Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
58.
Rosaline an Anthonio.

Ja wohl möcht' ich sterben, sterben, Anthonio.
Du kömmst also nicht und siehst nach der kran-
ken Rosaline, der Du sonst so viel von Deiner
innigen Liebe vorgesprochen hast? -- Ach, bleib
noch ein paar Tage länger, und Du kömmst
dann vergebens, um sie zu suchen. -- Wer ist
nun treulos? Hab ich es nicht immer gefürch-
tet, daß Du so seyn würdest? -- Wenn ich
erst todt bin, so will ich Dir erscheinen, Dich
gewiß auffinden, und Deine Seele martern. --
Dein Vater ist auch fort; Gott, wie mag das
alles zusammenhängen? -- Ich will den Brief
zu Dir hinübertragen, ich weiß nicht, ob Du
ihn erhalten wirst. Ach, was kann es mir auch
helfen? -- Mein Bild, das Du gezeichnet hat-
test, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte
schon darauf getreten, es war ganz unkenntlich,
ach, und es sieht mir jetzt gewiß sehr ähnlich. --
Siehst Du, so ist Deine Liebe! Ach Anthonio,
wenn Du schon so bist, welche Ungeheuer müs-
sen dann die übrigen Männer seyn! -- Ich

58.
Roſaline an Anthonio.

Ja wohl moͤcht’ ich ſterben, ſterben, Anthonio.
Du koͤmmſt alſo nicht und ſiehſt nach der kran-
ken Roſaline, der Du ſonſt ſo viel von Deiner
innigen Liebe vorgeſprochen haſt? — Ach, bleib
noch ein paar Tage laͤnger, und Du koͤmmſt
dann vergebens, um ſie zu ſuchen. — Wer iſt
nun treulos? Hab ich es nicht immer gefuͤrch-
tet, daß Du ſo ſeyn wuͤrdeſt? — Wenn ich
erſt todt bin, ſo will ich Dir erſcheinen, Dich
gewiß auffinden, und Deine Seele martern. —
Dein Vater iſt auch fort; Gott, wie mag das
alles zuſammenhaͤngen? — Ich will den Brief
zu Dir hinuͤbertragen, ich weiß nicht, ob Du
ihn erhalten wirſt. Ach, was kann es mir auch
helfen? — Mein Bild, das Du gezeichnet hat-
teſt, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte
ſchon darauf getreten, es war ganz unkenntlich,
ach, und es ſieht mir jetzt gewiß ſehr aͤhnlich. —
Siehſt Du, ſo iſt Deine Liebe! Ach Anthonio,
wenn Du ſchon ſo biſt, welche Ungeheuer muͤſ-
ſen dann die uͤbrigen Maͤnner ſeyn! — Ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0207" n="201"/>
        <div n="2">
          <head>58.<lb/><hi rendition="#g">Ro&#x017F;aline</hi> an <hi rendition="#g">Anthonio</hi>.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>a wohl mo&#x0364;cht&#x2019; ich &#x017F;terben, &#x017F;terben, Anthonio.<lb/>
Du ko&#x0364;mm&#x017F;t al&#x017F;o nicht und &#x017F;ieh&#x017F;t nach der kran-<lb/>
ken Ro&#x017F;aline, der Du &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o viel von Deiner<lb/>
innigen Liebe vorge&#x017F;prochen ha&#x017F;t? &#x2014; Ach, bleib<lb/>
noch ein paar Tage la&#x0364;nger, und Du ko&#x0364;mm&#x017F;t<lb/>
dann vergebens, um &#x017F;ie zu &#x017F;uchen. &#x2014; Wer i&#x017F;t<lb/>
nun treulos? Hab ich es nicht immer gefu&#x0364;rch-<lb/>
tet, daß Du &#x017F;o &#x017F;eyn wu&#x0364;rde&#x017F;t? &#x2014; Wenn ich<lb/>
er&#x017F;t todt bin, &#x017F;o will ich Dir er&#x017F;cheinen, Dich<lb/>
gewiß auffinden, und Deine Seele martern. &#x2014;<lb/>
Dein Vater i&#x017F;t auch fort; Gott, wie mag das<lb/>
alles zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen? &#x2014; Ich will den Brief<lb/>
zu Dir hinu&#x0364;bertragen, ich weiß nicht, ob Du<lb/>
ihn erhalten wir&#x017F;t. Ach, was kann es mir auch<lb/>
helfen? &#x2014; Mein Bild, das Du gezeichnet hat-<lb/>
te&#x017F;t, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte<lb/>
&#x017F;chon darauf getreten, es war ganz unkenntlich,<lb/>
ach, und es &#x017F;ieht mir jetzt gewiß &#x017F;ehr a&#x0364;hnlich. &#x2014;<lb/>
Sieh&#x017F;t Du, &#x017F;o i&#x017F;t Deine Liebe! Ach Anthonio,<lb/>
wenn <hi rendition="#g">Du</hi> &#x017F;chon &#x017F;o bi&#x017F;t, welche Ungeheuer mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en dann die u&#x0364;brigen Ma&#x0364;nner &#x017F;eyn! &#x2014; Ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0207] 58. Roſaline an Anthonio. Ja wohl moͤcht’ ich ſterben, ſterben, Anthonio. Du koͤmmſt alſo nicht und ſiehſt nach der kran- ken Roſaline, der Du ſonſt ſo viel von Deiner innigen Liebe vorgeſprochen haſt? — Ach, bleib noch ein paar Tage laͤnger, und Du koͤmmſt dann vergebens, um ſie zu ſuchen. — Wer iſt nun treulos? Hab ich es nicht immer gefuͤrch- tet, daß Du ſo ſeyn wuͤrdeſt? — Wenn ich erſt todt bin, ſo will ich Dir erſcheinen, Dich gewiß auffinden, und Deine Seele martern. — Dein Vater iſt auch fort; Gott, wie mag das alles zuſammenhaͤngen? — Ich will den Brief zu Dir hinuͤbertragen, ich weiß nicht, ob Du ihn erhalten wirſt. Ach, was kann es mir auch helfen? — Mein Bild, das Du gezeichnet hat- teſt, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte ſchon darauf getreten, es war ganz unkenntlich, ach, und es ſieht mir jetzt gewiß ſehr aͤhnlich. — Siehſt Du, ſo iſt Deine Liebe! Ach Anthonio, wenn Du ſchon ſo biſt, welche Ungeheuer muͤſ- ſen dann die uͤbrigen Maͤnner ſeyn! — Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/207
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/207>, abgerufen am 21.12.2024.