Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724.XVI. Handel. Von der Ehescheidung wegen incurabler und ansteckender Kranckheit des einen Ehegatten. § I. Wichtige rationes auf beyden Seiten. Weitere Ausführung derselben für die Ehescheidung. ES ist eben nicht zu verwundern, wenn die Doctores bey Erörterung der Frage nicht einerley Meynung sind: Ob die Ehe getrennet werden könne, wenn der eine Ehegatte in eine incurable und ansteckende Kranckheit verfället, dergestalt daß der andre Ehegatte ohne rechtmäßige Furcht inficiret zu werden ihn nicht ferner ehelich beywohnen kan. Denn eines Theils scheinet pro affirmativa zu streiten; daß solchergestalt ohne des gesunden Ehegatten Schuld der Haupt- und Nebenzweck des Ehestandes, nehmlich die Kinderzeugung und Tilgung fleischlicher Lust nicht ferner erhalten werden mag; andern Theils aber ist es der Natur des Ehestandes zuwieder, daß ein Ehegatte, da er bey Antretung der Ehe dem andern versprochen, dem andern in Creutz und Unglück beyzustehen und selbigen nicht zu verlassen, dennoch wieder dieses Versprechen handeln und sich von ihm gäntzlich trennen lassen wolte, zumahl wenn der Krancke Ehegatte dergleichen Kranckheit durch Gottlosigkeit und liederliches Leben sich nicht zugezogen. Derowegen war es nicht zu verwundern, daß auch Anno 1696. in Anfang des Jahrs unsere Facultät in diesen Stück mit einen sonst berühmten Advocato nicht einerley Meynung war, als derselbe uns eine Frage über diesen Handel zuschickte, und sich viel Mühe gegeben hatte durch fleißig zusammengesuchte rationes uns zu bewegen, daß wir in diesen Punct zu Trost seiner Clienten für die verlangte Ehescheidung sprechen solten, wie die Beyfuge ausweiset. Es hat Anno 1673. Sempronius ein Fürstlicher Officiant sich mit damahligen Jungfer der Caja verlobet und zur Aussteuer ohne die Mobilien 200. Thlr. mit versprochen bekommen; Ob er nun wohl flugs nach den Sponsalibus wahrgenommen, daß ihr zuweilen einige Beulen in der Grösse einer halben Welschen Nuß unter dem Gesichte und Armen aufgefahren, darbey sie grosse Hitze und Schmertzen empfunden, hat man es doch dem Sempronio ausgeschwatzet und imprimiret, es hätte die Caja die Haupt-Kranckheit gehabt, nach welcher Zeit sich XVI. Handel. Von der Ehescheidung wegen incurabler und ansteckender Kranckheit des einen Ehegatten. § I. Wichtige rationes auf beyden Seiten. Weitere Ausführung derselben für die Ehescheidung. ES ist eben nicht zu verwundern, wenn die Doctores bey Erörterung der Frage nicht einerley Meynung sind: Ob die Ehe getrennet werden könne, wenn der eine Ehegatte in eine incurable und ansteckende Kranckheit verfället, dergestalt daß der andre Ehegatte ohne rechtmäßige Furcht inficiret zu werden ihn nicht ferner ehelich beywohnen kan. Denn eines Theils scheinet pro affirmativa zu streiten; daß solchergestalt ohne des gesunden Ehegatten Schuld der Haupt- und Nebenzweck des Ehestandes, nehmlich die Kinderzeugung und Tilgung fleischlicher Lust nicht ferner erhalten werden mag; andern Theils aber ist es der Natur des Ehestandes zuwieder, daß ein Ehegatte, da er bey Antretung der Ehe dem andern versprochen, dem andern in Creutz und Unglück beyzustehen und selbigen nicht zu verlassen, dennoch wieder dieses Versprechen handeln und sich von ihm gäntzlich trennen lassen wolte, zumahl wenn der Krancke Ehegatte dergleichen Kranckheit durch Gottlosigkeit und liederliches Leben sich nicht zugezogen. Derowegen war es nicht zu verwundern, daß auch Anno 1696. in Anfang des Jahrs unsere Facultät in diesen Stück mit einen sonst berühmten Advocato nicht einerley Meynung war, als derselbe uns eine Frage über diesen Handel zuschickte, und sich viel Mühe gegeben hatte durch fleißig zusammengesuchte rationes uns zu bewegen, daß wir in diesen Punct zu Trost seiner Clienten für die verlangte Ehescheidung sprechen solten, wie die Beyfuge ausweiset. Es hat Anno 1673. Sempronius ein Fürstlicher Officiant sich mit damahligen Jungfer der Caja verlobet und zur Aussteuer ohne die Mobilien 200. Thlr. mit versprochen bekommen; Ob er nun wohl flugs nach den Sponsalibus wahrgenommen, daß ihr zuweilen einige Beulen in der Grösse einer halben Welschen Nuß unter dem Gesichte und Armen aufgefahren, darbey sie grosse Hitze und Schmertzen empfunden, hat man es doch dem Sempronio ausgeschwatzet und imprimiret, es hätte die Caja die Haupt-Kranckheit gehabt, nach welcher Zeit sich <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0358" n="352"/> </div> <div> <head>XVI. Handel. Von der Ehescheidung wegen incurabler und ansteckender Kranckheit des einen Ehegatten.</head><lb/> </div> <div> <head>§ I.</head><lb/> <note place="left">Wichtige <hi rendition="#i">rationes</hi> auf beyden Seiten. 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Denn eines Theils scheinet pro affirmativa zu streiten; daß solchergestalt ohne des gesunden Ehegatten Schuld der Haupt- und Nebenzweck des Ehestandes, nehmlich die Kinderzeugung und Tilgung fleischlicher Lust nicht ferner erhalten werden mag; andern Theils aber ist es der Natur des Ehestandes zuwieder, daß ein Ehegatte, da er bey Antretung der Ehe dem andern versprochen, dem andern in Creutz und Unglück beyzustehen und selbigen nicht zu verlassen, dennoch wieder dieses Versprechen handeln und sich von ihm gäntzlich trennen lassen wolte, zumahl wenn der Krancke Ehegatte dergleichen Kranckheit durch Gottlosigkeit und liederliches Leben sich nicht zugezogen. Derowegen war es nicht zu verwundern, daß auch Anno 1696. in Anfang des Jahrs unsere Facultät in diesen Stück mit einen sonst berühmten Advocato nicht einerley Meynung war, als derselbe uns eine Frage über diesen Handel zuschickte, und sich viel Mühe gegeben hatte durch fleißig zusammengesuchte rationes uns zu bewegen, daß wir in diesen Punct zu Trost seiner Clienten für die verlangte Ehescheidung sprechen solten, wie die Beyfuge ausweiset.</p> <p>Es hat Anno 1673. Sempronius ein Fürstlicher Officiant sich mit damahligen Jungfer der Caja verlobet und zur Aussteuer ohne die Mobilien 200. 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XVI. Handel. Von der Ehescheidung wegen incurabler und ansteckender Kranckheit des einen Ehegatten.
§ I.
ES ist eben nicht zu verwundern, wenn die Doctores bey Erörterung der Frage nicht einerley Meynung sind: Ob die Ehe getrennet werden könne, wenn der eine Ehegatte in eine incurable und ansteckende Kranckheit verfället, dergestalt daß der andre Ehegatte ohne rechtmäßige Furcht inficiret zu werden ihn nicht ferner ehelich beywohnen kan. Denn eines Theils scheinet pro affirmativa zu streiten; daß solchergestalt ohne des gesunden Ehegatten Schuld der Haupt- und Nebenzweck des Ehestandes, nehmlich die Kinderzeugung und Tilgung fleischlicher Lust nicht ferner erhalten werden mag; andern Theils aber ist es der Natur des Ehestandes zuwieder, daß ein Ehegatte, da er bey Antretung der Ehe dem andern versprochen, dem andern in Creutz und Unglück beyzustehen und selbigen nicht zu verlassen, dennoch wieder dieses Versprechen handeln und sich von ihm gäntzlich trennen lassen wolte, zumahl wenn der Krancke Ehegatte dergleichen Kranckheit durch Gottlosigkeit und liederliches Leben sich nicht zugezogen. Derowegen war es nicht zu verwundern, daß auch Anno 1696. in Anfang des Jahrs unsere Facultät in diesen Stück mit einen sonst berühmten Advocato nicht einerley Meynung war, als derselbe uns eine Frage über diesen Handel zuschickte, und sich viel Mühe gegeben hatte durch fleißig zusammengesuchte rationes uns zu bewegen, daß wir in diesen Punct zu Trost seiner Clienten für die verlangte Ehescheidung sprechen solten, wie die Beyfuge ausweiset.
Es hat Anno 1673. Sempronius ein Fürstlicher Officiant sich mit damahligen Jungfer der Caja verlobet und zur Aussteuer ohne die Mobilien 200. Thlr. mit versprochen bekommen; Ob er nun wohl flugs nach den Sponsalibus wahrgenommen, daß ihr zuweilen einige Beulen in der Grösse einer halben Welschen Nuß unter dem Gesichte und Armen aufgefahren, darbey sie grosse Hitze und Schmertzen empfunden, hat man es doch dem Sempronio ausgeschwatzet und imprimiret, es hätte die Caja die Haupt-Kranckheit gehabt, nach welcher Zeit sich
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724/358>, abgerufen am 22.07.2024. |