Gott! ist dein Tag vorhanden: Wird diese Welt vergehn: So hoff ich nicht mit Schanden Vor deinem Thron zu stehn. Du stellst mich dann zur Rechten, Von aller Schuld befrei't; Führst mich mit deinen Knechten Jn deine Herrlichkeit.
Das Ende eines Monats, und das Ende der Zeit sind zwo verschwisterte Jdeen. Jenen beschliesse ich heute, und diese -- vieleicht morgen. Aber es sey das Ende der Welt auch noch so fern, so hat es doch mehr Einfluß auf mich, als der morgende Tag. Jch kan heute sterben, aber am Ende der Welt werde ich dennoch leben.
Ja, wann Sonne und Mond, Gnadensterne und Diaman- ten ihren Schein verloren haben; wann nun die Erde in ihrem Brande da steht; wann nun nichts glänzet als Gnade und Zorn Gottes; nichts adelt als das Blut Jesu; nichts etwas ist ausser vormalige Tugend: dann, Gott der Lebendigen! rufst du mei- nen zerstreuten Staub zusammen, oder verwandelst mich nach deiner Allmacht. Du rufest: jeder Todte gehorcht, auch der, der dir im Leben niemals gehorchte. Statt daß ich mich jetzt niederlegen, und durch den Schlaf gewissermassen sterben will: stehe ich alsdann ermuntert zum Leben auf, und werde vor den Gerichtsstul gerückt. Welch ein Kreis von Bekanten und Un- bekanten: und jeder mein Bruder! Wo sind sie nun, von welchen ich, wie Jesus sagen kan: Vater! hier sind die, die du mir gegeben hast! Hier sind die Armen, die du mir zu be- köstigen; die Jugend, die du mir zu bilden; die Einfältigen, die du mir zu unterrichten; die Schwachen, die du mir zu stärken
gabst!
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Der 30te Junius.
Gott! iſt dein Tag vorhanden: Wird dieſe Welt vergehn: So hoff ich nicht mit Schanden Vor deinem Thron zu ſtehn. Du ſtellſt mich dann zur Rechten, Von aller Schuld befrei’t; Fuͤhrſt mich mit deinen Knechten Jn deine Herrlichkeit.
Das Ende eines Monats, und das Ende der Zeit ſind zwo verſchwiſterte Jdeen. Jenen beſchlieſſe ich heute, und dieſe — vieleicht morgen. Aber es ſey das Ende der Welt auch noch ſo fern, ſo hat es doch mehr Einfluß auf mich, als der morgende Tag. Jch kan heute ſterben, aber am Ende der Welt werde ich dennoch leben.
Ja, wann Sonne und Mond, Gnadenſterne und Diaman- ten ihren Schein verloren haben; wann nun die Erde in ihrem Brande da ſteht; wann nun nichts glaͤnzet als Gnade und Zorn Gottes; nichts adelt als das Blut Jeſu; nichts etwas iſt auſſer vormalige Tugend: dann, Gott der Lebendigen! rufſt du mei- nen zerſtreuten Staub zuſammen, oder verwandelſt mich nach deiner Allmacht. Du rufeſt: jeder Todte gehorcht, auch der, der dir im Leben niemals gehorchte. Statt daß ich mich jetzt niederlegen, und durch den Schlaf gewiſſermaſſen ſterben will: ſtehe ich alsdann ermuntert zum Leben auf, und werde vor den Gerichtsſtul geruͤckt. Welch ein Kreis von Bekanten und Un- bekanten: und jeder mein Bruder! Wo ſind ſie nun, von welchen ich, wie Jeſus ſagen kan: Vater! hier ſind die, die du mir gegeben haſt! Hier ſind die Armen, die du mir zu be- koͤſtigen; die Jugend, die du mir zu bilden; die Einfaͤltigen, die du mir zu unterrichten; die Schwachen, die du mir zu ſtaͤrken
gabſt!
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[375[405]/0412]
Der 30te Junius.
Gott! iſt dein Tag vorhanden:
Wird dieſe Welt vergehn:
So hoff ich nicht mit Schanden
Vor deinem Thron zu ſtehn.
Du ſtellſt mich dann zur Rechten,
Von aller Schuld befrei’t;
Fuͤhrſt mich mit deinen Knechten
Jn deine Herrlichkeit.
Das Ende eines Monats, und das Ende der Zeit ſind zwo
verſchwiſterte Jdeen. Jenen beſchlieſſe ich heute, und
dieſe — vieleicht morgen. Aber es ſey das Ende der Welt
auch noch ſo fern, ſo hat es doch mehr Einfluß auf mich, als
der morgende Tag. Jch kan heute ſterben, aber am Ende der
Welt werde ich dennoch leben.
Ja, wann Sonne und Mond, Gnadenſterne und Diaman-
ten ihren Schein verloren haben; wann nun die Erde in ihrem
Brande da ſteht; wann nun nichts glaͤnzet als Gnade und Zorn
Gottes; nichts adelt als das Blut Jeſu; nichts etwas iſt auſſer
vormalige Tugend: dann, Gott der Lebendigen! rufſt du mei-
nen zerſtreuten Staub zuſammen, oder verwandelſt mich nach
deiner Allmacht. Du rufeſt: jeder Todte gehorcht, auch der,
der dir im Leben niemals gehorchte. Statt daß ich mich jetzt
niederlegen, und durch den Schlaf gewiſſermaſſen ſterben will:
ſtehe ich alsdann ermuntert zum Leben auf, und werde vor den
Gerichtsſtul geruͤckt. Welch ein Kreis von Bekanten und Un-
bekanten: und jeder mein Bruder! Wo ſind ſie nun, von
welchen ich, wie Jeſus ſagen kan: Vater! hier ſind die, die
du mir gegeben haſt! Hier ſind die Armen, die du mir zu be-
koͤſtigen; die Jugend, die du mir zu bilden; die Einfaͤltigen, die
du mir zu unterrichten; die Schwachen, die du mir zu ſtaͤrken
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 375[405]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/412>, abgerufen am 21.11.2024.
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