gleichgültig empfindet. Alsdenn ist aber Empfindsam- keit am auffallendsten, wenn das Afficirende in den Vor- stellungen, in diesen feinern wiederzurückkehrenden Modifikationen auf sie wirken kann. Diese letztere Em- pfindsamkeit in Hinsicht auf Vorstellungen hat an der ge- sammten menschlichen Empfindsamkeit den wesentlichsten und wichtigsten Antheil.
Man mag es mit den Worterklärungen einrichten, wie man will. Aber für mich will ich in diesem Absatz bey den zuletzt bestimmten Redensarten bleiben, und die rührende Empfindungen mit den rührenden Vorstellun- gen vergleichen. Wie die letztern rührend werden, und woher sie diese Kraft empfangen, das lässet sich alsdenn erst erklären, wenn es vorher gezeiget ist, wie und mit welchen Empfindungen das Affieirende ursprünglich ver- bunden ist. Die Empfindnisse aus Vorstellungen sind abgeleitete Säfte von den afficirenden Empfindungen her; es entstehet also die Frage, in welchen Arten von Empfindungen das Afficirende ursprünglich vorhanden sey? Wo ist die Seite der Seele, an der sie den ersten Stoff ihres Wohls und Wehs aufnimmt, und von der solcher über die ganze Seele verbreitet, vertheilet und ernähret wird?
2.
Es giebt ursprünglich angenehme und unan- genehme Zustände und Eindrücke auf uns. Diese erregen ein Gefallen oder Mißfallen für sich allein, ohne daß es einer Dazwischenkunft anderer bedörse, die et- wann in der Empfindung oder in der Reproduktion mit ihnen verbunden sind. Es giebt rührende Empfin- dungen von außen, die es für sich sind, wie z. B. die Ergötzungen des Gehörs, des Gefühls, des Gesichts, des Geschmacks und des Geruchs, und die ihnen entge- gengesetzten Eindrücke. Die Wirkung, die sie auf uns
hervor-
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
gleichguͤltig empfindet. Alsdenn iſt aber Empfindſam- keit am auffallendſten, wenn das Afficirende in den Vor- ſtellungen, in dieſen feinern wiederzuruͤckkehrenden Modifikationen auf ſie wirken kann. Dieſe letztere Em- pfindſamkeit in Hinſicht auf Vorſtellungen hat an der ge- ſammten menſchlichen Empfindſamkeit den weſentlichſten und wichtigſten Antheil.
Man mag es mit den Worterklaͤrungen einrichten, wie man will. Aber fuͤr mich will ich in dieſem Abſatz bey den zuletzt beſtimmten Redensarten bleiben, und die ruͤhrende Empfindungen mit den ruͤhrenden Vorſtellun- gen vergleichen. Wie die letztern ruͤhrend werden, und woher ſie dieſe Kraft empfangen, das laͤſſet ſich alsdenn erſt erklaͤren, wenn es vorher gezeiget iſt, wie und mit welchen Empfindungen das Affieirende urſpruͤnglich ver- bunden iſt. Die Empfindniſſe aus Vorſtellungen ſind abgeleitete Saͤfte von den afficirenden Empfindungen her; es entſtehet alſo die Frage, in welchen Arten von Empfindungen das Afficirende urſpruͤnglich vorhanden ſey? Wo iſt die Seite der Seele, an der ſie den erſten Stoff ihres Wohls und Wehs aufnimmt, und von der ſolcher uͤber die ganze Seele verbreitet, vertheilet und ernaͤhret wird?
2.
Es giebt urſpruͤnglich angenehme und unan- genehme Zuſtaͤnde und Eindruͤcke auf uns. Dieſe erregen ein Gefallen oder Mißfallen fuͤr ſich allein, ohne daß es einer Dazwiſchenkunft anderer bedoͤrſe, die et- wann in der Empfindung oder in der Reproduktion mit ihnen verbunden ſind. Es giebt ruͤhrende Empfin- dungen von außen, die es fuͤr ſich ſind, wie z. B. die Ergoͤtzungen des Gehoͤrs, des Gefuͤhls, des Geſichts, des Geſchmacks und des Geruchs, und die ihnen entge- gengeſetzten Eindruͤcke. Die Wirkung, die ſie auf uns
hervor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0282"n="222"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,</hi></fw><lb/>
gleichguͤltig empfindet. Alsdenn iſt aber Empfindſam-<lb/>
keit am auffallendſten, wenn das Afficirende in den <hirendition="#fr">Vor-<lb/>ſtellungen,</hi> in dieſen feinern wiederzuruͤckkehrenden<lb/>
Modifikationen auf ſie wirken kann. Dieſe letztere Em-<lb/>
pfindſamkeit in Hinſicht auf Vorſtellungen hat an der ge-<lb/>ſammten menſchlichen Empfindſamkeit den weſentlichſten<lb/>
und wichtigſten Antheil.</p><lb/><p>Man mag es mit den Worterklaͤrungen einrichten,<lb/>
wie man will. Aber fuͤr mich will ich in dieſem Abſatz<lb/>
bey den zuletzt beſtimmten Redensarten bleiben, und die<lb/>
ruͤhrende Empfindungen mit den ruͤhrenden Vorſtellun-<lb/>
gen vergleichen. Wie die letztern ruͤhrend werden, und<lb/>
woher ſie dieſe Kraft empfangen, das laͤſſet ſich alsdenn<lb/>
erſt erklaͤren, wenn es vorher gezeiget iſt, wie und mit<lb/>
welchen Empfindungen das Affieirende urſpruͤnglich ver-<lb/>
bunden iſt. Die Empfindniſſe aus Vorſtellungen ſind<lb/>
abgeleitete Saͤfte von den afficirenden Empfindungen<lb/>
her; es entſtehet alſo die Frage, in welchen Arten von<lb/>
Empfindungen das Afficirende urſpruͤnglich vorhanden<lb/>ſey? Wo iſt die Seite der Seele, an der ſie den erſten<lb/>
Stoff ihres Wohls und Wehs aufnimmt, und von der<lb/>ſolcher uͤber die ganze Seele verbreitet, vertheilet und<lb/>
ernaͤhret wird?</p></div><lb/><divn="3"><head>2.</head><lb/><p>Es giebt <hirendition="#fr">urſpruͤnglich angenehme und unan-<lb/>
genehme Zuſtaͤnde</hi> und Eindruͤcke auf uns. Dieſe<lb/>
erregen ein Gefallen oder Mißfallen fuͤr ſich allein, ohne<lb/>
daß es einer Dazwiſchenkunft anderer bedoͤrſe, die et-<lb/>
wann in der Empfindung oder in der Reproduktion mit<lb/>
ihnen verbunden ſind. Es giebt <hirendition="#fr">ruͤhrende Empfin-<lb/>
dungen</hi> von außen, die es fuͤr ſich ſind, wie z. B. die<lb/>
Ergoͤtzungen des Gehoͤrs, des Gefuͤhls, des Geſichts,<lb/>
des Geſchmacks und des Geruchs, und die ihnen entge-<lb/>
gengeſetzten Eindruͤcke. Die Wirkung, die ſie auf uns<lb/><fwplace="bottom"type="catch">hervor-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[222/0282]
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
gleichguͤltig empfindet. Alsdenn iſt aber Empfindſam-
keit am auffallendſten, wenn das Afficirende in den Vor-
ſtellungen, in dieſen feinern wiederzuruͤckkehrenden
Modifikationen auf ſie wirken kann. Dieſe letztere Em-
pfindſamkeit in Hinſicht auf Vorſtellungen hat an der ge-
ſammten menſchlichen Empfindſamkeit den weſentlichſten
und wichtigſten Antheil.
Man mag es mit den Worterklaͤrungen einrichten,
wie man will. Aber fuͤr mich will ich in dieſem Abſatz
bey den zuletzt beſtimmten Redensarten bleiben, und die
ruͤhrende Empfindungen mit den ruͤhrenden Vorſtellun-
gen vergleichen. Wie die letztern ruͤhrend werden, und
woher ſie dieſe Kraft empfangen, das laͤſſet ſich alsdenn
erſt erklaͤren, wenn es vorher gezeiget iſt, wie und mit
welchen Empfindungen das Affieirende urſpruͤnglich ver-
bunden iſt. Die Empfindniſſe aus Vorſtellungen ſind
abgeleitete Saͤfte von den afficirenden Empfindungen
her; es entſtehet alſo die Frage, in welchen Arten von
Empfindungen das Afficirende urſpruͤnglich vorhanden
ſey? Wo iſt die Seite der Seele, an der ſie den erſten
Stoff ihres Wohls und Wehs aufnimmt, und von der
ſolcher uͤber die ganze Seele verbreitet, vertheilet und
ernaͤhret wird?
2.
Es giebt urſpruͤnglich angenehme und unan-
genehme Zuſtaͤnde und Eindruͤcke auf uns. Dieſe
erregen ein Gefallen oder Mißfallen fuͤr ſich allein, ohne
daß es einer Dazwiſchenkunft anderer bedoͤrſe, die et-
wann in der Empfindung oder in der Reproduktion mit
ihnen verbunden ſind. Es giebt ruͤhrende Empfin-
dungen von außen, die es fuͤr ſich ſind, wie z. B. die
Ergoͤtzungen des Gehoͤrs, des Gefuͤhls, des Geſichts,
des Geſchmacks und des Geruchs, und die ihnen entge-
gengeſetzten Eindruͤcke. Die Wirkung, die ſie auf uns
hervor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/282>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.