Moden giebt's keine neue. Theater schlecht. Alles mir so bekannt wie's Berliner. Was thust du diesen Sommer? Humboldts reisen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. s. w. und zum Winter nach Tegel. --
Oktober 1801.
Man karakterisirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und sehr oft steht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und in der Mitte. Die seine Werke in Rangordnung bringen wollen, nennen bald dieses, bald jenes erst, bald erklären sie den Goethe aus dem einen, bald aus andern stückweise, und scheinen so hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz zu erkennen sei? Warum stellen sie nicht Einmal die simple Frage auf: Aus welchem von seinen Werken könnte man wohl schließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne? Ist diese Frage zu beantworten, so hätte man den Anfang jener Rangordnung gleich gefunden, und sie könnte ihren Fortgang nehmen. Ich würde Tasso auf diese Frage nennen. Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.
So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit ist, so wagt man noch immer etwas, sich unter die Ungebildeten zu mischen.
Den 9. Oktober 1801.
Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der die Straßen, wie's im Frühling pflegt, noch nicht ganz schwärzte,
Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer? Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w. und zum Winter nach Tegel. —
Oktober 1801.
Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne? Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen. Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.
So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt, ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten zu miſchen.
Den 9. Oktober 1801.
Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0261"n="247"/><postscript><p>Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir<lb/>ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer?<lb/>
Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w.<lb/>
und zum Winter nach Tegel. —</p></postscript></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Oktober 1801.</hi></dateline><lb/><p>Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und<lb/>ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und<lb/>
in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen<lb/>
wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie<lb/>
den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und<lb/>ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz<lb/>
zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple<lb/>
Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man<lb/>
wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne?<lb/>
Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang<lb/>
jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren<lb/>
Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen.<lb/>
Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt,<lb/>ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten<lb/>
zu miſchen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 9. Oktober 1801.</hi></dateline><lb/><p>Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der<lb/>
die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[247/0261]
Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir
ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer?
Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w.
und zum Winter nach Tegel. —
Oktober 1801.
Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und
ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und
in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen
wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie
den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und
ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz
zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple
Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man
wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne?
Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang
jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren
Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen.
Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.
So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt,
ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten
zu miſchen.
Den 9. Oktober 1801.
Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der
die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/261>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.