Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
X. Versuch. Ueber die Beziehung
3.

Laßt uns also nicht weiter zurückgehen, als auf die
Empfindungen, wie sie da sind; wie die äußern durch
die Einwirkung der Objekte auf unsere Sinnglieder, und
die innern durch innere Ursachen bewirket sind. Was
ist nun in diesen Modifikationen enthalten, wodurch sie
vorzügliche Reizungen für die unterschiedene Vermögen
werden?

Es ist ein Erfahrungssatz: "Jede gegenwärtige
"Empfindung wirket auf das Gemüth und auf den
"Willen, wenn sie vielbefassend und unauseinan-
"dergesetzt,
lebhaft und stark ist, bis auf einen gewis-
"sen Grad hin."

Und umgekehrt. "Um eine afficirende Empfin-
"dung zu seyn, und um zu neuen Bestrebungen zu be-
"wegen, muß sie einen gewissen Grad von Stärke und
"Lebhaftigkeit besitzen, den man nur dadurch bestimmen
"kann, daß man ihn vergleichungsweise mit andern ei-
"nen größern Grad nennet; das ist, sie muß vielbe-
"fassend und unauseinandergesetzt seyn, und zu den ei-
"gentlichen Gefühlen *) gehören."

Jch berufe mich auf alle Untersuchungen, die von
den Philosophen über den Ursprung des Gefallens und
des Mißfallens, und über die Entstehung der Neigun-
gen angestellt sind. Etwas davon habe ich oben in dem
zweyten Versuch über die Empfindungen schon gebraucht.
Alle Beobachtungen haben diese Sätze bestätiget, und
wenn etwan einige darinn eine Ausnahme anzutreffen ge-
glaubet, daß doch auch ein einfacher Sonnenstral uns
afficire, so deucht mich, man müsse sich nur aus der
Optik erinnern, was ein sogenannter einfacher Lichtstral
sey, und dann seine innere Menge und Mannigfaltig-
keit mit der Größe seiner Wirkung, und mit den Um-

ständen,
*) Zweeter Versuch. V. 2.
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
3.

Laßt uns alſo nicht weiter zuruͤckgehen, als auf die
Empfindungen, wie ſie da ſind; wie die aͤußern durch
die Einwirkung der Objekte auf unſere Sinnglieder, und
die innern durch innere Urſachen bewirket ſind. Was
iſt nun in dieſen Modifikationen enthalten, wodurch ſie
vorzuͤgliche Reizungen fuͤr die unterſchiedene Vermoͤgen
werden?

Es iſt ein Erfahrungsſatz: „Jede gegenwaͤrtige
„Empfindung wirket auf das Gemuͤth und auf den
Willen, wenn ſie vielbefaſſend und unauseinan-
„dergeſetzt,
lebhaft und ſtark iſt, bis auf einen gewiſ-
„ſen Grad hin.‟

Und umgekehrt. „Um eine afficirende Empfin-
„dung zu ſeyn, und um zu neuen Beſtrebungen zu be-
„wegen, muß ſie einen gewiſſen Grad von Staͤrke und
„Lebhaftigkeit beſitzen, den man nur dadurch beſtimmen
„kann, daß man ihn vergleichungsweiſe mit andern ei-
„nen groͤßern Grad nennet; das iſt, ſie muß vielbe-
„faſſend und unauseinandergeſetzt ſeyn, und zu den ei-
„gentlichen Gefuͤhlen *) gehoͤren.‟

Jch berufe mich auf alle Unterſuchungen, die von
den Philoſophen uͤber den Urſprung des Gefallens und
des Mißfallens, und uͤber die Entſtehung der Neigun-
gen angeſtellt ſind. Etwas davon habe ich oben in dem
zweyten Verſuch uͤber die Empfindungen ſchon gebraucht.
Alle Beobachtungen haben dieſe Saͤtze beſtaͤtiget, und
wenn etwan einige darinn eine Ausnahme anzutreffen ge-
glaubet, daß doch auch ein einfacher Sonnenſtral uns
afficire, ſo deucht mich, man muͤſſe ſich nur aus der
Optik erinnern, was ein ſogenannter einfacher Lichtſtral
ſey, und dann ſeine innere Menge und Mannigfaltig-
keit mit der Groͤße ſeiner Wirkung, und mit den Um-

ſtaͤnden,
*) Zweeter Verſuch. V. 2.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0770" n="710"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Beziehung</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>3.</head><lb/>
            <p>Laßt uns al&#x017F;o nicht weiter zuru&#x0364;ckgehen, als auf die<lb/>
Empfindungen, wie &#x017F;ie da &#x017F;ind; wie die a&#x0364;ußern durch<lb/>
die Einwirkung der Objekte auf un&#x017F;ere Sinnglieder, und<lb/>
die innern durch innere Ur&#x017F;achen bewirket &#x017F;ind. Was<lb/>
i&#x017F;t nun in die&#x017F;en Modifikationen enthalten, wodurch &#x017F;ie<lb/>
vorzu&#x0364;gliche Reizungen fu&#x0364;r die unter&#x017F;chiedene Vermo&#x0364;gen<lb/>
werden?</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ein Erfahrungs&#x017F;atz: &#x201E;Jede gegenwa&#x0364;rtige<lb/>
&#x201E;Empfindung wirket auf das <hi rendition="#fr">Gemu&#x0364;th</hi> und auf den<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Willen,</hi> wenn &#x017F;ie <hi rendition="#fr">vielbefa&#x017F;&#x017F;end</hi> und <hi rendition="#fr">unauseinan-<lb/>
&#x201E;derge&#x017F;etzt,</hi> lebhaft und &#x017F;tark i&#x017F;t, bis auf einen gewi&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en Grad hin.&#x201F;</p><lb/>
            <p>Und umgekehrt. &#x201E;Um eine <hi rendition="#fr">afficirende</hi> Empfin-<lb/>
&#x201E;dung zu &#x017F;eyn, und um zu neuen Be&#x017F;trebungen zu be-<lb/>
&#x201E;wegen, muß &#x017F;ie einen gewi&#x017F;&#x017F;en Grad von Sta&#x0364;rke und<lb/>
&#x201E;Lebhaftigkeit be&#x017F;itzen, den man nur dadurch be&#x017F;timmen<lb/>
&#x201E;kann, daß man ihn vergleichungswei&#x017F;e mit andern ei-<lb/>
&#x201E;nen <hi rendition="#fr">gro&#x0364;ßern</hi> Grad nennet; das i&#x017F;t, &#x017F;ie muß vielbe-<lb/>
&#x201E;fa&#x017F;&#x017F;end und unauseinanderge&#x017F;etzt &#x017F;eyn, und zu den ei-<lb/>
&#x201E;gentlichen <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hlen</hi> <note place="foot" n="*)">Zweeter <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch.</hi> <hi rendition="#aq">V.</hi> 2.</note> geho&#x0364;ren.&#x201F;</p><lb/>
            <p>Jch berufe mich auf alle Unter&#x017F;uchungen, die von<lb/>
den Philo&#x017F;ophen u&#x0364;ber den Ur&#x017F;prung des Gefallens und<lb/>
des Mißfallens, und u&#x0364;ber die Ent&#x017F;tehung der Neigun-<lb/>
gen ange&#x017F;tellt &#x017F;ind. Etwas davon habe ich oben in dem<lb/>
zweyten Ver&#x017F;uch u&#x0364;ber die Empfindungen &#x017F;chon gebraucht.<lb/>
Alle Beobachtungen haben die&#x017F;e Sa&#x0364;tze be&#x017F;ta&#x0364;tiget, und<lb/>
wenn etwan einige darinn eine Ausnahme anzutreffen ge-<lb/>
glaubet, daß doch auch ein einfacher Sonnen&#x017F;tral uns<lb/>
afficire, &#x017F;o deucht mich, man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich nur aus der<lb/>
Optik erinnern, was ein &#x017F;ogenannter einfacher Licht&#x017F;tral<lb/>
&#x017F;ey, und dann &#x017F;eine innere Menge und Mannigfaltig-<lb/>
keit mit der Gro&#x0364;ße &#x017F;einer Wirkung, und mit den Um-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ta&#x0364;nden,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[710/0770] X. Verſuch. Ueber die Beziehung 3. Laßt uns alſo nicht weiter zuruͤckgehen, als auf die Empfindungen, wie ſie da ſind; wie die aͤußern durch die Einwirkung der Objekte auf unſere Sinnglieder, und die innern durch innere Urſachen bewirket ſind. Was iſt nun in dieſen Modifikationen enthalten, wodurch ſie vorzuͤgliche Reizungen fuͤr die unterſchiedene Vermoͤgen werden? Es iſt ein Erfahrungsſatz: „Jede gegenwaͤrtige „Empfindung wirket auf das Gemuͤth und auf den „Willen, wenn ſie vielbefaſſend und unauseinan- „dergeſetzt, lebhaft und ſtark iſt, bis auf einen gewiſ- „ſen Grad hin.‟ Und umgekehrt. „Um eine afficirende Empfin- „dung zu ſeyn, und um zu neuen Beſtrebungen zu be- „wegen, muß ſie einen gewiſſen Grad von Staͤrke und „Lebhaftigkeit beſitzen, den man nur dadurch beſtimmen „kann, daß man ihn vergleichungsweiſe mit andern ei- „nen groͤßern Grad nennet; das iſt, ſie muß vielbe- „faſſend und unauseinandergeſetzt ſeyn, und zu den ei- „gentlichen Gefuͤhlen *) gehoͤren.‟ Jch berufe mich auf alle Unterſuchungen, die von den Philoſophen uͤber den Urſprung des Gefallens und des Mißfallens, und uͤber die Entſtehung der Neigun- gen angeſtellt ſind. Etwas davon habe ich oben in dem zweyten Verſuch uͤber die Empfindungen ſchon gebraucht. Alle Beobachtungen haben dieſe Saͤtze beſtaͤtiget, und wenn etwan einige darinn eine Ausnahme anzutreffen ge- glaubet, daß doch auch ein einfacher Sonnenſtral uns afficire, ſo deucht mich, man muͤſſe ſich nur aus der Optik erinnern, was ein ſogenannter einfacher Lichtſtral ſey, und dann ſeine innere Menge und Mannigfaltig- keit mit der Groͤße ſeiner Wirkung, und mit den Um- ſtaͤnden, *) Zweeter Verſuch. V. 2.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/770
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/770>, abgerufen am 21.11.2024.