Jn wie ferne erfolgen nun die Thätigkeiten der Denk- kraft nothwendig, wenn die erwähnten Aktus des Ge- gefühls und der Vorstellungskraft vorhanden sind? kön- nen jene alsdann noch zurückgehalten und abgeändert werden?
Zuerst unterscheide man die dunklen Urtheilsthä- tigkeiten von den klaren Urtheilen, die schon Jdeen und Bewußtseyn der Dinge, worüber man urtheilet, voraussetzen.*)
Ferner die erstmaligen Urtheile von denen, die man nachher nur wiederholet. Und dann noch die un- mittelbaren Grundurtheile, die nichts weiter vor- aussetzen, als daß Vorstellungen oder Jdeen von den Dingen und Beschaffenheiten, das ist von dem Subjekt und Prädikat, zwischen denen ein Verhältniß gedacht wird, vorhanden sind, und die wirksame Denkkraft mo- dificiren, von andern mittelbaren, gefolgerten und abgeleiteten Urtheilen, die man unter den Namen von Schlußgedanken oder Raisonnements zu begreifen pfleget.
3.
Die blinden Reflexionsäußerungen sind natür- lich nothwendige Wirkungen unserer Seele, über die wir geradezu wenigstens, keine Gewalt haben. Sie erfolgen, wenn ihre Ursachen vorhanden sind, und kom- men nicht hervor, wenn jene fehlen. Sie erfolgen so, wie sie erfolgen, ohne daß wir durch eine Willkühr sie befördern oder aufhalten oder sie abändern können, so noth- wendig, wie es dem Feuer nothwendig ist, zu zünden, wenn es an trocknes Stroh gebracht wird. Sie erfo- dern ihre sie völlig bestimmenden Gründe, in und außer der Seele, und zu diesem gehöret mancherley. Die Ge-
genwart
*) Versuch 4. VII. 6.
der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
2.
Jn wie ferne erfolgen nun die Thaͤtigkeiten der Denk- kraft nothwendig, wenn die erwaͤhnten Aktus des Ge- gefuͤhls und der Vorſtellungskraft vorhanden ſind? koͤn- nen jene alsdann noch zuruͤckgehalten und abgeaͤndert werden?
Zuerſt unterſcheide man die dunklen Urtheilsthaͤ- tigkeiten von den klaren Urtheilen, die ſchon Jdeen und Bewußtſeyn der Dinge, woruͤber man urtheilet, vorausſetzen.*)
Ferner die erſtmaligen Urtheile von denen, die man nachher nur wiederholet. Und dann noch die un- mittelbaren Grundurtheile, die nichts weiter vor- ausſetzen, als daß Vorſtellungen oder Jdeen von den Dingen und Beſchaffenheiten, das iſt von dem Subjekt und Praͤdikat, zwiſchen denen ein Verhaͤltniß gedacht wird, vorhanden ſind, und die wirkſame Denkkraft mo- dificiren, von andern mittelbaren, gefolgerten und abgeleiteten Urtheilen, die man unter den Namen von Schlußgedanken oder Raiſonnements zu begreifen pfleget.
3.
Die blinden Reflexionsaͤußerungen ſind natuͤr- lich nothwendige Wirkungen unſerer Seele, uͤber die wir geradezu wenigſtens, keine Gewalt haben. Sie erfolgen, wenn ihre Urſachen vorhanden ſind, und kom- men nicht hervor, wenn jene fehlen. Sie erfolgen ſo, wie ſie erfolgen, ohne daß wir durch eine Willkuͤhr ſie befoͤrdern oder aufhalten oder ſie abaͤndern koͤnnen, ſo noth- wendig, wie es dem Feuer nothwendig iſt, zu zuͤnden, wenn es an trocknes Stroh gebracht wird. Sie erfo- dern ihre ſie voͤllig beſtimmenden Gruͤnde, in und außer der Seele, und zu dieſem gehoͤret mancherley. Die Ge-
genwart
*) Verſuch 4. VII. 6.
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
2.
Jn wie ferne erfolgen nun die Thaͤtigkeiten der Denk-
kraft nothwendig, wenn die erwaͤhnten Aktus des Ge-
gefuͤhls und der Vorſtellungskraft vorhanden ſind? koͤn-
nen jene alsdann noch zuruͤckgehalten und abgeaͤndert
werden?
Zuerſt unterſcheide man die dunklen Urtheilsthaͤ-
tigkeiten von den klaren Urtheilen, die ſchon Jdeen
und Bewußtſeyn der Dinge, woruͤber man urtheilet,
vorausſetzen. *)
Ferner die erſtmaligen Urtheile von denen, die
man nachher nur wiederholet. Und dann noch die un-
mittelbaren Grundurtheile, die nichts weiter vor-
ausſetzen, als daß Vorſtellungen oder Jdeen von den
Dingen und Beſchaffenheiten, das iſt von dem Subjekt
und Praͤdikat, zwiſchen denen ein Verhaͤltniß gedacht
wird, vorhanden ſind, und die wirkſame Denkkraft mo-
dificiren, von andern mittelbaren, gefolgerten und
abgeleiteten Urtheilen, die man unter den Namen von
Schlußgedanken oder Raiſonnements zu begreifen
pfleget.
3.
Die blinden Reflexionsaͤußerungen ſind natuͤr-
lich nothwendige Wirkungen unſerer Seele, uͤber die
wir geradezu wenigſtens, keine Gewalt haben. Sie
erfolgen, wenn ihre Urſachen vorhanden ſind, und kom-
men nicht hervor, wenn jene fehlen. Sie erfolgen ſo,
wie ſie erfolgen, ohne daß wir durch eine Willkuͤhr ſie
befoͤrdern oder aufhalten oder ſie abaͤndern koͤnnen, ſo noth-
wendig, wie es dem Feuer nothwendig iſt, zu zuͤnden,
wenn es an trocknes Stroh gebracht wird. Sie erfo-
dern ihre ſie voͤllig beſtimmenden Gruͤnde, in und außer
der Seele, und zu dieſem gehoͤret mancherley. Die Ge-
genwart
*) Verſuch 4. VII. 6.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/535>, abgerufen am 21.11.2024.
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