möcht' ich sagen, ich fass' es nicht. Nämlich, ich wundere mich so. Wie so kann er wissen, daß ich Empfindung habe!? Niemanden hab' ich mich in meinem Leben weniger in irgend einer Art zeigen können, als ihm. Durch Zeitumstände; und Menschen; liebe Menschen. Doch schweigen wir davon. Wie von allem Redewerthen. Er ist Goethe. Und was ihm scheint und er sagt, ist wahr. Von mir selbst glaub' ich ihm. Ich seh ihn schon einmal wieder, das andere Kurjahr. Wenn Sie ihn, vor Berlin, sehen, Horn, so grüßen Sie ihn, von dem Menschen, der ihn immer angebetet, vergöttert hätte, auch wenn ihn niemand rühmte, verstünde, bewunderte. Und wenn er sich wunderte, daß ein gemäßigtes Mädchen ihm eine anscheinende Extravagance sagen ließe; so sollt' er's nicht thun, und lieber bewundern, daß sie ihn so respektirte, daß es einen Respekt gäbe, der sie allein zurückhielte, es ihm nicht zu sagen. Sagen Sie ihm, es wäre nicht Affektation, sondern Pflaumenweichheit! Überhaupt könnt' ich nicht dafür, daß die Andern alles affektirten, was ich im Ernst meine. Hab' ich Recht? Ja, ja, ich bet' ihn an. --
Anmerk. Veit hatte an Rahel geschrieben:
-- "Den zweiten Tag nach unsrer Ankunft war Ball, und Goethe kam mir entgegen, mit den Worten: "Nun, wie geht's Ihnen denn, lie- ber Herr Veit? Sie haben sich hierher gemacht; sehr recht. Wo kommen Sie denn jetzt her" u. s. w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte, und ihm sagte, daß ich in Töplitz acht Tage gewesen, und hingereist wäre, um Sie zu sprechen: "Ja da haben Sie wohl recht gethan, versetzte er, wenn Sie sie in langer Zeit nicht gesehn hatten; freilich -- Ja es ist ein Mäd- chen von außerordentlichem Verstand, die immer denkt, und von Empfin- dungen -- wo findet man das? Es ist etwas Soltenes. O wir waren auch beständig zusammen, wir haben sehr freundschaftlich und vertrau-
möcht’ ich ſagen, ich faſſ’ es nicht. Nämlich, ich wundere mich ſo. Wie ſo kann er wiſſen, daß ich Empfindung habe!? Niemanden hab’ ich mich in meinem Leben weniger in irgend einer Art zeigen können, als ihm. Durch Zeitumſtände; und Menſchen; liebe Menſchen. Doch ſchweigen wir davon. Wie von allem Redewerthen. Er iſt Goethe. Und was ihm ſcheint und er ſagt, iſt wahr. Von mir ſelbſt glaub’ ich ihm. Ich ſeh ihn ſchon einmal wieder, das andere Kurjahr. Wenn Sie ihn, vor Berlin, ſehen, Horn, ſo grüßen Sie ihn, von dem Menſchen, der ihn immer angebetet, vergöttert hätte, auch wenn ihn niemand rühmte, verſtünde, bewunderte. Und wenn er ſich wunderte, daß ein gemäßigtes Mädchen ihm eine anſcheinende Extravagance ſagen ließe; ſo ſollt’ er’s nicht thun, und lieber bewundern, daß ſie ihn ſo reſpektirte, daß es einen Reſpekt gäbe, der ſie allein zurückhielte, es ihm nicht zu ſagen. Sagen Sie ihm, es wäre nicht Affektation, ſondern Pflaumenweichheit! Überhaupt könnt’ ich nicht dafür, daß die Andern alles affektirten, was ich im Ernſt meine. Hab’ ich Recht? Ja, ja, ich bet’ ihn an. —
Anmerk. Veit hatte an Rahel geſchrieben:
— „Den zweiten Tag nach unſrer Ankunft war Ball, und Goethe kam mir entgegen, mit den Worten: „Nun, wie geht’s Ihnen denn, lie- ber Herr Veit? Sie haben ſich hierher gemacht; ſehr recht. Wo kommen Sie denn jetzt her“ u. ſ. w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte, und ihm ſagte, daß ich in Töplitz acht Tage geweſen, und hingereiſt wäre, um Sie zu ſprechen: „Ja da haben Sie wohl recht gethan, verſetzte er, wenn Sie ſie in langer Zeit nicht geſehn hatten; freilich — Ja es iſt ein Mäd- chen von außerordentlichem Verſtand, die immer denkt, und von Empfin- dungen — wo findet man das? Es iſt etwas Soltenes. O wir waren auch beſtändig zuſammen, wir haben ſehr freundſchaftlich und vertrau-
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möcht’ ich ſagen, ich faſſ’ es nicht. Nämlich, ich wundere
mich ſo. Wie ſo kann er wiſſen, daß ich Empfindung habe!?
Niemanden hab’ ich mich in meinem Leben weniger in irgend
einer Art zeigen können, als ihm. Durch Zeitumſtände; und
Menſchen; liebe Menſchen. Doch ſchweigen wir davon.
Wie von allem Redewerthen. Er iſt Goethe. Und was ihm
ſcheint und er ſagt, iſt wahr. Von mir ſelbſt glaub’ ich ihm.
Ich ſeh ihn ſchon einmal wieder, das andere Kurjahr. Wenn
Sie ihn, vor Berlin, ſehen, Horn, ſo grüßen Sie ihn, von
dem Menſchen, der ihn immer angebetet, vergöttert hätte,
auch wenn ihn niemand rühmte, verſtünde, bewunderte. Und
wenn er ſich wunderte, daß ein gemäßigtes Mädchen ihm eine
anſcheinende Extravagance ſagen ließe; ſo ſollt’ er’s nicht
thun, und lieber bewundern, daß ſie ihn ſo reſpektirte, daß
es einen Reſpekt gäbe, der ſie allein zurückhielte, es ihm
nicht zu ſagen. Sagen Sie ihm, es wäre nicht Affektation,
ſondern Pflaumenweichheit! Überhaupt könnt’ ich nicht dafür,
daß die Andern alles affektirten, was ich im Ernſt meine.
Hab’ ich Recht? Ja, ja, ich bet’ ihn an. —
Anmerk. Veit hatte an Rahel geſchrieben:
— „Den zweiten Tag nach unſrer Ankunft war Ball, und Goethe
kam mir entgegen, mit den Worten: „Nun, wie geht’s Ihnen denn, lie-
ber Herr Veit? Sie haben ſich hierher gemacht; ſehr recht. Wo kommen
Sie denn jetzt her“ u. ſ. w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte, und
ihm ſagte, daß ich in Töplitz acht Tage geweſen, und hingereiſt wäre, um
Sie zu ſprechen: „Ja da haben Sie wohl recht gethan, verſetzte er, wenn
Sie ſie in langer Zeit nicht geſehn hatten; freilich — Ja es iſt ein Mäd-
chen von außerordentlichem Verſtand, die immer denkt, und von Empfin-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/171>, abgerufen am 21.12.2024.
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