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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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VI. Versuch. Ueber den Unterschied
allgemeine Notion selbst ausmache? Soll hier von ei-
ner Jdeenassociation geredet werden, so ist sie doch gewiß
von einer ganz andern Art, als die gewöhnliche, die von
der bloßen Koexistenz in der Empfindung abhängt.

Diese besondern Beyspiele von sinnlichen Urtheilen
machen das Verfahren der Vorstellungskraft in andern
begreiflich. Hier habe ich mich auf sie eingelassen, um
das Allgemeine, was in unsern Empfindungsurtheilen
vorgehet, desto deutlicher vorzuzeigen, und gehe nun zu
der allgemeinen Betrachtung wieder zurück.

4.

Von der zwoten Klasse der sinnlichen Kenntnisse,
die von den reinen Erfahrungen nur darinn abweichet,
daß außer den Empfindungsvorstellungen von gegenwär-
tigen Objekten, auch Phantasmata oder Dichtungen,
mit ihnen vermischet sind, oder daß auch wohl diese letz-
tern allein, die Aeußerungen der Denkkraft bestimmen,
halte ichs für überflüßig, hier mehr hinzu zu setzen.

5.

Aber nun zu dem Gang unserer Denkkraft in den
allgemeinen Theorien, und bey der Bewendung dieser
letztern, auf die Vorstellungen von wirklichen Objekten,
wodurch das, was wir die vernünftige Einsicht oder
Wissenschaft nennen, erlanget wird. Diese Sache
verdienet unsre ganze Aufmerksamkeit, wenn wir wissen
wollen, was und wie viel wir an jenen Kenntnissen ha-
ben. Die Sonne ist dennoch viele millionenmal größer,
als der Mond, wenn schon beide als gleich groß aus-
sehen. Da ist ein Ausspruch der Vernunft. Durch
welchen Weg kommt sie zu diesem Gedanken? Wie
fängt sie an, mit den Jdeen von dem Himmel, derglei-
chen Virgils Schäfer hatte, und höret auf mit den
Jdeen eines Newtons? Und woher die Macht, womit

eine

VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied
allgemeine Notion ſelbſt ausmache? Soll hier von ei-
ner Jdeenaſſociation geredet werden, ſo iſt ſie doch gewiß
von einer ganz andern Art, als die gewoͤhnliche, die von
der bloßen Koexiſtenz in der Empfindung abhaͤngt.

Dieſe beſondern Beyſpiele von ſinnlichen Urtheilen
machen das Verfahren der Vorſtellungskraft in andern
begreiflich. Hier habe ich mich auf ſie eingelaſſen, um
das Allgemeine, was in unſern Empfindungsurtheilen
vorgehet, deſto deutlicher vorzuzeigen, und gehe nun zu
der allgemeinen Betrachtung wieder zuruͤck.

4.

Von der zwoten Klaſſe der ſinnlichen Kenntniſſe,
die von den reinen Erfahrungen nur darinn abweichet,
daß außer den Empfindungsvorſtellungen von gegenwaͤr-
tigen Objekten, auch Phantasmata oder Dichtungen,
mit ihnen vermiſchet ſind, oder daß auch wohl dieſe letz-
tern allein, die Aeußerungen der Denkkraft beſtimmen,
halte ichs fuͤr uͤberfluͤßig, hier mehr hinzu zu ſetzen.

5.

Aber nun zu dem Gang unſerer Denkkraft in den
allgemeinen Theorien, und bey der Bewendung dieſer
letztern, auf die Vorſtellungen von wirklichen Objekten,
wodurch das, was wir die vernuͤnftige Einſicht oder
Wiſſenſchaft nennen, erlanget wird. Dieſe Sache
verdienet unſre ganze Aufmerkſamkeit, wenn wir wiſſen
wollen, was und wie viel wir an jenen Kenntniſſen ha-
ben. Die Sonne iſt dennoch viele millionenmal groͤßer,
als der Mond, wenn ſchon beide als gleich groß aus-
ſehen. Da iſt ein Ausſpruch der Vernunft. Durch
welchen Weg kommt ſie zu dieſem Gedanken? Wie
faͤngt ſie an, mit den Jdeen von dem Himmel, derglei-
chen Virgils Schaͤfer hatte, und hoͤret auf mit den
Jdeen eines Newtons? Und woher die Macht, womit

eine
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[450/0510] VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied allgemeine Notion ſelbſt ausmache? Soll hier von ei- ner Jdeenaſſociation geredet werden, ſo iſt ſie doch gewiß von einer ganz andern Art, als die gewoͤhnliche, die von der bloßen Koexiſtenz in der Empfindung abhaͤngt. Dieſe beſondern Beyſpiele von ſinnlichen Urtheilen machen das Verfahren der Vorſtellungskraft in andern begreiflich. Hier habe ich mich auf ſie eingelaſſen, um das Allgemeine, was in unſern Empfindungsurtheilen vorgehet, deſto deutlicher vorzuzeigen, und gehe nun zu der allgemeinen Betrachtung wieder zuruͤck. 4. Von der zwoten Klaſſe der ſinnlichen Kenntniſſe, die von den reinen Erfahrungen nur darinn abweichet, daß außer den Empfindungsvorſtellungen von gegenwaͤr- tigen Objekten, auch Phantasmata oder Dichtungen, mit ihnen vermiſchet ſind, oder daß auch wohl dieſe letz- tern allein, die Aeußerungen der Denkkraft beſtimmen, halte ichs fuͤr uͤberfluͤßig, hier mehr hinzu zu ſetzen. 5. Aber nun zu dem Gang unſerer Denkkraft in den allgemeinen Theorien, und bey der Bewendung dieſer letztern, auf die Vorſtellungen von wirklichen Objekten, wodurch das, was wir die vernuͤnftige Einſicht oder Wiſſenſchaft nennen, erlanget wird. Dieſe Sache verdienet unſre ganze Aufmerkſamkeit, wenn wir wiſſen wollen, was und wie viel wir an jenen Kenntniſſen ha- ben. Die Sonne iſt dennoch viele millionenmal groͤßer, als der Mond, wenn ſchon beide als gleich groß aus- ſehen. Da iſt ein Ausſpruch der Vernunft. Durch welchen Weg kommt ſie zu dieſem Gedanken? Wie faͤngt ſie an, mit den Jdeen von dem Himmel, derglei- chen Virgils Schaͤfer hatte, und hoͤret auf mit den Jdeen eines Newtons? Und woher die Macht, womit eine

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/510>, abgerufen am 21.11.2024.