Es giebt Stunden im Leben, Rosa, in denen sich uns der Idealismus fast unwiderstehlich auf- drängt, Zufälle treten oft zusammen, so kin- disch wunderbar au einander gereiht, daß wir die Welt umher auf einzelne Augenblicke für ein Hirngespinnst halten müssen. Ich bin noch immer in dieser Stimmung, wenn ich an alles zurückdenke; es kommt mir oft in der Welt nichts so seltsam vor, als daß irgend ein Zufall mit einem früheren zusammenhängt, so daß wir oft wirklich auf die Idee von dem ge- führt werden, was die Menschen gewöhnlich Schicksal nennen.
Ich habe nehmlich in jener häßlichen Auf- wärterinn, von der ich Ihnen sagte, eine alte Bekannte wiedergefunden. Ich suchte sie auf, und wir waren bald mit einander vertraut, sie nannte meinen wahren Namen, und ich erschrak. Es war, als wenn ein böser Genius aus ihr
27. William Lovell an Roſa.
Roger—place.
Es giebt Stunden im Leben, Roſa, in denen ſich uns der Idealismus faſt unwiderſtehlich auf- draͤngt, Zufaͤlle treten oft zuſammen, ſo kin- diſch wunderbar au einander gereiht, daß wir die Welt umher auf einzelne Augenblicke fuͤr ein Hirngeſpinnſt halten muͤſſen. Ich bin noch immer in dieſer Stimmung, wenn ich an alles zuruͤckdenke; es kommt mir oft in der Welt nichts ſo ſeltſam vor, als daß irgend ein Zufall mit einem fruͤheren zuſammenhaͤngt, ſo daß wir oft wirklich auf die Idee von dem ge- fuͤhrt werden, was die Menſchen gewoͤhnlich Schickſal nennen.
Ich habe nehmlich in jener haͤßlichen Auf- waͤrterinn, von der ich Ihnen ſagte, eine alte Bekannte wiedergefunden. Ich ſuchte ſie auf, und wir waren bald mit einander vertraut, ſie nannte meinen wahren Namen, und ich erſchrak. Es war, als wenn ein boͤſer Genius aus ihr
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0124"n="117"/><divn="2"><head>27.<lb/><hirendition="#g">William Lovell</hi> an <hirendition="#g">Roſa</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#et"><hirendition="#g">Roger—place</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s giebt Stunden im Leben, Roſa, in denen<lb/>ſich uns der Idealismus faſt unwiderſtehlich auf-<lb/>
draͤngt, Zufaͤlle treten oft zuſammen, ſo kin-<lb/>
diſch wunderbar au einander gereiht, daß wir<lb/>
die Welt umher auf einzelne Augenblicke fuͤr<lb/>
ein Hirngeſpinnſt halten <hirendition="#g">muͤſſen</hi>. Ich bin<lb/>
noch immer in dieſer Stimmung, wenn ich an<lb/>
alles zuruͤckdenke; es kommt mir oft in der<lb/>
Welt nichts ſo ſeltſam vor, als daß irgend ein<lb/>
Zufall mit einem fruͤheren zuſammenhaͤngt, ſo<lb/>
daß wir oft wirklich auf die Idee von dem ge-<lb/>
fuͤhrt werden, was die Menſchen gewoͤhnlich<lb/><hirendition="#g">Schickſal</hi> nennen.</p><lb/><p>Ich habe nehmlich in jener haͤßlichen Auf-<lb/>
waͤrterinn, von der ich Ihnen ſagte, eine alte<lb/>
Bekannte wiedergefunden. Ich ſuchte ſie auf,<lb/>
und wir waren bald mit einander vertraut, ſie<lb/>
nannte meinen wahren Namen, und ich erſchrak.<lb/>
Es war, als wenn ein boͤſer Genius aus ihr<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0124]
27.
William Lovell an Roſa.
Roger—place.
Es giebt Stunden im Leben, Roſa, in denen
ſich uns der Idealismus faſt unwiderſtehlich auf-
draͤngt, Zufaͤlle treten oft zuſammen, ſo kin-
diſch wunderbar au einander gereiht, daß wir
die Welt umher auf einzelne Augenblicke fuͤr
ein Hirngeſpinnſt halten muͤſſen. Ich bin
noch immer in dieſer Stimmung, wenn ich an
alles zuruͤckdenke; es kommt mir oft in der
Welt nichts ſo ſeltſam vor, als daß irgend ein
Zufall mit einem fruͤheren zuſammenhaͤngt, ſo
daß wir oft wirklich auf die Idee von dem ge-
fuͤhrt werden, was die Menſchen gewoͤhnlich
Schickſal nennen.
Ich habe nehmlich in jener haͤßlichen Auf-
waͤrterinn, von der ich Ihnen ſagte, eine alte
Bekannte wiedergefunden. Ich ſuchte ſie auf,
und wir waren bald mit einander vertraut, ſie
nannte meinen wahren Namen, und ich erſchrak.
Es war, als wenn ein boͤſer Genius aus ihr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/124>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.