Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gerin all meine Briefe zeigen, auch von Rose, und Sie wer-
den meine Genesung erkennen. --




So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.



Wie kann das Leben gut sein, da man wie in einem un-
sichern Schiffe vor den schönsten Ufern vorbeifliegt, und nur
in Eil und durch Geschicklichkeit sich Blumen und Schätze er-
reißt, an dürren Klippen aber wider Willen festgebannt wird,
oder zerschmettert!




Das würdigste Glück auf Erden ist, in mancher Berau-
bung immer zu leben: das geschieht nur ausgezeichneten Men-
schen, nämlich solchen, die das kennen, was göttlich wäre;
besitzen kann es niemand. Unsere Wünsche sind unsere Seele,
der Genuß ist endlich, und allein das Wirkliche. Und wir
sollten uns und allem, was leben muß, den Wechsel und jede
Thorheit nicht gestatten? Anfangen muß anderes: besin-
nen muß man sich auch. Eine Thräne zwischen einem Genusse
und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen
des Himmels auf der Erde.



Wie wir selbst sind, schließen wir ja auch nur. Wir
müssen ja Momente zusammennehmen, und das Passendste
als etwas Ganzes ansehn.



gerin all meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer-
den meine Geneſung erkennen. —




So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.



Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un-
ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur
in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er-
reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird,
oder zerſchmettert!




Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau-
bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men-
ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre;
beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele,
der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir
ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede
Thorheit nicht geſtatten? Anfangen muß anderes: beſin-
nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe
und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen
des Himmels auf der Erde.



Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir
müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte
als etwas Ganzes anſehn.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0245" n="231"/>
gerin <hi rendition="#g">all</hi> meine Briefe zeigen, auch von Ro&#x017F;e, und Sie wer-<lb/>
den meine Gene&#x017F;ung erkennen. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 23. Februar 1801.</hi> </dateline><lb/>
            <p>So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Wie kann das Leben gut &#x017F;ein, da man wie in einem un-<lb/>
&#x017F;ichern Schiffe vor den &#x017F;chön&#x017F;ten Ufern vorbeifliegt, und nur<lb/>
in Eil und durch Ge&#x017F;chicklichkeit &#x017F;ich Blumen und Schätze er-<lb/>
reißt, an dürren Klippen aber wider Willen fe&#x017F;tgebannt wird,<lb/>
oder zer&#x017F;chmettert!</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">1801.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Das würdig&#x017F;te Glück auf Erden i&#x017F;t, in mancher Berau-<lb/>
bung immer zu leben: das ge&#x017F;chieht nur ausgezeichneten Men-<lb/>
&#x017F;chen, nämlich &#x017F;olchen, die das kennen, was göttlich wäre;<lb/>
be&#x017F;itzen kann es niemand. Un&#x017F;ere Wün&#x017F;che &#x017F;ind un&#x017F;ere Seele,<lb/>
der Genuß i&#x017F;t endlich, und allein das Wirkliche. Und wir<lb/>
&#x017F;ollten uns und allem, was leben muß, den Wech&#x017F;el und jede<lb/>
Thorheit nicht ge&#x017F;tatten? <hi rendition="#g">Anfangen</hi> muß <hi rendition="#g">anderes</hi>: be&#x017F;in-<lb/>
nen muß man &#x017F;ich auch. Eine Thräne zwi&#x017F;chen einem Genu&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen<lb/>
des Himmels auf der Erde.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Wie wir &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind, &#x017F;chließen wir ja auch nur. Wir<lb/>&#x017F;&#x017F;en ja Momente zu&#x017F;ammennehmen, und das Pa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;te<lb/>
als etwas Ganzes an&#x017F;ehn.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0245] gerin all meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer- den meine Geneſung erkennen. — Den 23. Februar 1801. So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an. Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un- ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er- reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird, oder zerſchmettert! 1801. Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau- bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men- ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre; beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele, der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede Thorheit nicht geſtatten? Anfangen muß anderes: beſin- nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen des Himmels auf der Erde. Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte als etwas Ganzes anſehn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/245
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/245>, abgerufen am 21.12.2024.