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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Napoleonisches Kaiserthum.
ihrer Erblande bedacht gewesen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel
des römischen Kaisers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch
unmöglich konnte er sein bizarres Doppelkaiserthum, wie Talleyrand es
spottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte
der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verschwinden; die Macht der
karolingischen Kaiserkrone lag in Napoleons Händen.

In Berlin begrüßte man das bonapartische Kaiserthum als eine neue
Bürgschaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und säumte nicht die
Anerkennung auszusprechen; aber von der norddeutschen Kaiserkrone, welche
Napoleons Diplomaten in unbestimmten Andeutungen darboten, wollte
Friedrich Wilhelms bescheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs-
stände, die guten wie die schlechten, Baden und Hessen-Rothenburg, Fürsten-
berg und Leiningen, Bremen und Augsburg sendeten dem gekrönten Plebejer
unterwürfige Glückwunschschreiben, deren byzantinische Niedertracht selbst
die Schmeicheleien der Franzosen in Schatten stellte. Sie unterzeichneten
sich als Seiner Majestät allerunterthänigste und allergehorsamste Diener,
feierten den Hort und Beschützer der deutschen Verfassung, den Helden
und Friedensbringer, zu dessen glänzendem und wohlthätigem Genie der
Welttheil in stummer Bewunderung aufblicke, schilderten beweglich, mit
welcher Freude alle deutschen Herzen diesen neuen Caesar empfingen, der
ihrem ersten Kaiser Karl so ähnlich sei, dankten inbrünstig für die bei den
deutschen Entschädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen
sich schließlich zu huldvoller Berücksichtigung für den Fall einer neuen
Ländervertheilung.

Um das Maß der deutschen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon
im Herbst 1804 eine Rundreise durch die neugewonnenen rheinischen
Lande. In der alten Kaiserstadt Aachen übergab ihm der Gesandte des
Kaisers Franz sein neues Beglaubigungsschreiben; aufrichtiger Jubel des
Volks empfing den Friedensfürsten in allen rheinischen Städten. Dann
hielt er in Mainz seinen prunkenden Hoftag, in denselben Räumen, wo
zwölf Jahre zuvor das alte Reich seine letzten Feste gefeiert hatte. Die
Fürsten des Südens und des Westens eilten herbei dem Nachfolger Karls
des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles schwelgte in karo-
lingischen Erinnerungen; schon besprach man die Pläne für einen zweiten
rheinischen Bund. Aber im einsamen Zimmer fiel der redliche alte Karl
Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg schluchzend in die Arme
und bejammerte den Untergang seines Vaterlandes. Was hatte dieser
Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen,
der Nachts die Reben des rheinischen Winzers segnet? was wußte er
von jenem Zauberringe der Fastrade, der einst den deutschen Karl zum
deutschen Strome zog? Eine harte, mißtrauische Fremdherrschaft lastete
auf Deutschland noch bevor seine Fürsten sich dem Imperator förmlich
unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon seine Späher;

Napoleoniſches Kaiſerthum.
ihrer Erblande bedacht geweſen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel
des römiſchen Kaiſers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch
unmöglich konnte er ſein bizarres Doppelkaiſerthum, wie Talleyrand es
ſpottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte
der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verſchwinden; die Macht der
karolingiſchen Kaiſerkrone lag in Napoleons Händen.

In Berlin begrüßte man das bonapartiſche Kaiſerthum als eine neue
Bürgſchaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und ſäumte nicht die
Anerkennung auszuſprechen; aber von der norddeutſchen Kaiſerkrone, welche
Napoleons Diplomaten in unbeſtimmten Andeutungen darboten, wollte
Friedrich Wilhelms beſcheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs-
ſtände, die guten wie die ſchlechten, Baden und Heſſen-Rothenburg, Fürſten-
berg und Leiningen, Bremen und Augsburg ſendeten dem gekrönten Plebejer
unterwürfige Glückwunſchſchreiben, deren byzantiniſche Niedertracht ſelbſt
die Schmeicheleien der Franzoſen in Schatten ſtellte. Sie unterzeichneten
ſich als Seiner Majeſtät allerunterthänigſte und allergehorſamſte Diener,
feierten den Hort und Beſchützer der deutſchen Verfaſſung, den Helden
und Friedensbringer, zu deſſen glänzendem und wohlthätigem Genie der
Welttheil in ſtummer Bewunderung aufblicke, ſchilderten beweglich, mit
welcher Freude alle deutſchen Herzen dieſen neuen Caeſar empfingen, der
ihrem erſten Kaiſer Karl ſo ähnlich ſei, dankten inbrünſtig für die bei den
deutſchen Entſchädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen
ſich ſchließlich zu huldvoller Berückſichtigung für den Fall einer neuen
Ländervertheilung.

Um das Maß der deutſchen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon
im Herbſt 1804 eine Rundreiſe durch die neugewonnenen rheiniſchen
Lande. In der alten Kaiſerſtadt Aachen übergab ihm der Geſandte des
Kaiſers Franz ſein neues Beglaubigungsſchreiben; aufrichtiger Jubel des
Volks empfing den Friedensfürſten in allen rheiniſchen Städten. Dann
hielt er in Mainz ſeinen prunkenden Hoftag, in denſelben Räumen, wo
zwölf Jahre zuvor das alte Reich ſeine letzten Feſte gefeiert hatte. Die
Fürſten des Südens und des Weſtens eilten herbei dem Nachfolger Karls
des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles ſchwelgte in karo-
lingiſchen Erinnerungen; ſchon beſprach man die Pläne für einen zweiten
rheiniſchen Bund. Aber im einſamen Zimmer fiel der redliche alte Karl
Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg ſchluchzend in die Arme
und bejammerte den Untergang ſeines Vaterlandes. Was hatte dieſer
Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen,
der Nachts die Reben des rheiniſchen Winzers ſegnet? was wußte er
von jenem Zauberringe der Faſtrade, der einſt den deutſchen Karl zum
deutſchen Strome zog? Eine harte, mißtrauiſche Fremdherrſchaft laſtete
auf Deutſchland noch bevor ſeine Fürſten ſich dem Imperator förmlich
unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon ſeine Späher;

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[217/0233] Napoleoniſches Kaiſerthum. ihrer Erblande bedacht geweſen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel des römiſchen Kaiſers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch unmöglich konnte er ſein bizarres Doppelkaiſerthum, wie Talleyrand es ſpottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verſchwinden; die Macht der karolingiſchen Kaiſerkrone lag in Napoleons Händen. In Berlin begrüßte man das bonapartiſche Kaiſerthum als eine neue Bürgſchaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und ſäumte nicht die Anerkennung auszuſprechen; aber von der norddeutſchen Kaiſerkrone, welche Napoleons Diplomaten in unbeſtimmten Andeutungen darboten, wollte Friedrich Wilhelms beſcheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs- ſtände, die guten wie die ſchlechten, Baden und Heſſen-Rothenburg, Fürſten- berg und Leiningen, Bremen und Augsburg ſendeten dem gekrönten Plebejer unterwürfige Glückwunſchſchreiben, deren byzantiniſche Niedertracht ſelbſt die Schmeicheleien der Franzoſen in Schatten ſtellte. Sie unterzeichneten ſich als Seiner Majeſtät allerunterthänigſte und allergehorſamſte Diener, feierten den Hort und Beſchützer der deutſchen Verfaſſung, den Helden und Friedensbringer, zu deſſen glänzendem und wohlthätigem Genie der Welttheil in ſtummer Bewunderung aufblicke, ſchilderten beweglich, mit welcher Freude alle deutſchen Herzen dieſen neuen Caeſar empfingen, der ihrem erſten Kaiſer Karl ſo ähnlich ſei, dankten inbrünſtig für die bei den deutſchen Entſchädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen ſich ſchließlich zu huldvoller Berückſichtigung für den Fall einer neuen Ländervertheilung. Um das Maß der deutſchen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon im Herbſt 1804 eine Rundreiſe durch die neugewonnenen rheiniſchen Lande. In der alten Kaiſerſtadt Aachen übergab ihm der Geſandte des Kaiſers Franz ſein neues Beglaubigungsſchreiben; aufrichtiger Jubel des Volks empfing den Friedensfürſten in allen rheiniſchen Städten. Dann hielt er in Mainz ſeinen prunkenden Hoftag, in denſelben Räumen, wo zwölf Jahre zuvor das alte Reich ſeine letzten Feſte gefeiert hatte. Die Fürſten des Südens und des Weſtens eilten herbei dem Nachfolger Karls des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles ſchwelgte in karo- lingiſchen Erinnerungen; ſchon beſprach man die Pläne für einen zweiten rheiniſchen Bund. Aber im einſamen Zimmer fiel der redliche alte Karl Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg ſchluchzend in die Arme und bejammerte den Untergang ſeines Vaterlandes. Was hatte dieſer Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen, der Nachts die Reben des rheiniſchen Winzers ſegnet? was wußte er von jenem Zauberringe der Faſtrade, der einſt den deutſchen Karl zum deutſchen Strome zog? Eine harte, mißtrauiſche Fremdherrſchaft laſtete auf Deutſchland noch bevor ſeine Fürſten ſich dem Imperator förmlich unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon ſeine Späher;

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/233>, abgerufen am 26.04.2024.