Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lich mit einander gelebt." Zu Horn, der sich ihm von selbst präsentirte,
hat er gesagt, Sie hätten stärkere Empfindungen, als er je beobachtet
hätte, und dabei die Kraft sie in jedem Augenblick zu unterdrücken; und
noch mehr, (ich war nicht zugegen)." -- --


Horn hatte so berichtet:

-- "Wenn es uns auch gleichgültig ist die Meinung der Menge von
uns zu erfahren, so ist es uns desto interessanter, die Meinung eines lie-
benswürdigen und geliebten Menschen zu hören; hier ist sie! -- Ich sagte
-- ich weiß nicht mehr was, und wüßte ich es auch, wär's doch hier un-
bedeutend -- darauf antwortete Goethe: "In, es ist ein liebevolles Mäd-
chen; sie ist stark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder
Äußerung; jenes giebt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht sie angenehm;
jenes macht, daß wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies,
daß diese Originalität liebenswürdig wird, daß sie uns gefällt. Es ist
nicht zu läugnen, es giebt viele wenigstens original scheinende Menschen
in der Welt; aber was sichert uns dafür, daß es nicht bloßer Schein ist?
daß das, was wir für Eingebungen eines höberen Geistes zu halten ge-
neigt sind, nicht bloß Wirkung einer vorübergehenden Laune ist? -- Nicht
so ist es bei ihr; -- sie ist, so weit ich sie kenne, in jedem Augenblicke sich
gleich, immer in einer eigenen Art bewegt, und doch ruhig, -- kurz, sie
ist was ich eine schöne Seele nennen möchte; man fühlt sich, je näher
man sie kennen lernt, desto mehr angezogen, und lieblich gehalten." --
Dies war's, was ich Ihnen so gern selbst sagen wollte; nehmen Sie es,
wie es ist; ich habe seine Worte, wo mein Gedächtniß mich nicht verließ,
beibehalten. -- Meinen schönsten Werth habe ich hingegeben; ich muß,
wenn es mir möglich ist, noch einmal zu Goethe nach Weimar um Worte
köstlichen Sinnes zu sammeln, um die Weisheit in ihrer liebenswürdig-
sten Gestalt noch viel aus seinem Munde zu hören. Wie hat sich meine
Meinung von ihm geändert, seit ich im Karlsbad war; schon deßwegen
ist es mir lieb, da gewesen zu sein. -- Wir sprachen weiter, und kamen
auf Ihre große Liebe zu ihm als Dichter: "Es ist mir doppelt lieb, sagte
er, denn es ist bei ihr keine allgemeine Idee; sie hat sich jedes Einzelne
deutlich gemacht. Eine allgemeine Idee beweist größtentheils, daß wir
unsre Würdigung des Dichters aus der Meinung Anderer nehmen; haben
wir uns aber jedes Einzelne deutlich gemacht, so zeigt das natürlich, daß
wir selbst rein empfunden und deutlich gedacht haben." --



lich mit einander gelebt.“ Zu Horn, der ſich ihm von ſelbſt präſentirte,
hat er geſagt, Sie hätten ſtärkere Empfindungen, als er je beobachtet
hätte, und dabei die Kraft ſie in jedem Augenblick zu unterdrücken; und
noch mehr, (ich war nicht zugegen).“ — —


Horn hatte ſo berichtet:

— „Wenn es uns auch gleichgültig iſt die Meinung der Menge von
uns zu erfahren, ſo iſt es uns deſto intereſſanter, die Meinung eines lie-
benswürdigen und geliebten Menſchen zu hören; hier iſt ſie! — Ich ſagte
— ich weiß nicht mehr was, und wüßte ich es auch, wär’s doch hier un-
bedeutend — darauf antwortete Goethe: „In, es iſt ein liebevolles Mäd-
chen; ſie iſt ſtark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder
Äußerung; jenes giebt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht ſie angenehm;
jenes macht, daß wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies,
daß dieſe Originalität liebenswürdig wird, daß ſie uns gefällt. Es iſt
nicht zu läugnen, es giebt viele wenigſtens original ſcheinende Menſchen
in der Welt; aber was ſichert uns dafür, daß es nicht bloßer Schein iſt?
daß das, was wir für Eingebungen eines höberen Geiſtes zu halten ge-
neigt ſind, nicht bloß Wirkung einer vorübergehenden Laune iſt? — Nicht
ſo iſt es bei ihr; — ſie iſt, ſo weit ich ſie kenne, in jedem Augenblicke ſich
gleich, immer in einer eigenen Art bewegt, und doch ruhig, — kurz, ſie
iſt was ich eine ſchöne Seele nennen möchte; man fühlt ſich, je näher
man ſie kennen lernt, deſto mehr angezogen, und lieblich gehalten.“ —
Dies war’s, was ich Ihnen ſo gern ſelbſt ſagen wollte; nehmen Sie es,
wie es iſt; ich habe ſeine Worte, wo mein Gedächtniß mich nicht verließ,
beibehalten. — Meinen ſchönſten Werth habe ich hingegeben; ich muß,
wenn es mir möglich iſt, noch einmal zu Goethe nach Weimar um Worte
köſtlichen Sinnes zu ſammeln, um die Weisheit in ihrer liebenswürdig-
ſten Geſtalt noch viel aus ſeinem Munde zu hören. Wie hat ſich meine
Meinung von ihm geändert, ſeit ich im Karlsbad war; ſchon deßwegen
iſt es mir lieb, da geweſen zu ſein. — Wir ſprachen weiter, und kamen
auf Ihre große Liebe zu ihm als Dichter: „Es iſt mir doppelt lieb, ſagte
er, denn es iſt bei ihr keine allgemeine Idee; ſie hat ſich jedes Einzelne
deutlich gemacht. Eine allgemeine Idee beweiſt größtentheils, daß wir
unſre Würdigung des Dichters aus der Meinung Anderer nehmen; haben
wir uns aber jedes Einzelne deutlich gemacht, ſo zeigt das natürlich, daß
wir ſelbſt rein empfunden und deutlich gedacht haben.“ —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0172" n="158"/>
lich mit einander gelebt.&#x201C; Zu Horn, der &#x017F;ich ihm von &#x017F;elb&#x017F;t prä&#x017F;entirte,<lb/>
hat er ge&#x017F;agt, Sie hätten &#x017F;tärkere <choice><sic>Empfindungeu</sic><corr>Empfindungen</corr></choice>, als er je beobachtet<lb/>
hätte, und dabei die Kraft &#x017F;ie in jedem Augenblick zu unterdrücken; und<lb/>
noch mehr, (ich war nicht zugegen).&#x201C; &#x2014; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Jena, den 3. September 1795.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Horn hatte &#x017F;o berichtet:</p><lb/>
            <p>&#x2014; &#x201E;Wenn es uns auch gleichgültig i&#x017F;t die Meinung der Menge von<lb/>
uns zu erfahren, &#x017F;o i&#x017F;t es uns de&#x017F;to intere&#x017F;&#x017F;anter, die Meinung eines lie-<lb/>
benswürdigen und geliebten Men&#x017F;chen zu hören; hier i&#x017F;t &#x017F;ie! &#x2014; Ich &#x017F;agte<lb/>
&#x2014; ich weiß nicht mehr was, und wüßte ich es auch, wär&#x2019;s doch hier un-<lb/>
bedeutend &#x2014; darauf antwortete Goethe: &#x201E;In, es i&#x017F;t ein liebevolles Mäd-<lb/>
chen; &#x017F;ie i&#x017F;t &#x017F;tark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder<lb/>
Äußerung; jenes giebt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht &#x017F;ie angenehm;<lb/>
jenes macht, daß wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies,<lb/>
daß die&#x017F;e Originalität liebenswürdig wird, daß &#x017F;ie uns gefällt. Es i&#x017F;t<lb/>
nicht zu läugnen, es giebt viele wenig&#x017F;tens original &#x017F;cheinende Men&#x017F;chen<lb/>
in der Welt; aber was &#x017F;ichert uns dafür, daß es nicht bloßer Schein i&#x017F;t?<lb/>
daß das, was wir für Eingebungen eines höberen Gei&#x017F;tes zu halten ge-<lb/>
neigt &#x017F;ind, nicht bloß Wirkung einer vorübergehenden Laune i&#x017F;t? &#x2014; Nicht<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es bei ihr; &#x2014; &#x017F;ie i&#x017F;t, &#x017F;o weit ich &#x017F;ie kenne, in jedem Augenblicke &#x017F;ich<lb/>
gleich, immer in einer eigenen Art bewegt, und doch ruhig, &#x2014; kurz, &#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t was ich eine &#x017F;chöne Seele nennen möchte; man fühlt &#x017F;ich, je näher<lb/>
man &#x017F;ie kennen lernt, de&#x017F;to mehr angezogen, und lieblich gehalten.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Dies war&#x2019;s, was ich Ihnen &#x017F;o gern &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen wollte; nehmen Sie es,<lb/>
wie es i&#x017F;t; ich habe &#x017F;eine Worte, wo mein Gedächtniß mich nicht verließ,<lb/>
beibehalten. &#x2014; Meinen &#x017F;chön&#x017F;ten Werth habe ich hingegeben; ich muß,<lb/>
wenn es mir möglich i&#x017F;t, noch einmal zu Goethe nach Weimar um Worte<lb/>&#x017F;tlichen Sinnes zu &#x017F;ammeln, um die Weisheit in ihrer liebenswürdig-<lb/>
&#x017F;ten Ge&#x017F;talt noch viel aus &#x017F;einem Munde zu hören. Wie hat &#x017F;ich meine<lb/>
Meinung von ihm geändert, &#x017F;eit ich im Karlsbad war; &#x017F;chon <hi rendition="#g">deßwegen</hi><lb/>
i&#x017F;t es mir lieb, da gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein. &#x2014; Wir &#x017F;prachen weiter, und kamen<lb/>
auf Ihre große Liebe zu ihm als Dichter: &#x201E;Es i&#x017F;t mir doppelt lieb, &#x017F;agte<lb/>
er, denn es i&#x017F;t bei ihr keine allgemeine Idee; &#x017F;ie hat &#x017F;ich jedes Einzelne<lb/>
deutlich gemacht. Eine allgemeine Idee bewei&#x017F;t größtentheils, daß wir<lb/>
un&#x017F;re Würdigung des Dichters aus der Meinung Anderer nehmen; haben<lb/>
wir uns aber jedes Einzelne deutlich gemacht, &#x017F;o zeigt das natürlich, daß<lb/>
wir <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t</hi> rein empfunden und deutlich gedacht haben.&#x201C; &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0172] lich mit einander gelebt.“ Zu Horn, der ſich ihm von ſelbſt präſentirte, hat er geſagt, Sie hätten ſtärkere Empfindungen, als er je beobachtet hätte, und dabei die Kraft ſie in jedem Augenblick zu unterdrücken; und noch mehr, (ich war nicht zugegen).“ — — Jena, den 3. September 1795. Horn hatte ſo berichtet: — „Wenn es uns auch gleichgültig iſt die Meinung der Menge von uns zu erfahren, ſo iſt es uns deſto intereſſanter, die Meinung eines lie- benswürdigen und geliebten Menſchen zu hören; hier iſt ſie! — Ich ſagte — ich weiß nicht mehr was, und wüßte ich es auch, wär’s doch hier un- bedeutend — darauf antwortete Goethe: „In, es iſt ein liebevolles Mäd- chen; ſie iſt ſtark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder Äußerung; jenes giebt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht ſie angenehm; jenes macht, daß wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies, daß dieſe Originalität liebenswürdig wird, daß ſie uns gefällt. Es iſt nicht zu läugnen, es giebt viele wenigſtens original ſcheinende Menſchen in der Welt; aber was ſichert uns dafür, daß es nicht bloßer Schein iſt? daß das, was wir für Eingebungen eines höberen Geiſtes zu halten ge- neigt ſind, nicht bloß Wirkung einer vorübergehenden Laune iſt? — Nicht ſo iſt es bei ihr; — ſie iſt, ſo weit ich ſie kenne, in jedem Augenblicke ſich gleich, immer in einer eigenen Art bewegt, und doch ruhig, — kurz, ſie iſt was ich eine ſchöne Seele nennen möchte; man fühlt ſich, je näher man ſie kennen lernt, deſto mehr angezogen, und lieblich gehalten.“ — Dies war’s, was ich Ihnen ſo gern ſelbſt ſagen wollte; nehmen Sie es, wie es iſt; ich habe ſeine Worte, wo mein Gedächtniß mich nicht verließ, beibehalten. — Meinen ſchönſten Werth habe ich hingegeben; ich muß, wenn es mir möglich iſt, noch einmal zu Goethe nach Weimar um Worte köſtlichen Sinnes zu ſammeln, um die Weisheit in ihrer liebenswürdig- ſten Geſtalt noch viel aus ſeinem Munde zu hören. Wie hat ſich meine Meinung von ihm geändert, ſeit ich im Karlsbad war; ſchon deßwegen iſt es mir lieb, da geweſen zu ſein. — Wir ſprachen weiter, und kamen auf Ihre große Liebe zu ihm als Dichter: „Es iſt mir doppelt lieb, ſagte er, denn es iſt bei ihr keine allgemeine Idee; ſie hat ſich jedes Einzelne deutlich gemacht. Eine allgemeine Idee beweiſt größtentheils, daß wir unſre Würdigung des Dichters aus der Meinung Anderer nehmen; haben wir uns aber jedes Einzelne deutlich gemacht, ſo zeigt das natürlich, daß wir ſelbſt rein empfunden und deutlich gedacht haben.“ —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/172
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/172>, abgerufen am 21.12.2024.