Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Versuch. Von der Nothwendigkeit
nisses und des Uebergangs? Wo ist nun in diesen
Fällen der Anfang der Reflexionsäußerung?*) Wenn
das Gegeneinanderhalten nichts anders ist, als ein
Abwechseln mit den Vorstellungen oder Jdeen, so sind
wir noch in den Gränzen der vorstellenden Kraft. Man
kann zwey Dinge lange wechselsweise angaffen, ohne die
geringste Reflexion zu machen. Dieß ist also nicht Den-
ken. Aber Vergleichen, das heißt; "von der Vor-
"stellung der einen Sache zu der Vorstellung der andern
"auf eine solche Art übergehen, daß man ihre Aehnlich-
"keit oder Verschiedenheit gewahrnehme; mit dieser
"Absicht ansetzen, oder wenn auch die Absicht fehlet,
"doch mit der nämlichen Tendenz die Kraft anwenden,
"und wirksam seyn lassen, als es da geschicht, wo die
"Absicht vorhanden ist," welches so viel ist, als die
Vorstellungen auf einander beziehen. Diese Aktus ge-
hören schon zu der Thätigkeit der Denkkraft, die das
Urtheil bewirket.

Es gehet nicht allemal eine solche Vergleichung vor;
aber man kann doch eine Anwendung unserer Kraft, als
den Aktus des Beziehens, gewahrnehmen, die von der-
jenigen Thätigkeit, womit die Vorstellungen oder Jdeen
jedwede für sich gegenwärtig erhalten oder dargestellet
werden, unterschieden ist.

Das Gefühl des Uebergangs und der Verhältnisse
läßt sich begreifen ohne Denkkraft. Darum glaube ich
festsetzen zu können, "das Abwechseln der Vorstellun-
"gen, oder ihr Gegeneinanderhalten gehe vor dem Ge-
"fühl der Verhältnisse vorher, und bringe es hervor."
Hier aber, wo dieß Gefühl entstehet, da sey der An-
fang
des Beziehens der Vorstellungen auf einander, und
der Gewahrnehmung. Die obigen Versuche machen
mir dieß wahrscheinlich, aber es sey ferne, hierauf, als
auf einen Grundsatz, zu bauen.

2. Jn
*) Siehe Versuch 4. VII. 1. 2. und Vers. 3. VI.

VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
niſſes und des Uebergangs? Wo iſt nun in dieſen
Faͤllen der Anfang der Reflexionsaͤußerung?*) Wenn
das Gegeneinanderhalten nichts anders iſt, als ein
Abwechſeln mit den Vorſtellungen oder Jdeen, ſo ſind
wir noch in den Graͤnzen der vorſtellenden Kraft. Man
kann zwey Dinge lange wechſelsweiſe angaffen, ohne die
geringſte Reflexion zu machen. Dieß iſt alſo nicht Den-
ken. Aber Vergleichen, das heißt; „von der Vor-
„ſtellung der einen Sache zu der Vorſtellung der andern
„auf eine ſolche Art uͤbergehen, daß man ihre Aehnlich-
„keit oder Verſchiedenheit gewahrnehme; mit dieſer
„Abſicht anſetzen, oder wenn auch die Abſicht fehlet,
„doch mit der naͤmlichen Tendenz die Kraft anwenden,
„und wirkſam ſeyn laſſen, als es da geſchicht, wo die
„Abſicht vorhanden iſt,‟ welches ſo viel iſt, als die
Vorſtellungen auf einander beziehen. Dieſe Aktus ge-
hoͤren ſchon zu der Thaͤtigkeit der Denkkraft, die das
Urtheil bewirket.

Es gehet nicht allemal eine ſolche Vergleichung vor;
aber man kann doch eine Anwendung unſerer Kraft, als
den Aktus des Beziehens, gewahrnehmen, die von der-
jenigen Thaͤtigkeit, womit die Vorſtellungen oder Jdeen
jedwede fuͤr ſich gegenwaͤrtig erhalten oder dargeſtellet
werden, unterſchieden iſt.

Das Gefuͤhl des Uebergangs und der Verhaͤltniſſe
laͤßt ſich begreifen ohne Denkkraft. Darum glaube ich
feſtſetzen zu koͤnnen, „das Abwechſeln der Vorſtellun-
„gen, oder ihr Gegeneinanderhalten gehe vor dem Ge-
„fuͤhl der Verhaͤltniſſe vorher, und bringe es hervor.‟
Hier aber, wo dieß Gefuͤhl entſtehet, da ſey der An-
fang
des Beziehens der Vorſtellungen auf einander, und
der Gewahrnehmung. Die obigen Verſuche machen
mir dieß wahrſcheinlich, aber es ſey ferne, hierauf, als
auf einen Grundſatz, zu bauen.

2. Jn
*) Siehe Verſuch 4. VII. 1. 2. und Verſ. 3. VI.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0534" n="474"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ver&#x017F;uch. Von der Nothwendigkeit</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">ni&#x017F;&#x017F;es</hi> und des Uebergangs? Wo i&#x017F;t nun in die&#x017F;en<lb/>
Fa&#x0364;llen der Anfang der Reflexionsa&#x0364;ußerung?<note place="foot" n="*)">Siehe Ver&#x017F;uch 4. <hi rendition="#aq">VII.</hi> 1. 2. und Ver&#x017F;. 3. <hi rendition="#aq">VI.</hi></note> Wenn<lb/>
das <hi rendition="#fr">Gegeneinanderhalten</hi> nichts anders i&#x017F;t, als ein<lb/>
Abwech&#x017F;eln mit den Vor&#x017F;tellungen oder Jdeen, &#x017F;o &#x017F;ind<lb/>
wir noch in den Gra&#x0364;nzen der vor&#x017F;tellenden Kraft. Man<lb/>
kann zwey Dinge lange wech&#x017F;elswei&#x017F;e angaffen, ohne die<lb/>
gering&#x017F;te Reflexion zu machen. Dieß i&#x017F;t al&#x017F;o nicht Den-<lb/>
ken. Aber <hi rendition="#fr">Vergleichen,</hi> das heißt; &#x201E;von der Vor-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tellung der einen Sache zu der Vor&#x017F;tellung der andern<lb/>
&#x201E;auf eine &#x017F;olche Art u&#x0364;bergehen, daß man ihre Aehnlich-<lb/>
&#x201E;keit oder Ver&#x017F;chiedenheit gewahrnehme; mit die&#x017F;er<lb/>
&#x201E;Ab&#x017F;icht an&#x017F;etzen, oder wenn auch die <hi rendition="#fr">Ab&#x017F;icht</hi> fehlet,<lb/>
&#x201E;doch mit der na&#x0364;mlichen Tendenz die Kraft anwenden,<lb/>
&#x201E;und wirk&#x017F;am &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en, als es da ge&#x017F;chicht, wo die<lb/>
&#x201E;Ab&#x017F;icht vorhanden i&#x017F;t,&#x201F; welches &#x017F;o viel i&#x017F;t, als die<lb/>
Vor&#x017F;tellungen auf einander <hi rendition="#fr">beziehen.</hi> Die&#x017F;e Aktus ge-<lb/>
ho&#x0364;ren &#x017F;chon zu der Tha&#x0364;tigkeit der <hi rendition="#fr">Denkkraft,</hi> die das<lb/>
Urtheil bewirket.</p><lb/>
            <p>Es gehet nicht allemal eine &#x017F;olche Vergleichung vor;<lb/>
aber man kann doch eine Anwendung un&#x017F;erer Kraft, als<lb/>
den Aktus des Beziehens, gewahrnehmen, die von der-<lb/>
jenigen Tha&#x0364;tigkeit, womit die Vor&#x017F;tellungen oder Jdeen<lb/>
jedwede fu&#x0364;r &#x017F;ich gegenwa&#x0364;rtig erhalten oder darge&#x017F;tellet<lb/>
werden, unter&#x017F;chieden i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Das <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> des Uebergangs und der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich begreifen ohne Denkkraft. Darum glaube ich<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;etzen zu ko&#x0364;nnen, &#x201E;das Abwech&#x017F;eln der Vor&#x017F;tellun-<lb/>
&#x201E;gen, oder ihr Gegeneinanderhalten gehe vor dem Ge-<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;hl der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e vorher, und bringe es hervor.&#x201F;<lb/>
Hier aber, wo dieß <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> ent&#x017F;tehet, da &#x017F;ey der <hi rendition="#fr">An-<lb/>
fang</hi> des Beziehens der Vor&#x017F;tellungen auf einander, und<lb/>
der Gewahrnehmung. Die obigen Ver&#x017F;uche machen<lb/>
mir dieß wahr&#x017F;cheinlich, aber es &#x017F;ey ferne, hierauf, als<lb/>
auf einen Grund&#x017F;atz, zu bauen.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">2. Jn</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[474/0534] VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit niſſes und des Uebergangs? Wo iſt nun in dieſen Faͤllen der Anfang der Reflexionsaͤußerung? *) Wenn das Gegeneinanderhalten nichts anders iſt, als ein Abwechſeln mit den Vorſtellungen oder Jdeen, ſo ſind wir noch in den Graͤnzen der vorſtellenden Kraft. Man kann zwey Dinge lange wechſelsweiſe angaffen, ohne die geringſte Reflexion zu machen. Dieß iſt alſo nicht Den- ken. Aber Vergleichen, das heißt; „von der Vor- „ſtellung der einen Sache zu der Vorſtellung der andern „auf eine ſolche Art uͤbergehen, daß man ihre Aehnlich- „keit oder Verſchiedenheit gewahrnehme; mit dieſer „Abſicht anſetzen, oder wenn auch die Abſicht fehlet, „doch mit der naͤmlichen Tendenz die Kraft anwenden, „und wirkſam ſeyn laſſen, als es da geſchicht, wo die „Abſicht vorhanden iſt,‟ welches ſo viel iſt, als die Vorſtellungen auf einander beziehen. Dieſe Aktus ge- hoͤren ſchon zu der Thaͤtigkeit der Denkkraft, die das Urtheil bewirket. Es gehet nicht allemal eine ſolche Vergleichung vor; aber man kann doch eine Anwendung unſerer Kraft, als den Aktus des Beziehens, gewahrnehmen, die von der- jenigen Thaͤtigkeit, womit die Vorſtellungen oder Jdeen jedwede fuͤr ſich gegenwaͤrtig erhalten oder dargeſtellet werden, unterſchieden iſt. Das Gefuͤhl des Uebergangs und der Verhaͤltniſſe laͤßt ſich begreifen ohne Denkkraft. Darum glaube ich feſtſetzen zu koͤnnen, „das Abwechſeln der Vorſtellun- „gen, oder ihr Gegeneinanderhalten gehe vor dem Ge- „fuͤhl der Verhaͤltniſſe vorher, und bringe es hervor.‟ Hier aber, wo dieß Gefuͤhl entſtehet, da ſey der An- fang des Beziehens der Vorſtellungen auf einander, und der Gewahrnehmung. Die obigen Verſuche machen mir dieß wahrſcheinlich, aber es ſey ferne, hierauf, als auf einen Grundſatz, zu bauen. 2. Jn *) Siehe Verſuch 4. VII. 1. 2. und Verſ. 3. VI.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/534
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/534>, abgerufen am 16.07.2024.