Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Der 5te Februar.
Der Geiz erniedrigt unser Herz,
Erstickt die edlern Triebe;
Die Liebe für ein schimmernd Erz
Verdrängt der Tugend Liebe,
Und machet, der Vernunft zum Spott,
Ein elend Gold zu deinem Gott.


Unter allen Götzen, denen der sklavische Sünder Frohndienste
leistet, ist der Geiz der elendeste und grausamste. Die
übrigen Laster haben mehrentheils ein eingeschränkteres Reich, und
verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber
der Durst nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige
wird gleich dem Wassersüchtigen, immer durstiger und kranker,
je mehr er trinkt. Der scheußliche Götze, dem er dienet, ver-
heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und hält sein Ver-
sprechen niemals. Zwar schleppet er ihm genug herbei: aber
nicht zum Genuß, sondern um Wache dabey zu halten. Hamster
und Biber tragen doch noch für sich selbst zusammen: der ihnen
ähnliche Mensch aber schleichet furchtsam und abgehungert unter
seinen Kasten herum, und verwünscht seine künftige Erben. Er
ist ein Thor der ersten Grösse, der sich selber äffet, und von sei-
nen Freunden geäffet wird; sein Tod ist ein Freudenfest für seine
Erben. Er ist ein Pasquill auf sich selbst.

Der Geiz sey freiwilliges Laster, oder eine Art der Verrü-
ckung, so ist er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf
Gott und Menschenliebe können durchaus nicht mit ihm bestehen:
was aber ist die Religion ohne sie? Die Moral und Satyre wett-
eifern daher, dis Laster in seiner schändlichsten Blösse darzustellen.

Jedoch,


Der 5te Februar.
Der Geiz erniedrigt unſer Herz,
Erſtickt die edlern Triebe;
Die Liebe fuͤr ein ſchimmernd Erz
Verdraͤngt der Tugend Liebe,
Und machet, der Vernunft zum Spott,
Ein elend Gold zu deinem Gott.


Unter allen Goͤtzen, denen der ſklaviſche Suͤnder Frohndienſte
leiſtet, iſt der Geiz der elendeſte und grauſamſte. Die
uͤbrigen Laſter haben mehrentheils ein eingeſchraͤnkteres Reich, und
verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber
der Durſt nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige
wird gleich dem Waſſerſuͤchtigen, immer durſtiger und kranker,
je mehr er trinkt. Der ſcheußliche Goͤtze, dem er dienet, ver-
heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und haͤlt ſein Ver-
ſprechen niemals. Zwar ſchleppet er ihm genug herbei: aber
nicht zum Genuß, ſondern um Wache dabey zu halten. Hamſter
und Biber tragen doch noch fuͤr ſich ſelbſt zuſammen: der ihnen
aͤhnliche Menſch aber ſchleichet furchtſam und abgehungert unter
ſeinen Kaſten herum, und verwuͤnſcht ſeine kuͤnftige Erben. Er
iſt ein Thor der erſten Groͤſſe, der ſich ſelber aͤffet, und von ſei-
nen Freunden geaͤffet wird; ſein Tod iſt ein Freudenfeſt fuͤr ſeine
Erben. Er iſt ein Pasquill auf ſich ſelbſt.

Der Geiz ſey freiwilliges Laſter, oder eine Art der Verruͤ-
ckung, ſo iſt er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf
Gott und Menſchenliebe koͤnnen durchaus nicht mit ihm beſtehen:
was aber iſt die Religion ohne ſie? Die Moral und Satyre wett-
eifern daher, dis Laſter in ſeiner ſchaͤndlichſten Bloͤſſe darzuſtellen.

Jedoch,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0112" n="75[105]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head>Der 5<hi rendition="#sup">te</hi> Februar.</head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">D</hi>er Geiz erniedrigt un&#x017F;er Herz,</l><lb/>
              <l>Er&#x017F;tickt die edlern Triebe;</l><lb/>
              <l>Die Liebe fu&#x0364;r ein &#x017F;chimmernd Erz</l><lb/>
              <l>Verdra&#x0364;ngt der Tugend Liebe,</l><lb/>
              <l>Und machet, der Vernunft zum Spott,</l><lb/>
              <l>Ein elend Gold zu deinem Gott.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#in">U</hi>nter allen Go&#x0364;tzen, denen der &#x017F;klavi&#x017F;che Su&#x0364;nder Frohndien&#x017F;te<lb/>
lei&#x017F;tet, i&#x017F;t <hi rendition="#fr">der Geiz</hi> der elende&#x017F;te und grau&#x017F;am&#x017F;te. Die<lb/>
u&#x0364;brigen La&#x017F;ter haben mehrentheils ein einge&#x017F;chra&#x0364;nkteres Reich, und<lb/>
verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber<lb/>
der Dur&#x017F;t nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige<lb/>
wird gleich dem Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;u&#x0364;chtigen, immer dur&#x017F;tiger und kranker,<lb/>
je mehr er trinkt. Der &#x017F;cheußliche Go&#x0364;tze, dem er dienet, ver-<lb/>
heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und ha&#x0364;lt &#x017F;ein Ver-<lb/>
&#x017F;prechen niemals. Zwar &#x017F;chleppet er ihm genug herbei: aber<lb/>
nicht zum Genuß, &#x017F;ondern um Wache dabey zu halten. Ham&#x017F;ter<lb/>
und Biber tragen doch noch fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu&#x017F;ammen: der ihnen<lb/>
a&#x0364;hnliche Men&#x017F;ch aber &#x017F;chleichet furcht&#x017F;am und abgehungert unter<lb/>
&#x017F;einen Ka&#x017F;ten herum, und verwu&#x0364;n&#x017F;cht &#x017F;eine ku&#x0364;nftige Erben. Er<lb/>
i&#x017F;t ein Thor der er&#x017F;ten Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, der &#x017F;ich &#x017F;elber a&#x0364;ffet, und von &#x017F;ei-<lb/>
nen Freunden gea&#x0364;ffet wird; &#x017F;ein Tod i&#x017F;t ein Freudenfe&#x017F;t fu&#x0364;r &#x017F;eine<lb/>
Erben. Er i&#x017F;t ein Pasquill auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Der Geiz &#x017F;ey freiwilliges La&#x017F;ter, oder eine Art der Verru&#x0364;-<lb/>
ckung, &#x017F;o i&#x017F;t er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf<lb/>
Gott und Men&#x017F;chenliebe ko&#x0364;nnen durchaus nicht mit ihm be&#x017F;tehen:<lb/>
was aber i&#x017F;t die Religion ohne &#x017F;ie? Die Moral und Satyre wett-<lb/>
eifern daher, dis La&#x017F;ter in &#x017F;einer &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ten Blo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e darzu&#x017F;tellen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jedoch,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75[105]/0112] Der 5te Februar. Der Geiz erniedrigt unſer Herz, Erſtickt die edlern Triebe; Die Liebe fuͤr ein ſchimmernd Erz Verdraͤngt der Tugend Liebe, Und machet, der Vernunft zum Spott, Ein elend Gold zu deinem Gott. Unter allen Goͤtzen, denen der ſklaviſche Suͤnder Frohndienſte leiſtet, iſt der Geiz der elendeſte und grauſamſte. Die uͤbrigen Laſter haben mehrentheils ein eingeſchraͤnkteres Reich, und verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber der Durſt nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige wird gleich dem Waſſerſuͤchtigen, immer durſtiger und kranker, je mehr er trinkt. Der ſcheußliche Goͤtze, dem er dienet, ver- heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und haͤlt ſein Ver- ſprechen niemals. Zwar ſchleppet er ihm genug herbei: aber nicht zum Genuß, ſondern um Wache dabey zu halten. Hamſter und Biber tragen doch noch fuͤr ſich ſelbſt zuſammen: der ihnen aͤhnliche Menſch aber ſchleichet furchtſam und abgehungert unter ſeinen Kaſten herum, und verwuͤnſcht ſeine kuͤnftige Erben. Er iſt ein Thor der erſten Groͤſſe, der ſich ſelber aͤffet, und von ſei- nen Freunden geaͤffet wird; ſein Tod iſt ein Freudenfeſt fuͤr ſeine Erben. Er iſt ein Pasquill auf ſich ſelbſt. Der Geiz ſey freiwilliges Laſter, oder eine Art der Verruͤ- ckung, ſo iſt er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf Gott und Menſchenliebe koͤnnen durchaus nicht mit ihm beſtehen: was aber iſt die Religion ohne ſie? Die Moral und Satyre wett- eifern daher, dis Laſter in ſeiner ſchaͤndlichſten Bloͤſſe darzuſtellen. Jedoch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/112
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 75[105]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/112>, abgerufen am 30.12.2024.