genwart der Vorstellungen in der Phantasie, die vor- nehmste dieser Gründe, hat doch nicht allemal das Be- ziehen und das Gewahrnehmen, als Aeußerungen der Denkkraft zur Folge. Und das letzte, das Gewahr- nehmen kann noch wohl gar alsdenn zurück bleiben, wenn schon ein Gefühl der Verhältnisse vorhanden ist. Viel- leicht kann auch der Aktus des Denkens, "der wie ein jeder anderer Aktus durch eine Zeit fortwirken muß, ehe der herausgedachte Gedanke völlig zu Stande kommt," mitten in seiner Dauer unterbrochen werden. Allein so viel ist gewiß, daß wir es nicht in unserer Gewalt haben, willkührlich ihm Hindernisse in Weg zu legen. Wir können nicht sagen, bis so weit wollen wir an dem für uns einfachen Verhältnißgedanken arbeiten, und nun nicht weiter. Jn diesem Stück haben wir uns eben so wenig in unserer Gewalt, als bey andern Ausbrüchen natürlicher Jnstinkte, bey denen sich nur auf eine indirek- te und mittelbare Weise willkührlich etwas| andern läßt.
Es ist ein allgemeines Erfahrungsgesetz: "wir be- "sitzen über keine Kraftäußerung, über keine Thätigkeit "oder Handlung einige Selbstmacht, als nur dann, "wenn wir solche wollen und nichtwollen können." Dieß aber erfodert, daß wir eine Vorstellung von ihr haben, und nach dieser uns bestimmen können, sie her- vorzubringen, oder nicht, oder sie durch eine andere ihr entgegengesetzte zu unterdrücken oder zurückzuhalten. Wo keine Vorstellung von einer Kraftäußerung vorhergehet, da findet kein Wollen statt. Es geschicht das, was geschicht, der Natur der Kraft und den Umständen ge- mäß, wie bey den Bewegungen der Körper, und es feh- let uns gänzlich an dem Vermögen, solches nach Will- kühr einzurichten. Nun haben wir aber keine Vorstel- lung, als aus der Empfindung. Sollen wir also im Stande seyn, nach willkührlicher Selbstbestimmung un- ser Urtheil zurückzuhalten, oder anders einzurichten, als
solches
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
genwart der Vorſtellungen in der Phantaſie, die vor- nehmſte dieſer Gruͤnde, hat doch nicht allemal das Be- ziehen und das Gewahrnehmen, als Aeußerungen der Denkkraft zur Folge. Und das letzte, das Gewahr- nehmen kann noch wohl gar alsdenn zuruͤck bleiben, wenn ſchon ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe vorhanden iſt. Viel- leicht kann auch der Aktus des Denkens, „der wie ein jeder anderer Aktus durch eine Zeit fortwirken muß, ehe der herausgedachte Gedanke voͤllig zu Stande kommt,“ mitten in ſeiner Dauer unterbrochen werden. Allein ſo viel iſt gewiß, daß wir es nicht in unſerer Gewalt haben, willkuͤhrlich ihm Hinderniſſe in Weg zu legen. Wir koͤnnen nicht ſagen, bis ſo weit wollen wir an dem fuͤr uns einfachen Verhaͤltnißgedanken arbeiten, und nun nicht weiter. Jn dieſem Stuͤck haben wir uns eben ſo wenig in unſerer Gewalt, als bey andern Ausbruͤchen natuͤrlicher Jnſtinkte, bey denen ſich nur auf eine indirek- te und mittelbare Weiſe willkuͤhrlich etwas| andern laͤßt.
Es iſt ein allgemeines Erfahrungsgeſetz: „wir be- „ſitzen uͤber keine Kraftaͤußerung, uͤber keine Thaͤtigkeit „oder Handlung einige Selbſtmacht, als nur dann, „wenn wir ſolche wollen und nichtwollen koͤnnen.“ Dieß aber erfodert, daß wir eine Vorſtellung von ihr haben, und nach dieſer uns beſtimmen koͤnnen, ſie her- vorzubringen, oder nicht, oder ſie durch eine andere ihr entgegengeſetzte zu unterdruͤcken oder zuruͤckzuhalten. Wo keine Vorſtellung von einer Kraftaͤußerung vorhergehet, da findet kein Wollen ſtatt. Es geſchicht das, was geſchicht, der Natur der Kraft und den Umſtaͤnden ge- maͤß, wie bey den Bewegungen der Koͤrper, und es feh- let uns gaͤnzlich an dem Vermoͤgen, ſolches nach Will- kuͤhr einzurichten. Nun haben wir aber keine Vorſtel- lung, als aus der Empfindung. Sollen wir alſo im Stande ſeyn, nach willkuͤhrlicher Selbſtbeſtimmung un- ſer Urtheil zuruͤckzuhalten, oder anders einzurichten, als
ſolches
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
genwart der Vorſtellungen in der Phantaſie, die vor-
nehmſte dieſer Gruͤnde, hat doch nicht allemal das Be-
ziehen und das Gewahrnehmen, als Aeußerungen der
Denkkraft zur Folge. Und das letzte, das Gewahr-
nehmen kann noch wohl gar alsdenn zuruͤck bleiben, wenn
ſchon ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe vorhanden iſt. Viel-
leicht kann auch der Aktus des Denkens, „der wie ein
jeder anderer Aktus durch eine Zeit fortwirken muß, ehe
der herausgedachte Gedanke voͤllig zu Stande kommt,“
mitten in ſeiner Dauer unterbrochen werden. Allein ſo
viel iſt gewiß, daß wir es nicht in unſerer Gewalt haben,
willkuͤhrlich ihm Hinderniſſe in Weg zu legen. Wir
koͤnnen nicht ſagen, bis ſo weit wollen wir an dem fuͤr
uns einfachen Verhaͤltnißgedanken arbeiten, und nun
nicht weiter. Jn dieſem Stuͤck haben wir uns eben ſo
wenig in unſerer Gewalt, als bey andern Ausbruͤchen
natuͤrlicher Jnſtinkte, bey denen ſich nur auf eine indirek-
te und mittelbare Weiſe willkuͤhrlich etwas| andern laͤßt.
Es iſt ein allgemeines Erfahrungsgeſetz: „wir be-
„ſitzen uͤber keine Kraftaͤußerung, uͤber keine Thaͤtigkeit
„oder Handlung einige Selbſtmacht, als nur dann,
„wenn wir ſolche wollen und nichtwollen koͤnnen.“
Dieß aber erfodert, daß wir eine Vorſtellung von ihr
haben, und nach dieſer uns beſtimmen koͤnnen, ſie her-
vorzubringen, oder nicht, oder ſie durch eine andere ihr
entgegengeſetzte zu unterdruͤcken oder zuruͤckzuhalten. Wo
keine Vorſtellung von einer Kraftaͤußerung vorhergehet,
da findet kein Wollen ſtatt. Es geſchicht das, was
geſchicht, der Natur der Kraft und den Umſtaͤnden ge-
maͤß, wie bey den Bewegungen der Koͤrper, und es feh-
let uns gaͤnzlich an dem Vermoͤgen, ſolches nach Will-
kuͤhr einzurichten. Nun haben wir aber keine Vorſtel-
lung, als aus der Empfindung. Sollen wir alſo im
Stande ſeyn, nach willkuͤhrlicher Selbſtbeſtimmung un-
ſer Urtheil zuruͤckzuhalten, oder anders einzurichten, als
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/536>, abgerufen am 24.11.2024.
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