Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sprach, der mich nun meinen Feinden verrathen
würde. Ich betrachtete sie genauer, und konn-
te mich doch durchaus nicht erinnern, sie ir-
gendwo gesehn zu haben. -- Endlich entdeckte
sie sich mir, und o Himmel! -- es war Nie-
mand anders, als die Comtesse Blainville!

Lange wollte ich es nicht glauben. Die
Blainville, jenes junge, lebhafte, reizende Weib,
-- und hier stand ein Ungeheuer vor mir, von
Pockengruben entstellt, einäugig, mit allen mög-
lichen Widrigkeiten reichlich ausgestattet, --
und dennoch war sie es, selbst unter der gro-
ben Hülle lagen einige ihrer ehemaligen Züge,
wie fern, verborgen.

Ihre Geschichte kann ich Ihnen mit weni-
gen Worten sagen. Der Graf Melun starb
bald, nach dem er sie geheyrathet hatte, sie ließ
sich durch ihren Liebhaber den Chevalier Valois
zu jeder Verschwendung verleiten; sie verließ
mit ihm Paris und gieng nach England, ihr
Ver[m]ögen war bald vom Valois verspielt, sie
ward krank, denn die Blattern offenbarten sich
an ihr, der Chevalier erschoß sich, sie ge-
nas, aber ihre Schönheit, ihre Jugend war
jetzt zugleich mit ihrem Vermögen dahin. Sie

ſprach, der mich nun meinen Feinden verrathen
wuͤrde. Ich betrachtete ſie genauer, und konn-
te mich doch durchaus nicht erinnern, ſie ir-
gendwo geſehn zu haben. — Endlich entdeckte
ſie ſich mir, und o Himmel! — es war Nie-
mand anders, als die Comteſſe Blainville!

Lange wollte ich es nicht glauben. Die
Blainville, jenes junge, lebhafte, reizende Weib,
— und hier ſtand ein Ungeheuer vor mir, von
Pockengruben entſtellt, einaͤugig, mit allen moͤg-
lichen Widrigkeiten reichlich ausgeſtattet, —
und dennoch war ſie es, ſelbſt unter der gro-
ben Huͤlle lagen einige ihrer ehemaligen Zuͤge,
wie fern, verborgen.

Ihre Geſchichte kann ich Ihnen mit weni-
gen Worten ſagen. Der Graf Melun ſtarb
bald, nach dem er ſie geheyrathet hatte, ſie ließ
ſich durch ihren Liebhaber den Chevalier Valois
zu jeder Verſchwendung verleiten; ſie verließ
mit ihm Paris und gieng nach England, ihr
Ver[m]oͤgen war bald vom Valois verſpielt, ſie
ward krank, denn die Blattern offenbarten ſich
an ihr, der Chevalier erſchoß ſich, ſie ge-
nas, aber ihre Schoͤnheit, ihre Jugend war
jetzt zugleich mit ihrem Vermoͤgen dahin. Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0125" n="118"/>
&#x017F;prach, der mich nun meinen Feinden verrathen<lb/>
wu&#x0364;rde. Ich betrachtete &#x017F;ie genauer, und konn-<lb/>
te mich doch durchaus nicht erinnern, &#x017F;ie ir-<lb/>
gendwo ge&#x017F;ehn zu haben. &#x2014; Endlich entdeckte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich mir, und o Himmel! &#x2014; es war Nie-<lb/>
mand anders, als die <hi rendition="#g">Comte&#x017F;&#x017F;e Blainville</hi>!</p><lb/>
          <p>Lange wollte ich es nicht glauben. Die<lb/>
Blainville, jenes junge, lebhafte, reizende Weib,<lb/>
&#x2014; und hier &#x017F;tand ein Ungeheuer vor mir, von<lb/>
Pockengruben ent&#x017F;tellt, eina&#x0364;ugig, mit allen mo&#x0364;g-<lb/>
lichen Widrigkeiten reichlich ausge&#x017F;tattet, &#x2014;<lb/>
und dennoch war &#x017F;ie es, &#x017F;elb&#x017F;t unter der gro-<lb/>
ben Hu&#x0364;lle lagen einige ihrer ehemaligen Zu&#x0364;ge,<lb/>
wie fern, verborgen.</p><lb/>
          <p>Ihre Ge&#x017F;chichte kann ich Ihnen mit weni-<lb/>
gen Worten &#x017F;agen. Der Graf Melun &#x017F;tarb<lb/>
bald, nach dem er &#x017F;ie geheyrathet hatte, &#x017F;ie ließ<lb/>
&#x017F;ich durch ihren Liebhaber den Chevalier Valois<lb/>
zu jeder Ver&#x017F;chwendung verleiten; &#x017F;ie verließ<lb/>
mit ihm Paris und gieng nach England, ihr<lb/>
Ver<supplied>m</supplied>o&#x0364;gen war bald vom Valois ver&#x017F;pielt, &#x017F;ie<lb/>
ward krank, denn die Blattern offenbarten &#x017F;ich<lb/>
an ihr, der Chevalier er&#x017F;choß &#x017F;ich, &#x017F;ie ge-<lb/>
nas, aber ihre Scho&#x0364;nheit, ihre Jugend war<lb/>
jetzt zugleich mit ihrem Vermo&#x0364;gen dahin. Sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0125] ſprach, der mich nun meinen Feinden verrathen wuͤrde. Ich betrachtete ſie genauer, und konn- te mich doch durchaus nicht erinnern, ſie ir- gendwo geſehn zu haben. — Endlich entdeckte ſie ſich mir, und o Himmel! — es war Nie- mand anders, als die Comteſſe Blainville! Lange wollte ich es nicht glauben. Die Blainville, jenes junge, lebhafte, reizende Weib, — und hier ſtand ein Ungeheuer vor mir, von Pockengruben entſtellt, einaͤugig, mit allen moͤg- lichen Widrigkeiten reichlich ausgeſtattet, — und dennoch war ſie es, ſelbſt unter der gro- ben Huͤlle lagen einige ihrer ehemaligen Zuͤge, wie fern, verborgen. Ihre Geſchichte kann ich Ihnen mit weni- gen Worten ſagen. Der Graf Melun ſtarb bald, nach dem er ſie geheyrathet hatte, ſie ließ ſich durch ihren Liebhaber den Chevalier Valois zu jeder Verſchwendung verleiten; ſie verließ mit ihm Paris und gieng nach England, ihr Vermoͤgen war bald vom Valois verſpielt, ſie ward krank, denn die Blattern offenbarten ſich an ihr, der Chevalier erſchoß ſich, ſie ge- nas, aber ihre Schoͤnheit, ihre Jugend war jetzt zugleich mit ihrem Vermoͤgen dahin. Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/125
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/125>, abgerufen am 23.11.2024.