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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 29te Junius.
vom Throne gestürzt ward. Ehe er (im Jahr 602.) selbst ent-
hauptet wurde, mußte er fünf seiner Kinder hinrichten sehen.
Die Wärterin suchte das jüngste zu retten, und bot ihr eignes
den Wütrichen dar: der Kaiser aber zeigte selbst die Umwechs-
lung der Kinder an. Alle Zuschauer zerflossen in Thränen und
Wehklagen: nur der unglückliche Vater sah gelassen den Mör-
dern zu. Er rief bei jedem Hiebe aus: Herr! du bist gerecht,
und gerecht sind alle deine Gerichte! Dis war der Schlüssel zu
seinem Heldenmut. Als Kaiser und Vater mußte er verzweifeln:
aber als Christ lobte er Gott.

Wie keichet der feile und niederträchtige Sünder, der nur
Menschen und sich in ihnen gehorcht! Dem Frommen wird
sein Dienst so sauer nicht, denn er dienet Gott in seinem weit-
lichen Herrn, und weiß, daß der gerecht richtet und jeden red-
lichen Seufzer vergilt. Wie klein ist der Mensch, der nur für
sich und seine Kinder arbeitet, die er doch morgen vieleicht aus
dem Gesichte verliert! Wie groß, wer keinen geringern Be-
wegungsgrund bei seinem Thun und Leiden hat, als ewige
Seligkeiten! Narren und Selbstmörder mögen verzweifeln:
der Rechtschafne, der den Werth seiner Seele und die Gnade
Gottes in Christo kennet, wird die Erde nehmen, wie sie ist.
Er hält sie für nichts höhers, als für einen Prüfungsort. Er
betet, lächelt, weinet, gibt Almosen, lebet und stirbt um Gottes
willen, oder aus Gehorsam und Liebe zu seinen Geboten. Dagegen
ist das feinste Staatsinteresse plump und niederträchtig.

O! lehr mich, mein Gott! bei allem was ich thu oder
lasse, mehr auf dich, als mich zu sehen! Dann wird mir die
Welt verschönert; selbst mein Leiden vermehrt meine Aehnlichkeit
mit Jesu, und erhebt meine Hofnung des Himmels. Warum
bete ich jetzt? Habe ich wirklich den erhabenen Bewegungsgrund:
Gott zu gefallen, und Liebe, Dank und Hofnung ihm kindlichst
zu bezeugen?

Der

Der 29te Junius.
vom Throne geſtuͤrzt ward. Ehe er (im Jahr 602.) ſelbſt ent-
hauptet wurde, mußte er fuͤnf ſeiner Kinder hinrichten ſehen.
Die Waͤrterin ſuchte das juͤngſte zu retten, und bot ihr eignes
den Wuͤtrichen dar: der Kaiſer aber zeigte ſelbſt die Umwechs-
lung der Kinder an. Alle Zuſchauer zerfloſſen in Thraͤnen und
Wehklagen: nur der ungluͤckliche Vater ſah gelaſſen den Moͤr-
dern zu. Er rief bei jedem Hiebe aus: Herr! du biſt gerecht,
und gerecht ſind alle deine Gerichte! Dis war der Schluͤſſel zu
ſeinem Heldenmut. Als Kaiſer und Vater mußte er verzweifeln:
aber als Chriſt lobte er Gott.

Wie keichet der feile und niedertraͤchtige Suͤnder, der nur
Menſchen und ſich in ihnen gehorcht! Dem Frommen wird
ſein Dienſt ſo ſauer nicht, denn er dienet Gott in ſeinem weit-
lichen Herrn, und weiß, daß der gerecht richtet und jeden red-
lichen Seufzer vergilt. Wie klein iſt der Menſch, der nur fuͤr
ſich und ſeine Kinder arbeitet, die er doch morgen vieleicht aus
dem Geſichte verliert! Wie groß, wer keinen geringern Be-
wegungsgrund bei ſeinem Thun und Leiden hat, als ewige
Seligkeiten! Narren und Selbſtmoͤrder moͤgen verzweifeln:
der Rechtſchafne, der den Werth ſeiner Seele und die Gnade
Gottes in Chriſto kennet, wird die Erde nehmen, wie ſie iſt.
Er haͤlt ſie fuͤr nichts hoͤhers, als fuͤr einen Pruͤfungsort. Er
betet, laͤchelt, weinet, gibt Almoſen, lebet und ſtirbt um Gottes
willen, oder aus Gehorſam und Liebe zu ſeinen Geboten. Dagegen
iſt das feinſte Staatsintereſſe plump und niedertraͤchtig.

O! lehr mich, mein Gott! bei allem was ich thu oder
laſſe, mehr auf dich, als mich zu ſehen! Dann wird mir die
Welt verſchoͤnert; ſelbſt mein Leiden vermehrt meine Aehnlichkeit
mit Jeſu, und erhebt meine Hofnung des Himmels. Warum
bete ich jetzt? Habe ich wirklich den erhabenen Bewegungsgrund:
Gott zu gefallen, und Liebe, Dank und Hofnung ihm kindlichſt
zu bezeugen?

Der
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[374[404]/0411] Der 29te Junius. vom Throne geſtuͤrzt ward. Ehe er (im Jahr 602.) ſelbſt ent- hauptet wurde, mußte er fuͤnf ſeiner Kinder hinrichten ſehen. Die Waͤrterin ſuchte das juͤngſte zu retten, und bot ihr eignes den Wuͤtrichen dar: der Kaiſer aber zeigte ſelbſt die Umwechs- lung der Kinder an. Alle Zuſchauer zerfloſſen in Thraͤnen und Wehklagen: nur der ungluͤckliche Vater ſah gelaſſen den Moͤr- dern zu. Er rief bei jedem Hiebe aus: Herr! du biſt gerecht, und gerecht ſind alle deine Gerichte! Dis war der Schluͤſſel zu ſeinem Heldenmut. Als Kaiſer und Vater mußte er verzweifeln: aber als Chriſt lobte er Gott. Wie keichet der feile und niedertraͤchtige Suͤnder, der nur Menſchen und ſich in ihnen gehorcht! Dem Frommen wird ſein Dienſt ſo ſauer nicht, denn er dienet Gott in ſeinem weit- lichen Herrn, und weiß, daß der gerecht richtet und jeden red- lichen Seufzer vergilt. Wie klein iſt der Menſch, der nur fuͤr ſich und ſeine Kinder arbeitet, die er doch morgen vieleicht aus dem Geſichte verliert! Wie groß, wer keinen geringern Be- wegungsgrund bei ſeinem Thun und Leiden hat, als ewige Seligkeiten! Narren und Selbſtmoͤrder moͤgen verzweifeln: der Rechtſchafne, der den Werth ſeiner Seele und die Gnade Gottes in Chriſto kennet, wird die Erde nehmen, wie ſie iſt. Er haͤlt ſie fuͤr nichts hoͤhers, als fuͤr einen Pruͤfungsort. Er betet, laͤchelt, weinet, gibt Almoſen, lebet und ſtirbt um Gottes willen, oder aus Gehorſam und Liebe zu ſeinen Geboten. Dagegen iſt das feinſte Staatsintereſſe plump und niedertraͤchtig. O! lehr mich, mein Gott! bei allem was ich thu oder laſſe, mehr auf dich, als mich zu ſehen! Dann wird mir die Welt verſchoͤnert; ſelbſt mein Leiden vermehrt meine Aehnlichkeit mit Jeſu, und erhebt meine Hofnung des Himmels. Warum bete ich jetzt? Habe ich wirklich den erhabenen Bewegungsgrund: Gott zu gefallen, und Liebe, Dank und Hofnung ihm kindlichſt zu bezeugen? Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 374[404]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/411>, abgerufen am 13.06.2024.