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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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eigentlich beschrieben werden müssen.
den. Denn die Lust/ Wollust oder Freude/ in-
gleichen der Schmertz und Betrübniß/ sind nichts
anders als Geniessungen oder Empfindungen
des gegenwärtigen gutes oder übels.

38. Zugeschweigen/ daß/ wie oben a] er-
wehnet/ die Gemüthsneigungen in dem Wil-
len und Hertzen
des Menschen ihren Sitz haben/
da hingegen der Schmertz und die Wollust
solche Empfindungen seyn/ die im Verstande
und Gehirne des Menschen vorgehen;
Die
Wollust als eine Empfindung des guten/ und der
Schmertz als eine Empfindung des bösen. Wes-
halben auch dieselbigen/ so ferne sie aus einer war-
hafftigen Ursache/ (als z. e. Kützelung und Ver-
wundung) und nicht aus blosser Einbildung (als
z. e. schimpfflicher Worte) herrühren/ nicht in der
Willkühr des Menschen seyn/ noch gebändiget/
vielweniger getilget werden können.

39. Und ob wohl zuweilen ein Mensch durch
vergangene oder zukünfftige Dinge Schmer-
tzen und Wollust empfindet/ so ist doch hierinnen
folgender Unterscheid wohl zu beobachten. Die
vergangenen Dinge stellet sich der Mensch ent-
weder vor als gegenwärtig/ so empfindet er auch
dadurch bey sich warhafftig Freude/ wenn sie gut;
oder Schmertzen/ wenn sie böse gewesen; oder er
betrachtet solche als vergangen/ so erwecken die
Gedancken des vergangenen übels/ und zugleich

des
a] h. cap. n. 12. sq.
F 5

eigentlich beſchrieben werden muͤſſen.
den. Denn die Luſt/ Wolluſt oder Freude/ in-
gleichen der Schmertz und Betruͤbniß/ ſind nichts
anders als Genieſſungen oder Empfindungen
des gegenwaͤrtigen gutes oder uͤbels.

38. Zugeſchweigen/ daß/ wie oben a] er-
wehnet/ die Gemuͤthsneigungen in dem Wil-
len und Hertzen
des Menſchen ihren Sitz haben/
da hingegen der Schmertz und die Wolluſt
ſolche Empfindungen ſeyn/ die im Verſtande
und Gehirne des Menſchen vorgehen;
Die
Wolluſt als eine Empfindung des guten/ und der
Schmertz als eine Empfindung des boͤſen. Wes-
halben auch dieſelbigen/ ſo ferne ſie aus einer war-
hafftigen Urſache/ (als z. e. Kuͤtzelung und Ver-
wundung) und nicht aus bloſſer Einbildung (als
z. e. ſchimpfflicher Worte) herruͤhren/ nicht in der
Willkuͤhr des Menſchen ſeyn/ noch gebaͤndiget/
vielweniger getilget werden koͤnnen.

39. Und ob wohl zuweilen ein Menſch durch
vergangene oder zukuͤnfftige Dinge Schmer-
tzen und Wolluſt empfindet/ ſo iſt doch hierinnen
folgender Unterſcheid wohl zu beobachten. Die
vergangenen Dinge ſtellet ſich der Menſch ent-
weder vor als gegenwaͤrtig/ ſo empfindet er auch
dadurch bey ſich warhafftig Freude/ wenn ſie gut;
oder Schmertzen/ wenn ſie boͤſe geweſen; oder er
betrachtet ſolche als vergangen/ ſo erwecken die
Gedancken des vergangenen uͤbels/ und zugleich

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a] h. cap. n. 12. ſq.
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[89/0101] eigentlich beſchrieben werden muͤſſen. den. Denn die Luſt/ Wolluſt oder Freude/ in- gleichen der Schmertz und Betruͤbniß/ ſind nichts anders als Genieſſungen oder Empfindungen des gegenwaͤrtigen gutes oder uͤbels. 38. Zugeſchweigen/ daß/ wie oben a] er- wehnet/ die Gemuͤthsneigungen in dem Wil- len und Hertzen des Menſchen ihren Sitz haben/ da hingegen der Schmertz und die Wolluſt ſolche Empfindungen ſeyn/ die im Verſtande und Gehirne des Menſchen vorgehen; Die Wolluſt als eine Empfindung des guten/ und der Schmertz als eine Empfindung des boͤſen. Wes- halben auch dieſelbigen/ ſo ferne ſie aus einer war- hafftigen Urſache/ (als z. e. Kuͤtzelung und Ver- wundung) und nicht aus bloſſer Einbildung (als z. e. ſchimpfflicher Worte) herruͤhren/ nicht in der Willkuͤhr des Menſchen ſeyn/ noch gebaͤndiget/ vielweniger getilget werden koͤnnen. 39. Und ob wohl zuweilen ein Menſch durch vergangene oder zukuͤnfftige Dinge Schmer- tzen und Wolluſt empfindet/ ſo iſt doch hierinnen folgender Unterſcheid wohl zu beobachten. Die vergangenen Dinge ſtellet ſich der Menſch ent- weder vor als gegenwaͤrtig/ ſo empfindet er auch dadurch bey ſich warhafftig Freude/ wenn ſie gut; oder Schmertzen/ wenn ſie boͤſe geweſen; oder er betrachtet ſolche als vergangen/ ſo erwecken die Gedancken des vergangenen uͤbels/ und zugleich des a] h. cap. n. 12. ſq. F 5

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/101>, abgerufen am 26.04.2024.