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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 25te März.
Haupt, Aug und Ohr und Mund und Hand
Die ich zu dir erhebe:
Die Haut, so künstlich ausgespannt,
Der Nerven fein Gewebe,
Und alle Glieder sagen mir;
Jch sey, o Gott! ein Werk von dir!
Ein Werk von deiner Weisheit!


Jedes Werk Gottes ist ein Beweis seiner Grösse. Keines fällt
uns mehr in die Augen, als der menschliche Körper, der auch
am meisten von Künstlern nachgebildet wird. Jedoch unsre beste
Mahler und Bildhauer sind gegen den Schöpfer, was Kinder
gegen sie sind, welche mit Kreide einen Menschen zeichnen wollen.

Die Zergliederer finden so gar in unsern innern und wesent-
lichen Theilen die Verschiedenheit unsers Körpers unbe-
greiflich und auch sie können daher nicht auslernen. Aber ich darf
nur an den grossen Unterschied denken, der täglich in die Sinne
fällt, so erstaune ich über die unumgränzte Weisheit Gottes.

Allenthalben Aehnlichkeit, nirgend völlige Gleichheit! Ein
Baumblatt ist von dem andern so verschieden, wie jedes Menschen-
gesicht vom andern. Gleich den Gattungen der Bäume hat jedes
Land seine besondre Gesichter. Und welche Verschiedenheit der
Farbe! Jn Europa wird die weiße gegen Süden immer gelder.
Auf der Seite nach Asien ziehet sie sich dann in Braungelb; auf
der andern nach Afrika in Schwarzbraun. Die Amerikaner sind
fast durchgängig kupferfarbig. Zwischen Mohren und Deut-
schen sind also unzählige Abänderungen. Ja ein und derselbe
Baum; eine und dieselbe Prodinz, die nemliche Stadt: alles

hat


Der 25te Maͤrz.
Haupt, Aug und Ohr und Mund und Hand
Die ich zu dir erhebe:
Die Haut, ſo kuͤnſtlich ausgeſpannt,
Der Nerven fein Gewebe,
Und alle Glieder ſagen mir;
Jch ſey, o Gott! ein Werk von dir!
Ein Werk von deiner Weisheit!


Jedes Werk Gottes iſt ein Beweis ſeiner Groͤſſe. Keines faͤllt
uns mehr in die Augen, als der menſchliche Koͤrper, der auch
am meiſten von Kuͤnſtlern nachgebildet wird. Jedoch unſre beſte
Mahler und Bildhauer ſind gegen den Schoͤpfer, was Kinder
gegen ſie ſind, welche mit Kreide einen Menſchen zeichnen wollen.

Die Zergliederer finden ſo gar in unſern innern und weſent-
lichen Theilen die Verſchiedenheit unſers Koͤrpers unbe-
greiflich und auch ſie koͤnnen daher nicht auslernen. Aber ich darf
nur an den groſſen Unterſchied denken, der taͤglich in die Sinne
faͤllt, ſo erſtaune ich uͤber die unumgraͤnzte Weisheit Gottes.

Allenthalben Aehnlichkeit, nirgend voͤllige Gleichheit! Ein
Baumblatt iſt von dem andern ſo verſchieden, wie jedes Menſchen-
geſicht vom andern. Gleich den Gattungen der Baͤume hat jedes
Land ſeine beſondre Geſichter. Und welche Verſchiedenheit der
Farbe! Jn Europa wird die weiße gegen Suͤden immer gelder.
Auf der Seite nach Aſien ziehet ſie ſich dann in Braungelb; auf
der andern nach Afrika in Schwarzbraun. Die Amerikaner ſind
faſt durchgaͤngig kupferfarbig. Zwiſchen Mohren und Deut-
ſchen ſind alſo unzaͤhlige Abaͤnderungen. Ja ein und derſelbe
Baum; eine und dieſelbe Prodinz, die nemliche Stadt: alles

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[175[205]/0212] Der 25te Maͤrz. Haupt, Aug und Ohr und Mund und Hand Die ich zu dir erhebe: Die Haut, ſo kuͤnſtlich ausgeſpannt, Der Nerven fein Gewebe, Und alle Glieder ſagen mir; Jch ſey, o Gott! ein Werk von dir! Ein Werk von deiner Weisheit! Jedes Werk Gottes iſt ein Beweis ſeiner Groͤſſe. Keines faͤllt uns mehr in die Augen, als der menſchliche Koͤrper, der auch am meiſten von Kuͤnſtlern nachgebildet wird. Jedoch unſre beſte Mahler und Bildhauer ſind gegen den Schoͤpfer, was Kinder gegen ſie ſind, welche mit Kreide einen Menſchen zeichnen wollen. Die Zergliederer finden ſo gar in unſern innern und weſent- lichen Theilen die Verſchiedenheit unſers Koͤrpers unbe- greiflich und auch ſie koͤnnen daher nicht auslernen. Aber ich darf nur an den groſſen Unterſchied denken, der taͤglich in die Sinne faͤllt, ſo erſtaune ich uͤber die unumgraͤnzte Weisheit Gottes. Allenthalben Aehnlichkeit, nirgend voͤllige Gleichheit! Ein Baumblatt iſt von dem andern ſo verſchieden, wie jedes Menſchen- geſicht vom andern. Gleich den Gattungen der Baͤume hat jedes Land ſeine beſondre Geſichter. Und welche Verſchiedenheit der Farbe! Jn Europa wird die weiße gegen Suͤden immer gelder. Auf der Seite nach Aſien ziehet ſie ſich dann in Braungelb; auf der andern nach Afrika in Schwarzbraun. Die Amerikaner ſind faſt durchgaͤngig kupferfarbig. Zwiſchen Mohren und Deut- ſchen ſind alſo unzaͤhlige Abaͤnderungen. Ja ein und derſelbe Baum; eine und dieſelbe Prodinz, die nemliche Stadt: alles hat

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 175[205]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/212>, abgerufen am 21.11.2024.