Ich sank in Schmerz und Krankheit danieder, Und rief: o Herr! errette mich! Da half mir Gott, der Mächtige wieder; Und mein Gebein erfreute sich.
Die Erinnerung erlebter Schmerzen und Krankheit giebt mir zu stundenlangen Betrachtungen Anlaß. Und dennoch weiß ich nur das wenigste! Meine Eltern, Freunde und Wärter wissen mehr. Was mag ich nicht die ersten Jahre mei- nes zarten Alters an Kinderkrankheiten, sonderlich am Zähnen ausgestanden haben! Ich weinte heftig, oder wimmerte ohn- mächtig im Schooß, oder auf den Armen meiner Wohlthäter. Ich flehte um Hülfe und Linderung: aber meine besten Freunde waren leidige Tröster! denn kein Geringerer konte mir helfen, als Gott! Welche Geduld mußten nicht die Meinigen mit mir kleinen Undankbaren haben, ohne die Hofnung hegen zu können, daß ich jemals, auch nur für Eine ihnen verursachte schlaflose Nacht, erkentlich seyn würde!
Ich wuchs heran: aber Schmerzen, Krankheit, leichtfer- tige unbesonnene Gespielen und Gefahren ein Krüppel zu werden, gingen mir noch lange zur Seite. Denn ehe sich mein kleiner Körper ganz entwickelte, mußte die Natur manche mir schmerz- hofte Gewalt anwenden, und es ist fast kein Glied, welches nicht seine eigne Zufälle und Krankheiten hatte! Je älter ich ward, desto weniger wurden zwar der Krankheiten, aber auch desto hef- tiger oder langwieriger waren sie. Kurz: solte ich alle erlebte Schmerzen und Leiden meines Körpers noch einmal tragen: ich
wäre
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Der 13te Maͤrz.
Ich ſank in Schmerz und Krankheit danieder, Und rief: o Herr! errette mich! Da half mir Gott, der Maͤchtige wieder; Und mein Gebein erfreute ſich.
Die Erinnerung erlebter Schmerzen und Krankheit giebt mir zu ſtundenlangen Betrachtungen Anlaß. Und dennoch weiß ich nur das wenigſte! Meine Eltern, Freunde und Waͤrter wiſſen mehr. Was mag ich nicht die erſten Jahre mei- nes zarten Alters an Kinderkrankheiten, ſonderlich am Zaͤhnen ausgeſtanden haben! Ich weinte heftig, oder wimmerte ohn- maͤchtig im Schooß, oder auf den Armen meiner Wohlthaͤter. Ich flehte um Huͤlfe und Linderung: aber meine beſten Freunde waren leidige Troͤſter! denn kein Geringerer konte mir helfen, als Gott! Welche Geduld mußten nicht die Meinigen mit mir kleinen Undankbaren haben, ohne die Hofnung hegen zu koͤnnen, daß ich jemals, auch nur fuͤr Eine ihnen verurſachte ſchlafloſe Nacht, erkentlich ſeyn wuͤrde!
Ich wuchs heran: aber Schmerzen, Krankheit, leichtfer- tige unbeſonnene Geſpielen und Gefahren ein Kruͤppel zu werden, gingen mir noch lange zur Seite. Denn ehe ſich mein kleiner Koͤrper ganz entwickelte, mußte die Natur manche mir ſchmerz- hofte Gewalt anwenden, und es iſt faſt kein Glied, welches nicht ſeine eigne Zufaͤlle und Krankheiten hatte! Je aͤlter ich ward, deſto weniger wurden zwar der Krankheiten, aber auch deſto hef- tiger oder langwieriger waren ſie. Kurz: ſolte ich alle erlebte Schmerzen und Leiden meines Koͤrpers noch einmal tragen: ich
waͤre
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[151[181]/0188]
Der 13te Maͤrz.
Ich ſank in Schmerz und Krankheit danieder,
Und rief: o Herr! errette mich!
Da half mir Gott, der Maͤchtige wieder;
Und mein Gebein erfreute ſich.
Die Erinnerung erlebter Schmerzen und Krankheit
giebt mir zu ſtundenlangen Betrachtungen Anlaß. Und
dennoch weiß ich nur das wenigſte! Meine Eltern, Freunde und
Waͤrter wiſſen mehr. Was mag ich nicht die erſten Jahre mei-
nes zarten Alters an Kinderkrankheiten, ſonderlich am Zaͤhnen
ausgeſtanden haben! Ich weinte heftig, oder wimmerte ohn-
maͤchtig im Schooß, oder auf den Armen meiner Wohlthaͤter.
Ich flehte um Huͤlfe und Linderung: aber meine beſten Freunde
waren leidige Troͤſter! denn kein Geringerer konte mir helfen, als
Gott! Welche Geduld mußten nicht die Meinigen mit mir kleinen
Undankbaren haben, ohne die Hofnung hegen zu koͤnnen, daß ich
jemals, auch nur fuͤr Eine ihnen verurſachte ſchlafloſe Nacht,
erkentlich ſeyn wuͤrde!
Ich wuchs heran: aber Schmerzen, Krankheit, leichtfer-
tige unbeſonnene Geſpielen und Gefahren ein Kruͤppel zu werden,
gingen mir noch lange zur Seite. Denn ehe ſich mein kleiner
Koͤrper ganz entwickelte, mußte die Natur manche mir ſchmerz-
hofte Gewalt anwenden, und es iſt faſt kein Glied, welches nicht
ſeine eigne Zufaͤlle und Krankheiten hatte! Je aͤlter ich ward,
deſto weniger wurden zwar der Krankheiten, aber auch deſto hef-
tiger oder langwieriger waren ſie. Kurz: ſolte ich alle erlebte
Schmerzen und Leiden meines Koͤrpers noch einmal tragen: ich
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 151[181]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/188>, abgerufen am 21.12.2024.
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