Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

so wissen wir auch, daß der Biß verschiedener
Thiere, auch in der Sele verschiedene Verän-
derungen würcke. Meine Leser werden es
mir zu gute halten, daß ich mit Erfahrungen
groß thue. Sie kosten mir nichts: aber sie
können am besten überführen. Jch will fer-
nerhin zeigen, daß die Aertzte deren im Ueber-
flusse haben.

§. 41.

Was thut ein Liebestranck (philtrum)
nicht öfters vor erstaunende Würckungen?
Das Exempel welches ich ietzo erzählen will,
ist zwar schon bekandt, allein ich glaube, es sey
der Mühe werth, selbiges zuwiederholen. Ein
iunger Mensch von vierzehen Jahren, welcher
einen guten Witz hatte und ein ziemlicher Poet
war, bekam ein Philtrum. An statt verliebt
zu werden, verfällt derselbe in eine langwierige
Ohnmacht. Alle Leute halten ihn vor todt und
legen ihn im Sarg. Allein die Nacht vorher,
ehe man ihn begraben will, stehet er wiederum
auf, und zeiget sich öffentlich: iedoch mit fol-
genden Veränderungen: Er wuste weder, daß
er geboren worden, noch daß er iemals schon
in der Welt gewesen sey. Er konte sich dessen
gar nicht mehr entsinnen, was er ehedem ge-
wust und gethan hätte. Lesen konte er nicht
mehr, noch weniger schreiben, und konte keine
einzige Sprache reden noch verstehen. So gar
seinen Nahmen wuste er nicht mehr. Man
muste ihm alles wiederum vom neuen lernen,

und
J 3

ſo wiſſen wir auch, daß der Biß verſchiedener
Thiere, auch in der Sele verſchiedene Veraͤn-
derungen wuͤrcke. Meine Leſer werden es
mir zu gute halten, daß ich mit Erfahrungen
groß thue. Sie koſten mir nichts: aber ſie
koͤnnen am beſten uͤberfuͤhren. Jch will fer-
nerhin zeigen, daß die Aertzte deren im Ueber-
fluſſe haben.

§. 41.

Was thut ein Liebestranck (philtrum)
nicht oͤfters vor erſtaunende Wuͤrckungen?
Das Exempel welches ich ietzo erzaͤhlen will,
iſt zwar ſchon bekandt, allein ich glaube, es ſey
der Muͤhe werth, ſelbiges zuwiederholen. Ein
iunger Menſch von vierzehen Jahren, welcher
einen guten Witz hatte und ein ziemlicher Poet
war, bekam ein Philtrum. An ſtatt verliebt
zu werden, verfaͤllt derſelbe in eine langwierige
Ohnmacht. Alle Leute halten ihn vor todt und
legen ihn im Sarg. Allein die Nacht vorher,
ehe man ihn begraben will, ſtehet er wiederum
auf, und zeiget ſich oͤffentlich: iedoch mit fol-
genden Veraͤnderungen: Er wuſte weder, daß
er geboren worden, noch daß er iemals ſchon
in der Welt geweſen ſey. Er konte ſich deſſen
gar nicht mehr entſinnen, was er ehedem ge-
wuſt und gethan haͤtte. Leſen konte er nicht
mehr, noch weniger ſchreiben, und konte keine
einzige Sprache reden noch verſtehen. So gar
ſeinen Nahmen wuſte er nicht mehr. Man
muſte ihm alles wiederum vom neuen lernen,

und
J 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0137" n="107"/>
&#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en wir auch, daß der Biß ver&#x017F;chiedener<lb/>
Thiere, auch in der Sele ver&#x017F;chiedene Vera&#x0364;n-<lb/>
derungen wu&#x0364;rcke. Meine <hi rendition="#fr">Le&#x017F;er</hi> werden es<lb/>
mir zu gute halten, daß ich mit Erfahrungen<lb/>
groß thue. Sie ko&#x017F;ten mir nichts: aber &#x017F;ie<lb/>
ko&#x0364;nnen am be&#x017F;ten u&#x0364;berfu&#x0364;hren. Jch will fer-<lb/>
nerhin zeigen, daß die Aertzte deren im Ueber-<lb/>
flu&#x017F;&#x017F;e haben.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 41.</head><lb/>
          <p>Was thut ein Liebestranck (<hi rendition="#aq">philtrum</hi>)<lb/>
nicht o&#x0364;fters vor er&#x017F;taunende Wu&#x0364;rckungen?<lb/>
Das Exempel welches ich ietzo erza&#x0364;hlen will,<lb/>
i&#x017F;t zwar &#x017F;chon bekandt, allein ich glaube, es &#x017F;ey<lb/>
der Mu&#x0364;he werth, &#x017F;elbiges zuwiederholen. Ein<lb/>
iunger Men&#x017F;ch von vierzehen Jahren, welcher<lb/>
einen guten Witz hatte und ein ziemlicher Poet<lb/>
war, bekam ein Philtrum. An &#x017F;tatt verliebt<lb/>
zu werden, verfa&#x0364;llt der&#x017F;elbe in eine langwierige<lb/>
Ohnmacht. Alle Leute halten ihn vor todt und<lb/>
legen ihn im Sarg. Allein die Nacht vorher,<lb/>
ehe man ihn begraben will, &#x017F;tehet er wiederum<lb/>
auf, und zeiget &#x017F;ich o&#x0364;ffentlich: iedoch mit fol-<lb/>
genden Vera&#x0364;nderungen: Er wu&#x017F;te weder, daß<lb/>
er geboren worden, noch daß er iemals &#x017F;chon<lb/>
in der Welt gewe&#x017F;en &#x017F;ey. Er konte &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gar nicht mehr ent&#x017F;innen, was er ehedem ge-<lb/>
wu&#x017F;t und gethan ha&#x0364;tte. Le&#x017F;en konte er nicht<lb/>
mehr, noch weniger &#x017F;chreiben, und konte keine<lb/>
einzige Sprache reden noch ver&#x017F;tehen. So gar<lb/>
&#x017F;einen Nahmen wu&#x017F;te er nicht mehr. Man<lb/>
mu&#x017F;te ihm alles wiederum vom neuen lernen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 3</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0137] ſo wiſſen wir auch, daß der Biß verſchiedener Thiere, auch in der Sele verſchiedene Veraͤn- derungen wuͤrcke. Meine Leſer werden es mir zu gute halten, daß ich mit Erfahrungen groß thue. Sie koſten mir nichts: aber ſie koͤnnen am beſten uͤberfuͤhren. Jch will fer- nerhin zeigen, daß die Aertzte deren im Ueber- fluſſe haben. §. 41. Was thut ein Liebestranck (philtrum) nicht oͤfters vor erſtaunende Wuͤrckungen? Das Exempel welches ich ietzo erzaͤhlen will, iſt zwar ſchon bekandt, allein ich glaube, es ſey der Muͤhe werth, ſelbiges zuwiederholen. Ein iunger Menſch von vierzehen Jahren, welcher einen guten Witz hatte und ein ziemlicher Poet war, bekam ein Philtrum. An ſtatt verliebt zu werden, verfaͤllt derſelbe in eine langwierige Ohnmacht. Alle Leute halten ihn vor todt und legen ihn im Sarg. Allein die Nacht vorher, ehe man ihn begraben will, ſtehet er wiederum auf, und zeiget ſich oͤffentlich: iedoch mit fol- genden Veraͤnderungen: Er wuſte weder, daß er geboren worden, noch daß er iemals ſchon in der Welt geweſen ſey. Er konte ſich deſſen gar nicht mehr entſinnen, was er ehedem ge- wuſt und gethan haͤtte. Leſen konte er nicht mehr, noch weniger ſchreiben, und konte keine einzige Sprache reden noch verſtehen. So gar ſeinen Nahmen wuſte er nicht mehr. Man muſte ihm alles wiederum vom neuen lernen, und J 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/137
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/137>, abgerufen am 21.11.2024.