fort reißt! Du ſelbſt fühlteſt es tief bei des jungen Marwitz Schenkelwunde. Der Unſelige! Doch konnteſt du ohne Muth- und Thatbeweis nicht leben — ſo führ das herzhaft aus! — Auch ich ginge in Schwerter, um den Preiß; das Schickſal ſelbſt forderte ich. Lâche bin ich I. 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/447
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/447>, abgerufen am 20.11.2024.