Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe gegen uns selbst.
Lebens-Ziel nach denen Regeln der allgemei-
nen gesunden Vernunfft/ denen Menschen/
so wir vernunfftig lieben/ zu gut/ nicht ver-
kurtzet sondern erhalten werde.

3.

Denn GOtt hat wie allen Creaturen also
auch dem Menschen ein gewisses Ziel ihrer
Dauerung
gesetzt/ welches keine Creatur über-
schreiten kan/ und solchergestalt hat der Mensch
dieses mit andern Creaturen gemein/ daß er das
ihme von GOtt vorgesetzte Lebens-Ziel nicht ei-
ne Minute lang verlängern
könne.

4.

Wiewohl es die tägliche Erfahrung giebet/
daß gemeinigl ich/ je unedler die Creaturen
seyn/ je länger leben sie auch/ und je später
verwesen oder verderben sie/ wenn sie gleich
gestorben sind/
ausser daß die zahmen Thiere
nicht so lange leben als der Mensch/ wiewohl sehr
wahrscheinlich ist/ daß mehr der Mensch entwe-
der durch Tödtung/ oder durch allzuübermäßigen
Gebrauch/ oder durch ungesunde Nahrung ihr
Leben verkürtze/ als daß sie nicht der Natur nach
so lange solten leben können/ als die wilden Thie-
re/ die/ wenn sie von denen Menschen nicht ge-
fangen werden/ gar leichte länger leben als die
Menschen. Und ist also hierinnen ein grosser
Unterscheid unter den Menschen und an-
dern Creaturen/
wiewohl die menschliche Ver-
nunfft/ wenn sie sich selbst gelassen ist/ nicht so
wahrscheinlich die wahre Ursache dessen zu er-
gründen weiß/ auch wenig Wissenschafft davon

hat/

Liebe gegen uns ſelbſt.
Lebens-Ziel nach denen Regeln der allgemei-
nen geſunden Vernunfft/ denen Menſchen/
ſo wir vernůnfftig lieben/ zu gut/ nicht ver-
kůrtzet ſondern erhalten werde.

3.

Denn GOtt hat wie allen Creaturen alſo
auch dem Menſchen ein gewiſſes Ziel ihrer
Dauerung
geſetzt/ welches keine Creatur uͤber-
ſchreiten kan/ und ſolchergeſtalt hat der Menſch
dieſes mit andern Creaturen gemein/ daß er das
ihme von GOtt vorgeſetzte Lebens-Ziel nicht ei-
ne Minute lang verlaͤngern
koͤnne.

4.

Wiewohl es die taͤgliche Erfahrung giebet/
daß gemeinigl ich/ je unedler die Creaturen
ſeyn/ je laͤnger leben ſie auch/ und je ſpaͤter
verweſen oder verderben ſie/ wenn ſie gleich
geſtorben ſind/
auſſer daß die zahmen Thiere
nicht ſo lange leben als der Menſch/ wiewohl ſehr
wahrſcheinlich iſt/ daß mehr der Menſch entwe-
der durch Toͤdtung/ oder durch allzuuͤbermaͤßigen
Gebrauch/ oder durch ungeſunde Nahrung ihr
Leben verkuͤrtze/ als daß ſie nicht der Natur nach
ſo lange ſolten leben koͤnnen/ als die wilden Thie-
re/ die/ wenn ſie von denen Menſchen nicht ge-
fangen werden/ gar leichte laͤnger leben als die
Menſchen. Und iſt alſo hierinnen ein groſſer
Unterſcheid unter den Menſchen und an-
dern Creaturen/
wiewohl die menſchliche Ver-
nunfft/ wenn ſie ſich ſelbſt gelaſſen iſt/ nicht ſo
wahrſcheinlich die wahre Urſache deſſen zu er-
gruͤnden weiß/ auch wenig Wiſſenſchafft davon

hat/
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0367" n="339[335]"/>
              <fw place="top" type="header">Liebe gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t.</fw><lb/> <hi rendition="#fr">Lebens-Ziel nach denen Regeln der allgemei-<lb/>
nen ge&#x017F;unden Vernunfft/ denen Men&#x017F;chen/<lb/>
&#x017F;o wir vern&#x016F;nfftig lieben/ zu gut/ nicht ver-<lb/>
k&#x016F;rtzet &#x017F;ondern erhalten werde.</hi> </p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>3.</head>
            <p>Denn GOtt hat wie allen Creaturen al&#x017F;o<lb/>
auch <hi rendition="#fr">dem Men&#x017F;chen ein gewi&#x017F;&#x017F;es Ziel ihrer<lb/>
Dauerung</hi> ge&#x017F;etzt/ welches keine Creatur u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;chreiten kan/ und &#x017F;olcherge&#x017F;talt hat der Men&#x017F;ch<lb/>
die&#x017F;es mit andern Creaturen gemein/ daß er das<lb/>
ihme von GOtt vorge&#x017F;etzte Lebens-Ziel <hi rendition="#fr">nicht ei-<lb/>
ne Minute lang verla&#x0364;ngern</hi> ko&#x0364;nne.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head>
            <p>Wiewohl es die ta&#x0364;gliche Erfahrung giebet/<lb/>
daß gemeinigl ich/ je <hi rendition="#fr">unedler die Creaturen<lb/>
&#x017F;eyn/ je la&#x0364;nger leben &#x017F;ie auch/ und je &#x017F;pa&#x0364;ter<lb/>
verwe&#x017F;en oder verderben &#x017F;ie/ wenn &#x017F;ie gleich<lb/>
ge&#x017F;torben &#x017F;ind/</hi> au&#x017F;&#x017F;er daß <hi rendition="#fr">die zahmen Thiere</hi><lb/>
nicht &#x017F;o lange leben als der Men&#x017F;ch/ wiewohl &#x017F;ehr<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t/ daß mehr der Men&#x017F;ch entwe-<lb/>
der durch To&#x0364;dtung/ oder durch allzuu&#x0364;berma&#x0364;ßigen<lb/>
Gebrauch/ oder durch unge&#x017F;unde Nahrung ihr<lb/>
Leben verku&#x0364;rtze/ als daß &#x017F;ie nicht der Natur nach<lb/>
&#x017F;o lange &#x017F;olten leben ko&#x0364;nnen/ als die wilden Thie-<lb/>
re/ die/ wenn &#x017F;ie von denen Men&#x017F;chen nicht ge-<lb/>
fangen werden/ gar leichte la&#x0364;nger leben als die<lb/>
Men&#x017F;chen. Und i&#x017F;t al&#x017F;o hierinnen <hi rendition="#fr">ein gro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Unter&#x017F;cheid unter den Men&#x017F;chen und an-<lb/>
dern Creaturen/</hi> wiewohl die men&#x017F;chliche Ver-<lb/>
nunfft/ wenn &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gela&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t/ nicht &#x017F;o<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich die wahre Ur&#x017F;ache de&#x017F;&#x017F;en zu er-<lb/>
gru&#x0364;nden weiß/ auch wenig Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft davon<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hat/</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339[335]/0367] Liebe gegen uns ſelbſt. Lebens-Ziel nach denen Regeln der allgemei- nen geſunden Vernunfft/ denen Menſchen/ ſo wir vernůnfftig lieben/ zu gut/ nicht ver- kůrtzet ſondern erhalten werde. 3. Denn GOtt hat wie allen Creaturen alſo auch dem Menſchen ein gewiſſes Ziel ihrer Dauerung geſetzt/ welches keine Creatur uͤber- ſchreiten kan/ und ſolchergeſtalt hat der Menſch dieſes mit andern Creaturen gemein/ daß er das ihme von GOtt vorgeſetzte Lebens-Ziel nicht ei- ne Minute lang verlaͤngern koͤnne. 4. Wiewohl es die taͤgliche Erfahrung giebet/ daß gemeinigl ich/ je unedler die Creaturen ſeyn/ je laͤnger leben ſie auch/ und je ſpaͤter verweſen oder verderben ſie/ wenn ſie gleich geſtorben ſind/ auſſer daß die zahmen Thiere nicht ſo lange leben als der Menſch/ wiewohl ſehr wahrſcheinlich iſt/ daß mehr der Menſch entwe- der durch Toͤdtung/ oder durch allzuuͤbermaͤßigen Gebrauch/ oder durch ungeſunde Nahrung ihr Leben verkuͤrtze/ als daß ſie nicht der Natur nach ſo lange ſolten leben koͤnnen/ als die wilden Thie- re/ die/ wenn ſie von denen Menſchen nicht ge- fangen werden/ gar leichte laͤnger leben als die Menſchen. Und iſt alſo hierinnen ein groſſer Unterſcheid unter den Menſchen und an- dern Creaturen/ wiewohl die menſchliche Ver- nunfft/ wenn ſie ſich ſelbſt gelaſſen iſt/ nicht ſo wahrſcheinlich die wahre Urſache deſſen zu er- gruͤnden weiß/ auch wenig Wiſſenſchafft davon hat/

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/367
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 339[335]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/367>, abgerufen am 13.11.2024.