Aus den zergliederten Thätigkeiten, die das Denken ausmachen, zeiget sich nun die Natur der besondern Denkarten mehr im Lichten. Vorstellungen annehmen, erhalten, machen, verbinden, trennen, stellen, auf ein- ander sie beziehen und gewahrnehmen; die Aktionen führen zu Jdeen, zu Urtheilen, zu Folgerungen und Schlüssen.
Es ist bey verschiedenen angesehenen Philosophen ein Grundsatz, daß wir alle unsere Jdeen nur durch die Vergleichung machen; und der größte Theil der Ver- nunftlehrer sieht auch die Urtheile für nichts anders an, als für Vergleichungen und für ein Gewahrnehmen der Einerleyheit und Verschiedenheit. Beide Voraussetzun- gen sind in mancher Hinsicht richtig, aber beide doch nur auf einer einseitigen Vorstellungsart des Denkens gegründet, und haben den Fehler veranlaßt, daß man die übrigen Beziehungen, die nicht in Vergleichungen bestehen, und Verhältnisse, die nicht Einerleyheit und Verschiedenheit sind, mißgekannt hat, und dieß Ver- sehen hat man in die Anfangsgründe gebracht.
Entstehen wohl alle unsere Jdeen aus der Verglei- chung, und wie ferne?
Jst Jdee nichts mehr, als eine gewahrgenomme- ne Vorstellung, so macht das Gewahrnehmen ihre Form aus. Zu diesem Aktus wird zwar eine Bezie- hung der gewahrgenommenen Vorstellung auf andere er- fodert, und diese kann eine Vergleichung genannt werden. Aber sie ist doch von einer Vergleichung unterschieden, welche alsdenn erfolgt, wenn eine gewahrgenommene Vorstellung gegen eine andere gehalten wird, die gleich- falls schon als eine besondere Vorstellung erkannt ist, wel- cher Aktus eigentlich ein Vergleichen heißt.
Ferner,
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und uͤber das Denken.
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Aus den zergliederten Thaͤtigkeiten, die das Denken ausmachen, zeiget ſich nun die Natur der beſondern Denkarten mehr im Lichten. Vorſtellungen annehmen, erhalten, machen, verbinden, trennen, ſtellen, auf ein- ander ſie beziehen und gewahrnehmen; die Aktionen fuͤhren zu Jdeen, zu Urtheilen, zu Folgerungen und Schluͤſſen.
Es iſt bey verſchiedenen angeſehenen Philoſophen ein Grundſatz, daß wir alle unſere Jdeen nur durch die Vergleichung machen; und der groͤßte Theil der Ver- nunftlehrer ſieht auch die Urtheile fuͤr nichts anders an, als fuͤr Vergleichungen und fuͤr ein Gewahrnehmen der Einerleyheit und Verſchiedenheit. Beide Vorausſetzun- gen ſind in mancher Hinſicht richtig, aber beide doch nur auf einer einſeitigen Vorſtellungsart des Denkens gegruͤndet, und haben den Fehler veranlaßt, daß man die uͤbrigen Beziehungen, die nicht in Vergleichungen beſtehen, und Verhaͤltniſſe, die nicht Einerleyheit und Verſchiedenheit ſind, mißgekannt hat, und dieß Ver- ſehen hat man in die Anfangsgruͤnde gebracht.
Entſtehen wohl alle unſere Jdeen aus der Verglei- chung, und wie ferne?
Jſt Jdee nichts mehr, als eine gewahrgenomme- ne Vorſtellung, ſo macht das Gewahrnehmen ihre Form aus. Zu dieſem Aktus wird zwar eine Bezie- hung der gewahrgenommenen Vorſtellung auf andere er- fodert, und dieſe kann eine Vergleichung genannt werden. Aber ſie iſt doch von einer Vergleichung unterſchieden, welche alsdenn erfolgt, wenn eine gewahrgenommene Vorſtellung gegen eine andere gehalten wird, die gleich- falls ſchon als eine beſondere Vorſtellung erkannt iſt, wel- cher Aktus eigentlich ein Vergleichen heißt.
Ferner,
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und uͤber das Denken.
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Aus den zergliederten Thaͤtigkeiten, die das Denken
ausmachen, zeiget ſich nun die Natur der beſondern
Denkarten mehr im Lichten. Vorſtellungen annehmen,
erhalten, machen, verbinden, trennen, ſtellen, auf ein-
ander ſie beziehen und gewahrnehmen; die Aktionen
fuͤhren zu Jdeen, zu Urtheilen, zu Folgerungen
und Schluͤſſen.
Es iſt bey verſchiedenen angeſehenen Philoſophen ein
Grundſatz, daß wir alle unſere Jdeen nur durch die
Vergleichung machen; und der groͤßte Theil der Ver-
nunftlehrer ſieht auch die Urtheile fuͤr nichts anders an,
als fuͤr Vergleichungen und fuͤr ein Gewahrnehmen der
Einerleyheit und Verſchiedenheit. Beide Vorausſetzun-
gen ſind in mancher Hinſicht richtig, aber beide doch
nur auf einer einſeitigen Vorſtellungsart des Denkens
gegruͤndet, und haben den Fehler veranlaßt, daß man
die uͤbrigen Beziehungen, die nicht in Vergleichungen
beſtehen, und Verhaͤltniſſe, die nicht Einerleyheit und
Verſchiedenheit ſind, mißgekannt hat, und dieß Ver-
ſehen hat man in die Anfangsgruͤnde gebracht.
Entſtehen wohl alle unſere Jdeen aus der Verglei-
chung, und wie ferne?
Jſt Jdee nichts mehr, als eine gewahrgenomme-
ne Vorſtellung, ſo macht das Gewahrnehmen ihre
Form aus. Zu dieſem Aktus wird zwar eine Bezie-
hung der gewahrgenommenen Vorſtellung auf andere er-
fodert, und dieſe kann eine Vergleichung genannt werden.
Aber ſie iſt doch von einer Vergleichung unterſchieden,
welche alsdenn erfolgt, wenn eine gewahrgenommene
Vorſtellung gegen eine andere gehalten wird, die gleich-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/421>, abgerufen am 21.11.2024.
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