Generale, unsren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieses Herzeleid, wie die Spitze meiner Beschwörung so oft thut, und brauchen Sie eine defaite, wo die Welt und Sie sich verloren glauben, sich unversehens aufzuraffen, über den An- blick von Kadaver und Ermattung zu siegen, und durch Muth und Fleiß alles zu ersetzen, was Sie verloren gaben, um er- müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer schweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptstadt einzuziehen. Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wissen! Erst heut und gestern hab' ich rasend werden wollen (und will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn ich fühle, was das für ein Geschick sein muß, das einem das giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wissen, sonst weiß man gar nichts. --
Ihre Leidenschaft für unsren Briefwechsel ist ganz recht- mäßig, und im höchsten Grade auf das Gefühl der Würdig- keit gegründet; und wenn die äußern Umstände etwas thun, so mögen sie (o! ich werde mich entsetzlich ausdrücken, ich kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichsam größeren Raum geben, in dem Sie sich so recht über diesen Briefwechsel freuen; daß, da Sie doch alles Genusses (ich muß das Wort brau- chen) beraubt sind, sie Ihnen doch diesen, den Sie mit Leiden- schaft lieben, haben lassen müssen, und noch selbst dazu haben thun müssen, ihn zu erhöhen. -- --
Den 17. November.
Zuletzt, wenn man's auch gar nicht mehr bedarf, kommt alles in Gleichgewicht, also auch wohl ich, mit der dankbaren Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl
könnte
Generale, unſren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieſes Herzeleid, wie die Spitze meiner Beſchwörung ſo oft thut, und brauchen Sie eine défaite, wo die Welt und Sie ſich verloren glauben, ſich unverſehens aufzuraffen, über den An- blick von Kadaver und Ermattung zu ſiegen, und durch Muth und Fleiß alles zu erſetzen, was Sie verloren gaben, um er- müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer ſchweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptſtadt einzuziehen. Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wiſſen! Erſt heut und geſtern hab’ ich raſend werden wollen (und will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn ich fühle, was das für ein Geſchick ſein muß, das einem das giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wiſſen, ſonſt weiß man gar nichts. —
Ihre Leidenſchaft für unſren Briefwechſel iſt ganz recht- mäßig, und im höchſten Grade auf das Gefühl der Würdig- keit gegründet; und wenn die äußern Umſtände etwas thun, ſo mögen ſie (o! ich werde mich entſetzlich ausdrücken, ich kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichſam größeren Raum geben, in dem Sie ſich ſo recht über dieſen Briefwechſel freuen; daß, da Sie doch alles Genuſſes (ich muß das Wort brau- chen) beraubt ſind, ſie Ihnen doch dieſen, den Sie mit Leiden- ſchaft lieben, haben laſſen müſſen, und noch ſelbſt dazu haben thun müſſen, ihn zu erhöhen. — —
Den 17. November.
Zuletzt, wenn man’s auch gar nicht mehr bedarf, kommt alles in Gleichgewicht, alſo auch wohl ich, mit der dankbaren Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl
könnte
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Generale, unſren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieſes
Herzeleid, wie die Spitze meiner Beſchwörung ſo oft thut,
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verloren glauben, ſich unverſehens aufzuraffen, über den An-
blick von Kadaver und Ermattung zu ſiegen, und durch Muth
und Fleiß alles zu erſetzen, was Sie verloren gaben, um er-
müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer
ſchweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptſtadt einzuziehen.
Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wiſſen!
Erſt heut und geſtern hab’ ich raſend werden wollen (und
will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn
ich fühle, was das für ein Geſchick ſein muß, das einem das
giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wiſſen, ſonſt
weiß man gar nichts. —
Ihre Leidenſchaft für unſren Briefwechſel iſt ganz recht-
mäßig, und im höchſten Grade auf das Gefühl der Würdig-
keit gegründet; und wenn die äußern Umſtände etwas thun,
ſo mögen ſie (o! ich werde mich entſetzlich ausdrücken, ich
kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichſam größeren Raum
geben, in dem Sie ſich ſo recht über dieſen Briefwechſel freuen;
daß, da Sie doch alles Genuſſes (ich muß das Wort brau-
chen) beraubt ſind, ſie Ihnen doch dieſen, den Sie mit Leiden-
ſchaft lieben, haben laſſen müſſen, und noch ſelbſt dazu haben
thun müſſen, ihn zu erhöhen. — —
Den 17. November.
Zuletzt, wenn man’s auch gar nicht mehr bedarf, kommt
alles in Gleichgewicht, alſo auch wohl ich, mit der dankbaren
Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/126>, abgerufen am 20.11.2024.
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