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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 21te Februar.
O! wie selig seyd ihr doch, ihr Frommen!
Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen;
Ihr seyd entgangen
Aller Noth, die uns noch hält gefangen!


So wäre denn auf heute der Umgang mit meinen lebenden
Freunden geendiget. Die immer stillere Nacht aber ladet
mich noch zum Besuch bei euch ein, ihr meine verstorbnen
Freunde!
Still sey alles um mich her, wie vor einem nahen
Gewitter; denn ich will mich mit Todten unterhalten!

Meine Freude im Leben! mein Ruhm! Beßte Menschen
für mich! Schutzengel, welche meine Thränen abtrockneten!
(nur diejenigen nicht, welche ich auf euer Grab hinweinte!) Ach!
welche Hofnungen, welche Stützen meines Alters, habe ich nicht
mit euch verloren! Ihr fülltet die Leere der Welt aus, welche mir
seit eurem Ableben einer Wüste nur gar zu ähnlich ward! Zwar
sind meine Wunden durch Trostgründe der Religion, und durch
Länge der Zeit etwas verharscht: aber denke ich mir euer Kran-
kenbette, eure letzte Stunden, den gesamten Kummer, den ich
nach eurem Abscheiden ohne euren Beistand allein haben tragen
müssen; stelle ich mir lebhaft vor, wie glücklich ich wäre, wenn
ihr noch lebtet! -- Ihr seyd entgangen aller Noth, die mich
noch hält gefangen: ich aber weine noch! und werde weinen, bis
ich euch wieder sehe!

Und wo seyd ihr denn nun, mir ewig unvergeßliche Seelen?
O! der Gedanke, euch nicht vor Gottes Thron wieder zu finden,
würde mich ersticken! |Nein! ich habe die feste Hofnung, ihr
seyd, um unsers unendlich liebreichen Erlösers willen, gerecht
und selig worden. Der Grundgütige erhörte auch eure letzte

Seufzer;


Der 21te Februar.
O! wie ſelig ſeyd ihr doch, ihr Frommen!
Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen;
Ihr ſeyd entgangen
Aller Noth, die uns noch haͤlt gefangen!


So waͤre denn auf heute der Umgang mit meinen lebenden
Freunden geendiget. Die immer ſtillere Nacht aber ladet
mich noch zum Beſuch bei euch ein, ihr meine verſtorbnen
Freunde!
Still ſey alles um mich her, wie vor einem nahen
Gewitter; denn ich will mich mit Todten unterhalten!

Meine Freude im Leben! mein Ruhm! Beßte Menſchen
fuͤr mich! Schutzengel, welche meine Thraͤnen abtrockneten!
(nur diejenigen nicht, welche ich auf euer Grab hinweinte!) Ach!
welche Hofnungen, welche Stuͤtzen meines Alters, habe ich nicht
mit euch verloren! Ihr fuͤlltet die Leere der Welt aus, welche mir
ſeit eurem Ableben einer Wuͤſte nur gar zu aͤhnlich ward! Zwar
ſind meine Wunden durch Troſtgruͤnde der Religion, und durch
Laͤnge der Zeit etwas verharſcht: aber denke ich mir euer Kran-
kenbette, eure letzte Stunden, den geſamten Kummer, den ich
nach eurem Abſcheiden ohne euren Beiſtand allein haben tragen
muͤſſen; ſtelle ich mir lebhaft vor, wie gluͤcklich ich waͤre, wenn
ihr noch lebtet! — Ihr ſeyd entgangen aller Noth, die mich
noch haͤlt gefangen: ich aber weine noch! und werde weinen, bis
ich euch wieder ſehe!

Und wo ſeyd ihr denn nun, mir ewig unvergeßliche Seelen?
O! der Gedanke, euch nicht vor Gottes Thron wieder zu finden,
wuͤrde mich erſticken! |Nein! ich habe die feſte Hofnung, ihr
ſeyd, um unſers unendlich liebreichen Erloͤſers willen, gerecht
und ſelig worden. Der Grundguͤtige erhoͤrte auch eure letzte

Seufzer;
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[107[137]/0144] Der 21te Februar. O! wie ſelig ſeyd ihr doch, ihr Frommen! Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen; Ihr ſeyd entgangen Aller Noth, die uns noch haͤlt gefangen! So waͤre denn auf heute der Umgang mit meinen lebenden Freunden geendiget. Die immer ſtillere Nacht aber ladet mich noch zum Beſuch bei euch ein, ihr meine verſtorbnen Freunde! Still ſey alles um mich her, wie vor einem nahen Gewitter; denn ich will mich mit Todten unterhalten! Meine Freude im Leben! mein Ruhm! Beßte Menſchen fuͤr mich! Schutzengel, welche meine Thraͤnen abtrockneten! (nur diejenigen nicht, welche ich auf euer Grab hinweinte!) Ach! welche Hofnungen, welche Stuͤtzen meines Alters, habe ich nicht mit euch verloren! Ihr fuͤlltet die Leere der Welt aus, welche mir ſeit eurem Ableben einer Wuͤſte nur gar zu aͤhnlich ward! Zwar ſind meine Wunden durch Troſtgruͤnde der Religion, und durch Laͤnge der Zeit etwas verharſcht: aber denke ich mir euer Kran- kenbette, eure letzte Stunden, den geſamten Kummer, den ich nach eurem Abſcheiden ohne euren Beiſtand allein haben tragen muͤſſen; ſtelle ich mir lebhaft vor, wie gluͤcklich ich waͤre, wenn ihr noch lebtet! — Ihr ſeyd entgangen aller Noth, die mich noch haͤlt gefangen: ich aber weine noch! und werde weinen, bis ich euch wieder ſehe! Und wo ſeyd ihr denn nun, mir ewig unvergeßliche Seelen? O! der Gedanke, euch nicht vor Gottes Thron wieder zu finden, wuͤrde mich erſticken! |Nein! ich habe die feſte Hofnung, ihr ſeyd, um unſers unendlich liebreichen Erloͤſers willen, gerecht und ſelig worden. Der Grundguͤtige erhoͤrte auch eure letzte Seufzer;

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 107[137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/144>, abgerufen am 21.11.2024.