Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Versuch. Ueber den Urspr. unserer
eine gewisse innere Vollständigkeit besitzen. Es muß
allein für sich vorhanden seyn, und also die fühlende
Seele während des Gewahrnehmens so ganz ausfüllen
können, daß kein anderes größeres und weiter sich ver-
breitendes Gefühl, welches jenes in sich schließet, als
gleichzeitig vorhanden bemerket werde.

Seitdem Aristoteles diesen Begrif in die Philoso-
phie gebracht, haben die Philosophen unter Substanz ein
solches Ding verstanden, welches ohne Rücksicht auf un-
sere Jdee, für sich allein und abgesondert ein wirkliches
Ganze seyn kann. Ein deutlich bestimmter Begrif da-
von kostet den Metaphysikern viele Mühe. Aber in dem
gemeinen Verstande ist eine Substanz, und ein Objekt
für sich allein,
Eins und dasselbige.

Wenn mehrere Substanzen als verschiedene Ob-
jekte, davon jedes ein Ding für sich ist, gedacht werden,
so sind sie außer einander. Die Abstraktion von die-
ser Beziehung ist einerley mit dem Begrif von der Ver-
schiedenheit auf den Begrif von Substanzen angewendet.

VII.
Eine Anmerkung gegen die Jdealisten aus dem
Ursprung unserer Urtheile über die äußere
Wirklichkeit der Dinge, aus welchen Em-
pfindungen zunächst die Jdee von der äu-
ßern Existenz entstanden sey.

Sind nun einmal diese Abstraktionen durch die verei-
nigte Wirkung des Gefühls, der vorstellenden Kraft
und der Denkkraft in der Seele vorhanden, so können
Urtheile über die Existenz der Dinge in uns und außer
uns gefället werden. Um aber hiebey die Art des Ver-
fahrens in der Denkkraft, und den Ursprung und die
Gründe der Zuverlässigkeit dieser Urtheile völlig deutlich
zu erkennen, muß folgendes in Betracht gezogen werden.

Jn

V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
eine gewiſſe innere Vollſtaͤndigkeit beſitzen. Es muß
allein fuͤr ſich vorhanden ſeyn, und alſo die fuͤhlende
Seele waͤhrend des Gewahrnehmens ſo ganz ausfuͤllen
koͤnnen, daß kein anderes groͤßeres und weiter ſich ver-
breitendes Gefuͤhl, welches jenes in ſich ſchließet, als
gleichzeitig vorhanden bemerket werde.

Seitdem Ariſtoteles dieſen Begrif in die Philoſo-
phie gebracht, haben die Philoſophen unter Subſtanz ein
ſolches Ding verſtanden, welches ohne Ruͤckſicht auf un-
ſere Jdee, fuͤr ſich allein und abgeſondert ein wirkliches
Ganze ſeyn kann. Ein deutlich beſtimmter Begrif da-
von koſtet den Metaphyſikern viele Muͤhe. Aber in dem
gemeinen Verſtande iſt eine Subſtanz, und ein Objekt
fuͤr ſich allein,
Eins und daſſelbige.

Wenn mehrere Subſtanzen als verſchiedene Ob-
jekte, davon jedes ein Ding fuͤr ſich iſt, gedacht werden,
ſo ſind ſie außer einander. Die Abſtraktion von die-
ſer Beziehung iſt einerley mit dem Begrif von der Ver-
ſchiedenheit auf den Begrif von Subſtanzen angewendet.

VII.
Eine Anmerkung gegen die Jdealiſten aus dem
Urſprung unſerer Urtheile uͤber die aͤußere
Wirklichkeit der Dinge, aus welchen Em-
pfindungen zunaͤchſt die Jdee von der aͤu-
ßern Exiſtenz entſtanden ſey.

Sind nun einmal dieſe Abſtraktionen durch die verei-
nigte Wirkung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft
und der Denkkraft in der Seele vorhanden, ſo koͤnnen
Urtheile uͤber die Exiſtenz der Dinge in uns und außer
uns gefaͤllet werden. Um aber hiebey die Art des Ver-
fahrens in der Denkkraft, und den Urſprung und die
Gruͤnde der Zuverlaͤſſigkeit dieſer Urtheile voͤllig deutlich
zu erkennen, muß folgendes in Betracht gezogen werden.

Jn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0460" n="400"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber den Ur&#x017F;pr. un&#x017F;erer</hi></fw><lb/>
eine gewi&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#fr">innere Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit</hi> be&#x017F;itzen. Es muß<lb/><hi rendition="#fr">allein fu&#x0364;r &#x017F;ich</hi> vorhanden &#x017F;eyn, und al&#x017F;o die fu&#x0364;hlende<lb/>
Seele wa&#x0364;hrend des Gewahrnehmens &#x017F;o ganz ausfu&#x0364;llen<lb/>
ko&#x0364;nnen, daß kein anderes gro&#x0364;ßeres und weiter &#x017F;ich ver-<lb/>
breitendes Gefu&#x0364;hl, welches jenes in &#x017F;ich &#x017F;chließet, als<lb/>
gleichzeitig vorhanden bemerket werde.</p><lb/>
          <p>Seitdem <hi rendition="#fr">Ari&#x017F;toteles</hi> die&#x017F;en Begrif in die Philo&#x017F;o-<lb/>
phie gebracht, haben die Philo&#x017F;ophen unter Sub&#x017F;tanz ein<lb/>
&#x017F;olches Ding ver&#x017F;tanden, welches ohne Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf un-<lb/>
&#x017F;ere Jdee, fu&#x0364;r &#x017F;ich allein und abge&#x017F;ondert ein wirkliches<lb/>
Ganze &#x017F;eyn <hi rendition="#fr">kann.</hi> Ein deutlich be&#x017F;timmter Begrif da-<lb/>
von ko&#x017F;tet den Metaphy&#x017F;ikern viele Mu&#x0364;he. Aber in dem<lb/>
gemeinen Ver&#x017F;tande i&#x017F;t eine Sub&#x017F;tanz, und ein <hi rendition="#fr">Objekt<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich allein,</hi> Eins und da&#x017F;&#x017F;elbige.</p><lb/>
          <p>Wenn mehrere Sub&#x017F;tanzen als <hi rendition="#fr">ver&#x017F;chiedene</hi> Ob-<lb/>
jekte, davon jedes ein Ding fu&#x0364;r &#x017F;ich i&#x017F;t, gedacht werden,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie <hi rendition="#fr">außer einander.</hi> Die Ab&#x017F;traktion von die-<lb/>
&#x017F;er Beziehung i&#x017F;t einerley mit dem Begrif von der Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit auf den Begrif von Sub&#x017F;tanzen angewendet.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">VII.</hi><lb/>
Eine Anmerkung gegen die Jdeali&#x017F;ten aus dem<lb/>
Ur&#x017F;prung un&#x017F;erer Urtheile u&#x0364;ber die a&#x0364;ußere<lb/>
Wirklichkeit der Dinge, aus welchen Em-<lb/>
pfindungen zuna&#x0364;ch&#x017F;t die Jdee von der a&#x0364;u-<lb/>
ßern Exi&#x017F;tenz ent&#x017F;tanden &#x017F;ey.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ind nun einmal die&#x017F;e Ab&#x017F;traktionen durch die verei-<lb/>
nigte Wirkung des Gefu&#x0364;hls, der vor&#x017F;tellenden Kraft<lb/>
und der Denkkraft in der Seele vorhanden, &#x017F;o ko&#x0364;nnen<lb/>
Urtheile u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">Exi&#x017F;tenz</hi> der Dinge in uns und außer<lb/>
uns gefa&#x0364;llet werden. Um aber hiebey die Art des Ver-<lb/>
fahrens in der Denkkraft, und den Ur&#x017F;prung und die<lb/>
Gru&#x0364;nde der <hi rendition="#fr">Zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit</hi> die&#x017F;er Urtheile vo&#x0364;llig deutlich<lb/>
zu erkennen, muß folgendes in Betracht gezogen werden.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[400/0460] V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer eine gewiſſe innere Vollſtaͤndigkeit beſitzen. Es muß allein fuͤr ſich vorhanden ſeyn, und alſo die fuͤhlende Seele waͤhrend des Gewahrnehmens ſo ganz ausfuͤllen koͤnnen, daß kein anderes groͤßeres und weiter ſich ver- breitendes Gefuͤhl, welches jenes in ſich ſchließet, als gleichzeitig vorhanden bemerket werde. Seitdem Ariſtoteles dieſen Begrif in die Philoſo- phie gebracht, haben die Philoſophen unter Subſtanz ein ſolches Ding verſtanden, welches ohne Ruͤckſicht auf un- ſere Jdee, fuͤr ſich allein und abgeſondert ein wirkliches Ganze ſeyn kann. Ein deutlich beſtimmter Begrif da- von koſtet den Metaphyſikern viele Muͤhe. Aber in dem gemeinen Verſtande iſt eine Subſtanz, und ein Objekt fuͤr ſich allein, Eins und daſſelbige. Wenn mehrere Subſtanzen als verſchiedene Ob- jekte, davon jedes ein Ding fuͤr ſich iſt, gedacht werden, ſo ſind ſie außer einander. Die Abſtraktion von die- ſer Beziehung iſt einerley mit dem Begrif von der Ver- ſchiedenheit auf den Begrif von Subſtanzen angewendet. VII. Eine Anmerkung gegen die Jdealiſten aus dem Urſprung unſerer Urtheile uͤber die aͤußere Wirklichkeit der Dinge, aus welchen Em- pfindungen zunaͤchſt die Jdee von der aͤu- ßern Exiſtenz entſtanden ſey. Sind nun einmal dieſe Abſtraktionen durch die verei- nigte Wirkung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denkkraft in der Seele vorhanden, ſo koͤnnen Urtheile uͤber die Exiſtenz der Dinge in uns und außer uns gefaͤllet werden. Um aber hiebey die Art des Ver- fahrens in der Denkkraft, und den Urſprung und die Gruͤnde der Zuverlaͤſſigkeit dieſer Urtheile voͤllig deutlich zu erkennen, muß folgendes in Betracht gezogen werden. Jn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/460
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/460>, abgerufen am 21.11.2024.