Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Generale, unsren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieses
Herzeleid, wie die Spitze meiner Beschwörung so oft thut,
und brauchen Sie eine defaite, wo die Welt und Sie sich
verloren glauben, sich unversehens aufzuraffen, über den An-
blick von Kadaver und Ermattung zu siegen, und durch Muth
und Fleiß alles zu ersetzen, was Sie verloren gaben, um er-
müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer
schweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptstadt einzuziehen.
Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wissen!
Erst heut und gestern hab' ich rasend werden wollen (und
will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn
ich fühle, was das für ein Geschick sein muß, das einem das
giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wissen, sonst
weiß man gar nichts. --

Ihre Leidenschaft für unsren Briefwechsel ist ganz recht-
mäßig, und im höchsten Grade auf das Gefühl der Würdig-
keit gegründet; und wenn die äußern Umstände etwas thun,
so mögen sie (o! ich werde mich entsetzlich ausdrücken, ich
kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichsam größeren Raum
geben, in dem Sie sich so recht über diesen Briefwechsel freuen;
daß, da Sie doch alles Genusses (ich muß das Wort brau-
chen) beraubt sind, sie Ihnen doch diesen, den Sie mit Leiden-
schaft lieben, haben lassen müssen, und noch selbst dazu haben
thun müssen, ihn zu erhöhen. -- --


Zuletzt, wenn man's auch gar nicht mehr bedarf, kommt
alles in Gleichgewicht, also auch wohl ich, mit der dankbaren
Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl

könnte

Generale, unſren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieſes
Herzeleid, wie die Spitze meiner Beſchwörung ſo oft thut,
und brauchen Sie eine défaite, wo die Welt und Sie ſich
verloren glauben, ſich unverſehens aufzuraffen, über den An-
blick von Kadaver und Ermattung zu ſiegen, und durch Muth
und Fleiß alles zu erſetzen, was Sie verloren gaben, um er-
müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer
ſchweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptſtadt einzuziehen.
Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wiſſen!
Erſt heut und geſtern hab’ ich raſend werden wollen (und
will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn
ich fühle, was das für ein Geſchick ſein muß, das einem das
giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wiſſen, ſonſt
weiß man gar nichts. —

Ihre Leidenſchaft für unſren Briefwechſel iſt ganz recht-
mäßig, und im höchſten Grade auf das Gefühl der Würdig-
keit gegründet; und wenn die äußern Umſtände etwas thun,
ſo mögen ſie (o! ich werde mich entſetzlich ausdrücken, ich
kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichſam größeren Raum
geben, in dem Sie ſich ſo recht über dieſen Briefwechſel freuen;
daß, da Sie doch alles Genuſſes (ich muß das Wort brau-
chen) beraubt ſind, ſie Ihnen doch dieſen, den Sie mit Leiden-
ſchaft lieben, haben laſſen müſſen, und noch ſelbſt dazu haben
thun müſſen, ihn zu erhöhen. — —


Zuletzt, wenn man’s auch gar nicht mehr bedarf, kommt
alles in Gleichgewicht, alſo auch wohl ich, mit der dankbaren
Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl

könnte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="112"/>
Generale, un&#x017F;ren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie die&#x017F;es<lb/>
Herzeleid, wie die Spitze meiner Be&#x017F;chwörung &#x017F;o oft thut,<lb/>
und brauchen Sie eine <hi rendition="#aq">défaite,</hi> wo die Welt und Sie &#x017F;ich<lb/>
verloren glauben, &#x017F;ich unver&#x017F;ehens aufzuraffen, über den An-<lb/>
blick von Kadaver und Ermattung zu &#x017F;iegen, und durch Muth<lb/>
und Fleiß alles zu er&#x017F;etzen, was Sie verloren gaben, um er-<lb/>
müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer<lb/>
&#x017F;chweren Thaten erwartend, in Ihre Haupt&#x017F;tadt einzuziehen.<lb/>
Was bleibt einem anders übrig, als <hi rendition="#g">recht viel</hi> zu wi&#x017F;&#x017F;en!<lb/>
Er&#x017F;t heut und ge&#x017F;tern hab&#x2019; ich ra&#x017F;end werden wollen (und<lb/>
will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn<lb/>
ich fühle, was das für ein Ge&#x017F;chick &#x017F;ein muß, das einem das<lb/>
giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
weiß man gar nichts. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Ihre Leiden&#x017F;chaft für un&#x017F;ren Briefwech&#x017F;el i&#x017F;t ganz recht-<lb/>
mäßig, und im höch&#x017F;ten Grade auf das Gefühl der Würdig-<lb/>
keit gegründet; und wenn die äußern Um&#x017F;tände etwas thun,<lb/>
&#x017F;o mögen &#x017F;ie (o! ich werde mich ent&#x017F;etzlich ausdrücken, ich<lb/>
kann aber nicht anders) Ihnen nur gleich&#x017F;am größeren Raum<lb/>
geben, in dem Sie &#x017F;ich &#x017F;o recht über die&#x017F;en Briefwech&#x017F;el freuen;<lb/>
daß, da Sie doch alles Genu&#x017F;&#x017F;es (ich muß das Wort brau-<lb/>
chen) beraubt &#x017F;ind, &#x017F;ie Ihnen doch die&#x017F;en, den Sie mit Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft lieben, haben la&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en, und noch <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t</hi> dazu haben<lb/>
thun mü&#x017F;&#x017F;en, ihn zu erhöhen. &#x2014; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 17. November.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Zuletzt, wenn man&#x2019;s auch gar nicht mehr bedarf, kommt<lb/>
alles in Gleichgewicht, al&#x017F;o auch wohl ich, mit der dankbaren<lb/>
Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">könnte</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0126] Generale, unſren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieſes Herzeleid, wie die Spitze meiner Beſchwörung ſo oft thut, und brauchen Sie eine défaite, wo die Welt und Sie ſich verloren glauben, ſich unverſehens aufzuraffen, über den An- blick von Kadaver und Ermattung zu ſiegen, und durch Muth und Fleiß alles zu erſetzen, was Sie verloren gaben, um er- müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer ſchweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptſtadt einzuziehen. Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wiſſen! Erſt heut und geſtern hab’ ich raſend werden wollen (und will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn ich fühle, was das für ein Geſchick ſein muß, das einem das giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wiſſen, ſonſt weiß man gar nichts. — Ihre Leidenſchaft für unſren Briefwechſel iſt ganz recht- mäßig, und im höchſten Grade auf das Gefühl der Würdig- keit gegründet; und wenn die äußern Umſtände etwas thun, ſo mögen ſie (o! ich werde mich entſetzlich ausdrücken, ich kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichſam größeren Raum geben, in dem Sie ſich ſo recht über dieſen Briefwechſel freuen; daß, da Sie doch alles Genuſſes (ich muß das Wort brau- chen) beraubt ſind, ſie Ihnen doch dieſen, den Sie mit Leiden- ſchaft lieben, haben laſſen müſſen, und noch ſelbſt dazu haben thun müſſen, ihn zu erhöhen. — — Den 17. November. Zuletzt, wenn man’s auch gar nicht mehr bedarf, kommt alles in Gleichgewicht, alſo auch wohl ich, mit der dankbaren Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl könnte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/126
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/126>, abgerufen am 30.12.2024.